Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.gemeinsamen Absicht mitwirken zu können, die ohne das Diese Absicht, die des Drama's, ist aber zugleich die *) Der moderne Schauspieldichter wird sich am Schwer¬
sten geneigt fühlen zuzugestehen, daß auch seiner Kunstart, der Dichtkunst, das Drama nicht allein angehören sollte; nament¬ lich wird er sich nicht überwinden können, es mit dem Tondichter theilen zu sollen, nämlich, wie er meint, das Schauspiel in die Oper aufgehen zu lassen. Sehr richtig wird, so lange die Oper besteht, das Schauspiel bestehen müssen, und eben so gut auch die Pantomime; so lange ein Streit hierüber denkbar ist, bleibt aber auch das Drama der Zukunft selbst undenkbar. Liegt der Zweifel von Seiten des Dichters jedoch tiefer, und heftet er sich daran, daß es ihm nicht begreiflich dünkt, wie der Gesang ganz und für alle Fälle die Stelle des recitirten Dialoges einnehmen solle, so ist ihm zu entgegnen, daß er sich nach zwei Seiten hin über den Charakter des Kunstwerkes der Zukunft noch nicht klar geworden ist. Erstens ermißt er nicht, daß in diesem Kunstwerke die Musik durchaus eine andere Stellung zu erhalten hat als in der modernen Oper: daß sie nur da, wo sie die vermögendste ist, in voller Breite sich zu entfalten, dagegen aber überall, wo z. B. die dramatische Sprache gemeinſamen Abſicht mitwirken zu können, die ohne das Dieſe Abſicht, die des Drama's, iſt aber zugleich die *) Der moderne Schauſpieldichter wird ſich am Schwer¬
ſten geneigt fühlen zuzugeſtehen, daß auch ſeiner Kunſtart, der Dichtkunſt, das Drama nicht allein angehören ſollte; nament¬ lich wird er ſich nicht überwinden können, es mit dem Tondichter theilen zu ſollen, nämlich, wie er meint, das Schauſpiel in die Oper aufgehen zu laſſen. Sehr richtig wird, ſo lange die Oper beſteht, das Schauſpiel beſtehen müſſen, und eben ſo gut auch die Pantomime; ſo lange ein Streit hierüber denkbar iſt, bleibt aber auch das Drama der Zukunft ſelbſt undenkbar. Liegt der Zweifel von Seiten des Dichters jedoch tiefer, und heftet er ſich daran, daß es ihm nicht begreiflich dünkt, wie der Geſang ganz und für alle Fälle die Stelle des recitirten Dialoges einnehmen ſolle, ſo iſt ihm zu entgegnen, daß er ſich nach zwei Seiten hin über den Charakter des Kunſtwerkes der Zukunft noch nicht klar geworden iſt. Erſtens ermißt er nicht, daß in dieſem Kunſtwerke die Muſik durchaus eine andere Stellung zu erhalten hat als in der modernen Oper: daß ſie nur da, wo ſie die vermögendſte iſt, in voller Breite ſich zu entfalten, dagegen aber überall, wo z. B. die dramatiſche Sprache <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0219" n="203"/> gemeinſamen Abſicht mitwirken zu können, die ohne das<lb/> Einzelne, wie ohne zeitweiſe Beſchränkung des Einzelnen,<lb/> wiederum gar nicht zu verwirklichen iſt.</p><lb/> <p>Dieſe Abſicht, die des Drama's, iſt aber zugleich <hi rendition="#g">die<lb/> einzige wahrhaft künſtleriſche Abſicht</hi>, <hi rendition="#g">die über¬<lb/> haupt auch nur verwirklicht werden kann</hi>; was von<lb/> ihr abliegt, muß ſich nothwendig in das Meer des Unbe¬<lb/> ſtimmten, Unverſtändlichen, Unfreien, verlieren. Dieſe<lb/> Abſicht erreicht aber nicht <hi rendition="#g">eine Kunſtart für ſich<lb/> allein</hi> <note xml:id="note-0219" next="#note-0220" place="foot" n="*)">Der moderne <hi rendition="#g">Schauſpieldichter</hi> wird ſich am Schwer¬<lb/> ſten geneigt fühlen zuzugeſtehen, daß auch <hi rendition="#g">ſeiner</hi> Kunſtart, der<lb/><hi rendition="#g">Dichtkunſt</hi>, das Drama nicht allein angehören ſollte; nament¬<lb/> lich wird er ſich nicht überwinden können, es mit dem Tondichter<lb/> theilen zu ſollen, nämlich, wie er meint, das Schauſpiel in die<lb/> Oper aufgehen zu laſſen. Sehr richtig wird, ſo lange die Oper<lb/> beſteht, das Schauſpiel beſtehen müſſen, und eben ſo gut auch die<lb/> Pantomime; ſo lange ein Streit hierüber denkbar iſt, bleibt aber<lb/> auch das Drama der Zukunft ſelbſt undenkbar. Liegt der Zweifel<lb/> von Seiten des Dichters jedoch tiefer, und heftet er ſich daran, daß<lb/> es ihm nicht begreiflich dünkt, wie der <hi rendition="#g">Geſang</hi> ganz und für alle<lb/> Fälle die Stelle des recitirten Dialoges einnehmen ſolle, ſo iſt ihm<lb/> zu entgegnen, daß er ſich nach zwei Seiten hin über den Charakter<lb/> des Kunſtwerkes der Zukunft noch nicht klar geworden iſt. Erſtens<lb/> ermißt er nicht, daß in dieſem Kunſtwerke die Muſik durchaus eine<lb/> andere Stellung zu erhalten hat als in der modernen Oper: daß<lb/> ſie nur da, wo ſie die <hi rendition="#g">vermögendſte</hi> iſt, in voller Breite ſich zu<lb/> entfalten, dagegen aber überall, wo z. B. die dramatiſche Sprache<lb/></note>, ſondern nur <hi rendition="#g">alle gemeinſam</hi>, und daher iſt<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [203/0219]
gemeinſamen Abſicht mitwirken zu können, die ohne das
Einzelne, wie ohne zeitweiſe Beſchränkung des Einzelnen,
wiederum gar nicht zu verwirklichen iſt.
Dieſe Abſicht, die des Drama's, iſt aber zugleich die
einzige wahrhaft künſtleriſche Abſicht, die über¬
haupt auch nur verwirklicht werden kann; was von
ihr abliegt, muß ſich nothwendig in das Meer des Unbe¬
ſtimmten, Unverſtändlichen, Unfreien, verlieren. Dieſe
Abſicht erreicht aber nicht eine Kunſtart für ſich
allein *), ſondern nur alle gemeinſam, und daher iſt
*) Der moderne Schauſpieldichter wird ſich am Schwer¬
ſten geneigt fühlen zuzugeſtehen, daß auch ſeiner Kunſtart, der
Dichtkunſt, das Drama nicht allein angehören ſollte; nament¬
lich wird er ſich nicht überwinden können, es mit dem Tondichter
theilen zu ſollen, nämlich, wie er meint, das Schauſpiel in die
Oper aufgehen zu laſſen. Sehr richtig wird, ſo lange die Oper
beſteht, das Schauſpiel beſtehen müſſen, und eben ſo gut auch die
Pantomime; ſo lange ein Streit hierüber denkbar iſt, bleibt aber
auch das Drama der Zukunft ſelbſt undenkbar. Liegt der Zweifel
von Seiten des Dichters jedoch tiefer, und heftet er ſich daran, daß
es ihm nicht begreiflich dünkt, wie der Geſang ganz und für alle
Fälle die Stelle des recitirten Dialoges einnehmen ſolle, ſo iſt ihm
zu entgegnen, daß er ſich nach zwei Seiten hin über den Charakter
des Kunſtwerkes der Zukunft noch nicht klar geworden iſt. Erſtens
ermißt er nicht, daß in dieſem Kunſtwerke die Muſik durchaus eine
andere Stellung zu erhalten hat als in der modernen Oper: daß
ſie nur da, wo ſie die vermögendſte iſt, in voller Breite ſich zu
entfalten, dagegen aber überall, wo z. B. die dramatiſche Sprache
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Zitationshilfe: | Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/219>, abgerufen am 16.02.2025. |