Dieser bestimmte Zweck ist das Drama, zu dem sie sich Alle vereinigen, um in der Betheiligung an ihm ihre be¬ sondere Kunstart zu der höchsten Fülle ihres Wesens zu entfalten, in dieser Entfaltung sich gemeinschaftlich alle zu durchdringen, und als Frucht dieser Durchdringung eben das lebendige, sinnlich gegenwärtige Drama zu zeugen. Das, was Allen ihre Theilnahme ermöglicht, ja was sie noth¬ wendig macht und was ohne diese Theilnahme gar nicht zur Erscheinung gelangen könnte, ist aber der eigentliche Kern des Drama's, die dramatische Handlung.
Die dramatische Handlung ist, als innerlichste Be¬ dingung des Drama's, zugleich dasjenige Moment im gan¬ zen Kunstwerk, welches das allgemeinste Verständniß desselben versichert. Unmittelbar dem (vergangenen oder gegenwärtigen) Leben entnommen, bildet sie gerade in dem Maße das verständnißgebende Band mit dem Leben, als sie der Wahrheit des Lebens am getreuesten entspricht, das Verlangen desselben nach seinem Verständnisse am geeignet¬ sten befriedigt. Die dramatische Handlung ist somit der Zweig vom Baume des Lebens, der unbewußt und unwillkürlich diesem entwachsen, nach den Gesetzen des Le¬ bens geblüht hat und verblüht ist, nun aber, von ihm abge¬ löst, in den Boden der Kunst gepflanzt wird, um zu neuem, schönerem, unvergänglichem Leben aus ihm zu dem üppigem Baume zu erwachsen, der dem Baume des
Dieſer beſtimmte Zweck iſt das Drama, zu dem ſie ſich Alle vereinigen, um in der Betheiligung an ihm ihre be¬ ſondere Kunſtart zu der höchſten Fülle ihres Weſens zu entfalten, in dieſer Entfaltung ſich gemeinſchaftlich alle zu durchdringen, und als Frucht dieſer Durchdringung eben das lebendige, ſinnlich gegenwärtige Drama zu zeugen. Das, was Allen ihre Theilnahme ermöglicht, ja was ſie noth¬ wendig macht und was ohne dieſe Theilnahme gar nicht zur Erſcheinung gelangen könnte, iſt aber der eigentliche Kern des Drama's, die dramatiſche Handlung.
Die dramatiſche Handlung iſt, als innerlichſte Be¬ dingung des Drama's, zugleich dasjenige Moment im gan¬ zen Kunſtwerk, welches das allgemeinſte Verſtändniß deſſelben verſichert. Unmittelbar dem (vergangenen oder gegenwärtigen) Leben entnommen, bildet ſie gerade in dem Maße das verſtändnißgebende Band mit dem Leben, als ſie der Wahrheit des Lebens am getreueſten entſpricht, das Verlangen deſſelben nach ſeinem Verſtändniſſe am geeignet¬ ſten befriedigt. Die dramatiſche Handlung iſt ſomit der Zweig vom Baume des Lebens, der unbewußt und unwillkürlich dieſem entwachſen, nach den Geſetzen des Le¬ bens geblüht hat und verblüht iſt, nun aber, von ihm abge¬ löſt, in den Boden der Kunſt gepflanzt wird, um zu neuem, ſchönerem, unvergänglichem Leben aus ihm zu dem üppigem Baume zu erwachſen, der dem Baume des
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Dieſer beſtimmte Zweck iſt das Drama, zu dem ſie ſich
Alle vereinigen, um in der Betheiligung an ihm ihre be¬
ſondere Kunſtart zu der höchſten Fülle ihres Weſens zu
entfalten, in dieſer Entfaltung ſich gemeinſchaftlich alle zu
durchdringen, und als Frucht dieſer Durchdringung eben
das lebendige, ſinnlich gegenwärtige Drama zu zeugen. Das,
was Allen ihre Theilnahme ermöglicht, ja was ſie noth¬
wendig macht und was ohne dieſe Theilnahme gar nicht
zur Erſcheinung gelangen könnte, iſt aber der eigentliche
Kern des Drama's, die dramatiſche Handlung.
Die dramatiſche Handlung iſt, als innerlichſte Be¬
dingung des Drama's, zugleich dasjenige Moment im gan¬
zen Kunſtwerk, welches das allgemeinſte Verſtändniß
deſſelben verſichert. Unmittelbar dem (vergangenen oder
gegenwärtigen) Leben entnommen, bildet ſie gerade in dem
Maße das verſtändnißgebende Band mit dem Leben, als
ſie der Wahrheit des Lebens am getreueſten entſpricht, das
Verlangen deſſelben nach ſeinem Verſtändniſſe am geeignet¬
ſten befriedigt. Die dramatiſche Handlung iſt ſomit der
Zweig vom Baume des Lebens, der unbewußt und
unwillkürlich dieſem entwachſen, nach den Geſetzen des Le¬
bens geblüht hat und verblüht iſt, nun aber, von ihm abge¬
löſt, in den Boden der Kunſt gepflanzt wird, um
zu neuem, ſchönerem, unvergänglichem Leben aus ihm zu
dem üppigem Baume zu erwachſen, der dem Baume des
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/223>, abgerufen am 16.02.2025.
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