Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

Hier sieht denn der Geist, in seinem künstlerischen
Streben nach Wiedervereinigung mit der Natur im Kunst¬
werke, sich zu der einzigen Hoffnung auf die Zukunft hin¬
gewiesen, oder zur traurigen Kraftübung der Resignation
gedrängt. Er begreift, daß er seine Erlösung nur im sinn¬
lich gegenwärtigen Kunstwerke, daher also nur in einer
wahrhaft kunstbedürftigen, d. h. kunstbedingenden, aus
eigener Naturwahrheit und Schönheit kunstzeugenden,
Gegenwart zu gewinnen hat, und hofft daher auf die Zu¬
kunft, d. h. er glaubt an die Macht der Nothwendigkeit,
der das Werk der Zukunft vorbehalten ist. Der Gegen¬
wart gegenüber aber verzichtet er auf die Gegenwart, d. h.
auf das Erscheinen des Kunstwerkes auf der Oberfläche der
Gegenwart, der Oeffentlichkeit, folglich auf die Oeffent¬
lichkeit selbst, soweit sie der Mode gehört. Das große Ge¬
sammtkunstwerk, das alle Gattungen der Kunst zu umfassen
hat, um jede einzelne dieser Gattungen als Mittel gewisser¬
maßen zu verbrauchen, zu vernichten zu Gunsten der Er¬
reichung des Gesammtzweckes aller, nämlich der unbe¬
dingten, unmittelbaren Darstellung der vollendeten mensch¬
lichen Natur, -- dieses große Gesammtkunstwerk erkennt
er nicht als die willkürlich mögliche That des Einzelnen,
sondern als das nothwendig denkbare gemeinsame Werk
des Menschen der Zukunft. Der Trieb, der sich als einen
nur in der Gemeinsamkeit zu befriedigenden erkennt, ent¬

Hier ſieht denn der Geiſt, in ſeinem künſtleriſchen
Streben nach Wiedervereinigung mit der Natur im Kunſt¬
werke, ſich zu der einzigen Hoffnung auf die Zukunft hin¬
gewieſen, oder zur traurigen Kraftübung der Reſignation
gedrängt. Er begreift, daß er ſeine Erlöſung nur im ſinn¬
lich gegenwärtigen Kunſtwerke, daher alſo nur in einer
wahrhaft kunſtbedürftigen, d. h. kunſtbedingenden, aus
eigener Naturwahrheit und Schönheit kunſtzeugenden,
Gegenwart zu gewinnen hat, und hofft daher auf die Zu¬
kunft, d. h. er glaubt an die Macht der Nothwendigkeit,
der das Werk der Zukunft vorbehalten iſt. Der Gegen¬
wart gegenüber aber verzichtet er auf die Gegenwart, d. h.
auf das Erſcheinen des Kunſtwerkes auf der Oberfläche der
Gegenwart, der Oeffentlichkeit, folglich auf die Oeffent¬
lichkeit ſelbſt, ſoweit ſie der Mode gehört. Das große Ge¬
ſammtkunſtwerk, das alle Gattungen der Kunſt zu umfaſſen
hat, um jede einzelne dieſer Gattungen als Mittel gewiſſer¬
maßen zu verbrauchen, zu vernichten zu Gunſten der Er¬
reichung des Geſammtzweckes aller, nämlich der unbe¬
dingten, unmittelbaren Darſtellung der vollendeten menſch¬
lichen Natur, — dieſes große Geſammtkunſtwerk erkennt
er nicht als die willkürlich mögliche That des Einzelnen,
ſondern als das nothwendig denkbare gemeinſame Werk
des Menſchen der Zukunft. Der Trieb, der ſich als einen
nur in der Gemeinſamkeit zu befriedigenden erkennt, ent¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0048" n="32"/>
          <p>Hier &#x017F;ieht denn der Gei&#x017F;t, in &#x017F;einem kün&#x017F;tleri&#x017F;chen<lb/>
Streben nach Wiedervereinigung mit der Natur im Kun&#x017F;<lb/>
werke, &#x017F;ich zu der einzigen Hoffnung auf die Zukunft hin¬<lb/>
gewie&#x017F;en, oder zur traurigen Kraftübung der Re&#x017F;ignation<lb/>
gedrängt. Er begreift, daß er &#x017F;eine Erlö&#x017F;ung nur im &#x017F;inn¬<lb/>
lich gegenwärtigen Kun&#x017F;twerke, daher al&#x017F;o nur in einer<lb/>
wahrhaft kun&#x017F;tbedürftigen, d. h. kun&#x017F;tbedingenden, aus<lb/>
eigener Naturwahrheit und Schönheit kun&#x017F;tzeugenden,<lb/>
Gegenwart zu gewinnen hat, und hofft daher auf die Zu¬<lb/>
kunft, d. h. er glaubt an die Macht der Nothwendigkeit,<lb/>
der das Werk der Zukunft vorbehalten i&#x017F;t. Der Gegen¬<lb/>
wart gegenüber aber verzichtet er auf die Gegenwart, d. h.<lb/>
auf das Er&#x017F;cheinen des Kun&#x017F;twerkes auf der Oberfläche der<lb/>
Gegenwart, der Oeffentlichkeit, folglich auf die Oeffent¬<lb/>
lichkeit &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;oweit &#x017F;ie der Mode gehört. Das große Ge¬<lb/>
&#x017F;ammtkun&#x017F;twerk, das alle Gattungen der Kun&#x017F;t zu umfa&#x017F;&#x017F;en<lb/>
hat, um jede einzelne die&#x017F;er Gattungen als Mittel gewi&#x017F;&#x017F;er¬<lb/>
maßen zu verbrauchen, zu vernichten zu Gun&#x017F;ten der Er¬<lb/>
reichung des Ge&#x017F;ammtzweckes <hi rendition="#g">aller</hi>, nämlich der unbe¬<lb/>
dingten, unmittelbaren Dar&#x017F;tellung der vollendeten men&#x017F;ch¬<lb/>
lichen Natur, &#x2014; die&#x017F;es große Ge&#x017F;ammtkun&#x017F;twerk erkennt<lb/>
er nicht als die willkürlich mögliche That des Einzelnen,<lb/>
&#x017F;ondern als das nothwendig denkbare gemein&#x017F;ame Werk<lb/>
des Men&#x017F;chen der Zukunft. Der Trieb, der &#x017F;ich als einen<lb/>
nur in der Gemein&#x017F;amkeit zu befriedigenden erkennt, ent¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0048] Hier ſieht denn der Geiſt, in ſeinem künſtleriſchen Streben nach Wiedervereinigung mit der Natur im Kunſt¬ werke, ſich zu der einzigen Hoffnung auf die Zukunft hin¬ gewieſen, oder zur traurigen Kraftübung der Reſignation gedrängt. Er begreift, daß er ſeine Erlöſung nur im ſinn¬ lich gegenwärtigen Kunſtwerke, daher alſo nur in einer wahrhaft kunſtbedürftigen, d. h. kunſtbedingenden, aus eigener Naturwahrheit und Schönheit kunſtzeugenden, Gegenwart zu gewinnen hat, und hofft daher auf die Zu¬ kunft, d. h. er glaubt an die Macht der Nothwendigkeit, der das Werk der Zukunft vorbehalten iſt. Der Gegen¬ wart gegenüber aber verzichtet er auf die Gegenwart, d. h. auf das Erſcheinen des Kunſtwerkes auf der Oberfläche der Gegenwart, der Oeffentlichkeit, folglich auf die Oeffent¬ lichkeit ſelbſt, ſoweit ſie der Mode gehört. Das große Ge¬ ſammtkunſtwerk, das alle Gattungen der Kunſt zu umfaſſen hat, um jede einzelne dieſer Gattungen als Mittel gewiſſer¬ maßen zu verbrauchen, zu vernichten zu Gunſten der Er¬ reichung des Geſammtzweckes aller, nämlich der unbe¬ dingten, unmittelbaren Darſtellung der vollendeten menſch¬ lichen Natur, — dieſes große Geſammtkunſtwerk erkennt er nicht als die willkürlich mögliche That des Einzelnen, ſondern als das nothwendig denkbare gemeinſame Werk des Menſchen der Zukunft. Der Trieb, der ſich als einen nur in der Gemeinſamkeit zu befriedigenden erkennt, ent¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/48
Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/48>, abgerufen am 03.12.2024.