Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

Dieß ist die freie Kunst. Der süß und stark bewe¬
gende Drang in jenem Reigen der Schwestern, ist der
Drang nach Freiheit; der Liebeskuß der Umschlungenen
die Wonne der gewonnenen Freiheit.

Der Einsame ist unfrei, weil beschränkt und ab¬
hängig in der Unliebe; der Gemeinsame frei, weil
unbeschränkt und unabhängig durch die Liebe. --

In Allem, was da ist, ist das Mächtigste der Lebens¬
trieb
; er ist die unwiderstehliche Kraft des Zusammen¬
hanges der Bedingungen, die das, was da ist, erst hervor¬
gerufen haben, -- der Dinge oder Lebenskräfte also, die
in dem, was durch sie ist, das sind, was sie in diesem Ver¬
einigungspunkte sein können und sein wollen. Der Mensch
befriedigt sein Lebensbedürfniß durch Nehmen von der
Natur: dies ist kein Raub sondern ein Empfangen, in sich
Aufnehmen, Verzehren dessen, was, als Lebensbedingung
des Menschen in ihn aufgenommen, verzehrt sein will; denn
diese Lebensbedingungen, selbst Lebensbedürfnisse, heben
sich ja nicht durch seine Geburt auf, -- sie währen und
nähren sich in ihm und durch ihn vielmehr so lange als er
lebt, und die Auflösung ihres Bundes ist eben erst --
der Tod. Das Lebensbedürfniß des Lebensbedürfnisses des
Menschen ist aber das Liebesbedürfniß. Wie die
Bedingungen des natürlichen Menschenlebens in dem Lie¬
besbunde untergeordneter Naturkräfte gegeben sind, die

Dieß iſt die freie Kunſt. Der ſüß und ſtark bewe¬
gende Drang in jenem Reigen der Schweſtern, iſt der
Drang nach Freiheit; der Liebeskuß der Umſchlungenen
die Wonne der gewonnenen Freiheit.

Der Einſame iſt unfrei, weil beſchränkt und ab¬
hängig in der Unliebe; der Gemeinſame frei, weil
unbeſchränkt und unabhängig durch die Liebe. —

In Allem, was da iſt, iſt das Mächtigſte der Lebens¬
trieb
; er iſt die unwiderſtehliche Kraft des Zuſammen¬
hanges der Bedingungen, die das, was da iſt, erſt hervor¬
gerufen haben, — der Dinge oder Lebenskräfte alſo, die
in dem, was durch ſie iſt, das ſind, was ſie in dieſem Ver¬
einigungspunkte ſein können und ſein wollen. Der Menſch
befriedigt ſein Lebensbedürfniß durch Nehmen von der
Natur: dies iſt kein Raub ſondern ein Empfangen, in ſich
Aufnehmen, Verzehren deſſen, was, als Lebensbedingung
des Menſchen in ihn aufgenommen, verzehrt ſein will; denn
dieſe Lebensbedingungen, ſelbſt Lebensbedürfniſſe, heben
ſich ja nicht durch ſeine Geburt auf, — ſie währen und
nähren ſich in ihm und durch ihn vielmehr ſo lange als er
lebt, und die Auflöſung ihres Bundes iſt eben erſt —
der Tod. Das Lebensbedürfniß des Lebensbedürfniſſes des
Menſchen iſt aber das Liebesbedürfniß. Wie die
Bedingungen des natürlichen Menſchenlebens in dem Lie¬
besbunde untergeordneter Naturkräfte gegeben ſind, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0061" n="45"/>
          <p>Dieß i&#x017F;t die freie Kun&#x017F;t. Der &#x017F;üß und &#x017F;tark bewe¬<lb/>
gende Drang in jenem Reigen der Schwe&#x017F;tern, i&#x017F;t der<lb/><hi rendition="#g">Drang nach Freiheit</hi>; der Liebeskuß der Um&#x017F;chlungenen<lb/><hi rendition="#g">die Wonne der gewonnenen Freiheit</hi>.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Der Ein&#x017F;ame i&#x017F;t unfrei</hi>, weil be&#x017F;chränkt und ab¬<lb/>
hängig in der Unliebe; <hi rendition="#g">der Gemein&#x017F;ame frei</hi>, weil<lb/>
unbe&#x017F;chränkt und unabhängig durch die Liebe. &#x2014;</p><lb/>
          <p>In Allem, was da i&#x017F;t, i&#x017F;t das Mächtig&#x017F;te der <hi rendition="#g">Lebens¬<lb/>
trieb</hi>; er i&#x017F;t die unwider&#x017F;tehliche Kraft des Zu&#x017F;ammen¬<lb/>
hanges der Bedingungen, die das, was da i&#x017F;t, er&#x017F;t hervor¬<lb/>
gerufen haben, &#x2014; der Dinge oder Lebenskräfte al&#x017F;o, die<lb/>
in dem, was durch &#x017F;ie i&#x017F;t, <hi rendition="#g">das</hi> &#x017F;ind, was &#x017F;ie in die&#x017F;em Ver¬<lb/>
einigungspunkte &#x017F;ein können und &#x017F;ein wollen. Der Men&#x017F;ch<lb/>
befriedigt &#x017F;ein Lebensbedürfniß durch <hi rendition="#g">Nehmen</hi> von der<lb/>
Natur: dies i&#x017F;t kein Raub &#x017F;ondern ein Empfangen, in &#x017F;ich<lb/>
Aufnehmen, Verzehren de&#x017F;&#x017F;en, was, als Lebensbedingung<lb/>
des Men&#x017F;chen in ihn aufgenommen, verzehrt &#x017F;ein will; denn<lb/>
die&#x017F;e Lebensbedingungen, <hi rendition="#g">&#x017F;elb&#x017F;t</hi> Lebensbedürfni&#x017F;&#x017F;e, heben<lb/>
&#x017F;ich ja nicht durch &#x017F;eine Geburt auf, &#x2014; &#x017F;ie währen und<lb/>
nähren &#x017F;ich in ihm und durch ihn vielmehr &#x017F;o lange als er<lb/>
lebt, und die Auflö&#x017F;ung ihres Bundes i&#x017F;t eben er&#x017F;t &#x2014;<lb/>
der Tod. Das Lebensbedürfniß des Lebensbedürfni&#x017F;&#x017F;es des<lb/>
Men&#x017F;chen i&#x017F;t aber das <hi rendition="#g">Liebesbedürfniß</hi>. Wie die<lb/>
Bedingungen des natürlichen Men&#x017F;chenlebens in dem Lie¬<lb/>
besbunde untergeordneter Naturkräfte gegeben &#x017F;ind, die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0061] Dieß iſt die freie Kunſt. Der ſüß und ſtark bewe¬ gende Drang in jenem Reigen der Schweſtern, iſt der Drang nach Freiheit; der Liebeskuß der Umſchlungenen die Wonne der gewonnenen Freiheit. Der Einſame iſt unfrei, weil beſchränkt und ab¬ hängig in der Unliebe; der Gemeinſame frei, weil unbeſchränkt und unabhängig durch die Liebe. — In Allem, was da iſt, iſt das Mächtigſte der Lebens¬ trieb; er iſt die unwiderſtehliche Kraft des Zuſammen¬ hanges der Bedingungen, die das, was da iſt, erſt hervor¬ gerufen haben, — der Dinge oder Lebenskräfte alſo, die in dem, was durch ſie iſt, das ſind, was ſie in dieſem Ver¬ einigungspunkte ſein können und ſein wollen. Der Menſch befriedigt ſein Lebensbedürfniß durch Nehmen von der Natur: dies iſt kein Raub ſondern ein Empfangen, in ſich Aufnehmen, Verzehren deſſen, was, als Lebensbedingung des Menſchen in ihn aufgenommen, verzehrt ſein will; denn dieſe Lebensbedingungen, ſelbſt Lebensbedürfniſſe, heben ſich ja nicht durch ſeine Geburt auf, — ſie währen und nähren ſich in ihm und durch ihn vielmehr ſo lange als er lebt, und die Auflöſung ihres Bundes iſt eben erſt — der Tod. Das Lebensbedürfniß des Lebensbedürfniſſes des Menſchen iſt aber das Liebesbedürfniß. Wie die Bedingungen des natürlichen Menſchenlebens in dem Lie¬ besbunde untergeordneter Naturkräfte gegeben ſind, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/61
Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/61>, abgerufen am 21.11.2024.