Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.nach Verständniß, Erlösung, Aufgehen in dem Höheren, Wie aber der Mensch, so wird auch alles von ihm *) Dieser kultivirte Menschenverzehrer unterscheidet sich vom
wilden Menschenfresser nur durch größere und raffinirtere Lecker¬ haftigkeit, indem er den feinschmeckenden Lebenssaft seines Mit¬ menschen allein verzehrt, wogegen der Wilde alle grobe Zuthat mit verschlingt; der Erstere vermag daher auf einen Sitz eine größere Anzahl Menschen zugleich zu genießen, während der Zweite, beim besten Appetite, mit einem einzigen kaum fertig wird. nach Verſtändniß, Erlöſung, Aufgehen in dem Höheren, Wie aber der Menſch, ſo wird auch alles von ihm *) Dieſer kultivirte Menſchenverzehrer unterſcheidet ſich vom
wilden Menſchenfreſſer nur durch größere und raffinirtere Lecker¬ haftigkeit, indem er den feinſchmeckenden Lebensſaft ſeines Mit¬ menſchen allein verzehrt, wogegen der Wilde alle grobe Zuthat mit verſchlingt; der Erſtere vermag daher auf einen Sitz eine größere Anzahl Menſchen zugleich zu genießen, während der Zweite, beim beſten Appetite, mit einem einzigen kaum fertig wird. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0062" n="46"/> nach Verſtändniß, Erlöſung, Aufgehen in dem Höheren,<lb/> eben <hi rendition="#g">dem Menſchen</hi>, verlangten — ſo findet der Menſch<lb/> ſein Verſtändniß, ſeine Erlöſung und Befriedigung, gleich¬<lb/> falls nur in einem Höheren; dieſes Höhere iſt aber die<lb/><hi rendition="#g">menſchliche Gattung</hi>, die <hi rendition="#g">Gemeinſchaft der Men¬<lb/> ſchen</hi>, denn es giebt für <hi rendition="#g">den</hi> Menſchen nur ein Höheres<lb/> als er ſelbſt: <hi rendition="#g">Die</hi> Menſchen. Die Befriedigung ſeines<lb/> Liebesbedürfniſſes gewinnt aber der Menſch nur durch<lb/><hi rendition="#g">das Geben</hi>, und zwar durch das <hi rendition="#g">Sichſelbſtgeben</hi> an<lb/> andere Menſchen, in höchſter Steigerung <hi rendition="#g">an die Men¬<lb/> ſchen überhaupt</hi>. Das Entſetzliche in dem abſoluten<lb/> Egoiſten iſt, daß er auch in den (anderen) Menſchen nur<lb/> Naturbedingungen ſeiner Exiſtenz erkennt, ſie — wenn<lb/> auch auf ganz beſondere, barbariſch kultivirte Weiſe —<lb/><hi rendition="#g">verzehrt</hi> <note place="foot" n="*)"><lb/> Dieſer kultivirte Menſchenverzehrer unterſcheidet ſich vom<lb/> wilden Menſchenfreſſer nur durch größere und raffinirtere Lecker¬<lb/> haftigkeit, indem er den feinſchmeckenden Lebensſaft ſeines Mit¬<lb/> menſchen allein verzehrt, wogegen der Wilde alle grobe Zuthat mit<lb/> verſchlingt; der Erſtere vermag daher auf einen Sitz eine größere<lb/> Anzahl Menſchen zugleich zu genießen, während der Zweite, beim<lb/> beſten Appetite, mit einem einzigen kaum fertig wird.</note>wie die Früchte und Thiere der Natur, alſo<lb/> nicht <hi rendition="#g">geben</hi>, ſondern nur <hi rendition="#g">nehmen</hi> will.</p><lb/> <p>Wie aber der Menſch, ſo wird auch alles von ihm<lb/> Ausgehende oder Abgeleitete nicht frei, außer durch die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [46/0062]
nach Verſtändniß, Erlöſung, Aufgehen in dem Höheren,
eben dem Menſchen, verlangten — ſo findet der Menſch
ſein Verſtändniß, ſeine Erlöſung und Befriedigung, gleich¬
falls nur in einem Höheren; dieſes Höhere iſt aber die
menſchliche Gattung, die Gemeinſchaft der Men¬
ſchen, denn es giebt für den Menſchen nur ein Höheres
als er ſelbſt: Die Menſchen. Die Befriedigung ſeines
Liebesbedürfniſſes gewinnt aber der Menſch nur durch
das Geben, und zwar durch das Sichſelbſtgeben an
andere Menſchen, in höchſter Steigerung an die Men¬
ſchen überhaupt. Das Entſetzliche in dem abſoluten
Egoiſten iſt, daß er auch in den (anderen) Menſchen nur
Naturbedingungen ſeiner Exiſtenz erkennt, ſie — wenn
auch auf ganz beſondere, barbariſch kultivirte Weiſe —
verzehrt *)wie die Früchte und Thiere der Natur, alſo
nicht geben, ſondern nur nehmen will.
Wie aber der Menſch, ſo wird auch alles von ihm
Ausgehende oder Abgeleitete nicht frei, außer durch die
*)
Dieſer kultivirte Menſchenverzehrer unterſcheidet ſich vom
wilden Menſchenfreſſer nur durch größere und raffinirtere Lecker¬
haftigkeit, indem er den feinſchmeckenden Lebensſaft ſeines Mit¬
menſchen allein verzehrt, wogegen der Wilde alle grobe Zuthat mit
verſchlingt; der Erſtere vermag daher auf einen Sitz eine größere
Anzahl Menſchen zugleich zu genießen, während der Zweite, beim
beſten Appetite, mit einem einzigen kaum fertig wird.
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Zitationshilfe: | Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/62>, abgerufen am 16.02.2025. |