liebe; stiftet Gott und der Kunst Tempel; errichtet Spitäler um das kranke Alter jung und gesund, -- Schulen, um die gesunde Jugend alt und krank zu machen; gründet Fakultäten, Rechtsbehörden, Verfassungen und Staaten und was Alles noch, -- nur, um zu beweisen, daß er nicht Egoismus sei: und dieß ist gerade der allerunerlös¬ barste und deshalb einzig verderbliche für sich und die All¬ gemeinheit. Dieß ist die Vereinzelung der Einzelnen, in der alles vereinzelte Nichtige Etwas, das ganze Allgemeine aber Nichts sein soll; in der sich jeder brüstet, ganz für sich etwas Besonderes, Originelles zu sein, während das Ganze in Wahrheit dann nichts Besonderes und ewig nur Nach¬ gemachtes ist. Dieß ist die Selbstständigkeit des Indivi¬ duums, bei welcher jeder Einzelne, um durchaus "mit Gottes Hülfe frei" zu sein, auf Kosten des Andern lebt, das zu sein vorgiebt, was Andere sind, kurz, die um¬ gekehrte Lehre Jesus': "Nehmen ist seliger, denn Geben" -- befolgt.
Dieß ist der wahre Egoismus, in welchem jede ein¬ zelne Kunstart sich als allgemeine Kunst gebärden möchte, während sie in Wahrheit dadurch ihre wirkliche Eigenthümlichkeit nur noch verliert. Prüfen wir näher, was unter solchen Bedingungen aus jenen drei holdseligen hellenischen Schwestern geworden ist! --
liebe; ſtiftet Gott und der Kunſt Tempel; errichtet Spitäler um das kranke Alter jung und geſund, — Schulen, um die geſunde Jugend alt und krank zu machen; gründet Fakultäten, Rechtsbehörden, Verfaſſungen und Staaten und was Alles noch, — nur, um zu beweiſen, daß er nicht Egoismus ſei: und dieß iſt gerade der allerunerlös¬ barſte und deshalb einzig verderbliche für ſich und die All¬ gemeinheit. Dieß iſt die Vereinzelung der Einzelnen, in der alles vereinzelte Nichtige Etwas, das ganze Allgemeine aber Nichts ſein ſoll; in der ſich jeder brüſtet, ganz für ſich etwas Beſonderes, Originelles zu ſein, während das Ganze in Wahrheit dann nichts Beſonderes und ewig nur Nach¬ gemachtes iſt. Dieß iſt die Selbſtſtändigkeit des Indivi¬ duums, bei welcher jeder Einzelne, um durchaus „mit Gottes Hülfe frei“ zu ſein, auf Koſten des Andern lebt, das zu ſein vorgiebt, was Andere ſind, kurz, die um¬ gekehrte Lehre Jeſus': „Nehmen iſt ſeliger, denn Geben“ — befolgt.
Dieß iſt der wahre Egoismus, in welchem jede ein¬ zelne Kunſtart ſich als allgemeine Kunſt gebärden möchte, während ſie in Wahrheit dadurch ihre wirkliche Eigenthümlichkeit nur noch verliert. Prüfen wir näher, was unter ſolchen Bedingungen aus jenen drei holdſeligen helleniſchen Schweſtern geworden iſt! —
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um das kranke Alter jung und geſund, — Schulen, um
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Fakultäten, Rechtsbehörden, Verfaſſungen und Staaten
und was Alles noch, — nur, um zu beweiſen, daß er
nicht Egoismus ſei: und dieß iſt gerade der allerunerlös¬
barſte und deshalb einzig verderbliche für ſich und die All¬
gemeinheit. Dieß iſt die Vereinzelung der Einzelnen, in
der alles vereinzelte Nichtige Etwas, das ganze Allgemeine
aber Nichts ſein ſoll; in der ſich jeder brüſtet, ganz für ſich
etwas Beſonderes, Originelles zu ſein, während das Ganze
in Wahrheit dann nichts Beſonderes und ewig nur Nach¬
gemachtes iſt. Dieß iſt die Selbſtſtändigkeit des Indivi¬
duums, bei welcher jeder Einzelne, um durchaus „mit
Gottes Hülfe frei“ zu ſein, auf Koſten des Andern lebt,
das zu ſein vorgiebt, was Andere ſind, kurz, die um¬
gekehrte Lehre Jeſus': „Nehmen iſt ſeliger, denn Geben“
— befolgt.
Dieß iſt der wahre Egoismus, in welchem jede ein¬
zelne Kunſtart ſich als allgemeine Kunſt gebärden
möchte, während ſie in Wahrheit dadurch ihre wirkliche
Eigenthümlichkeit nur noch verliert. Prüfen wir näher,
was unter ſolchen Bedingungen aus jenen drei holdſeligen
helleniſchen Schweſtern geworden iſt! —
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/66>, abgerufen am 16.02.2025.
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