Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.liebe; stiftet Gott und der Kunst Tempel; errichtet Spitäler Dieß ist der wahre Egoismus, in welchem jede ein¬ liebe; ſtiftet Gott und der Kunſt Tempel; errichtet Spitäler Dieß iſt der wahre Egoismus, in welchem jede ein¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0066" n="50"/> liebe; ſtiftet Gott und der Kunſt Tempel; errichtet Spitäler<lb/> um das kranke Alter jung und geſund, — Schulen, um<lb/> die geſunde Jugend alt und krank zu machen; gründet<lb/> Fakultäten, Rechtsbehörden, Verfaſſungen und Staaten<lb/> und was Alles noch, — nur, um zu beweiſen, daß er<lb/> nicht Egoismus ſei: und dieß iſt gerade der allerunerlös¬<lb/> barſte und deshalb einzig verderbliche für ſich und die All¬<lb/> gemeinheit. Dieß iſt die Vereinzelung der Einzelnen, in<lb/> der alles vereinzelte Nichtige Etwas, das ganze Allgemeine<lb/> aber Nichts ſein ſoll; in der ſich jeder brüſtet, ganz für ſich<lb/> etwas Beſonderes, Originelles zu ſein, während das Ganze<lb/> in Wahrheit dann nichts Beſonderes und ewig nur Nach¬<lb/> gemachtes iſt. Dieß iſt die Selbſtſtändigkeit des Indivi¬<lb/> duums, bei welcher jeder Einzelne, um durchaus „mit<lb/> Gottes Hülfe frei“ zu ſein, auf Koſten des Andern lebt,<lb/><hi rendition="#g">das</hi> zu ſein vorgiebt, was Andere <hi rendition="#g">ſind</hi>, kurz, die <hi rendition="#g">um</hi>¬<lb/> gekehrte Lehre Jeſus': „<hi rendition="#g">Nehmen</hi> iſt ſeliger, denn Geben“<lb/> — befolgt.</p><lb/> <p>Dieß iſt der wahre Egoismus, in welchem jede <hi rendition="#g">ein¬<lb/> zelne Kunſtart</hi> ſich als allgemeine <hi rendition="#g">Kunſt</hi> gebärden<lb/> möchte, während ſie in Wahrheit dadurch ihre wirkliche<lb/> Eigenthümlichkeit nur noch verliert. Prüfen wir näher,<lb/> was unter ſolchen Bedingungen aus jenen drei holdſeligen<lb/> helleniſchen Schweſtern geworden iſt! —</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [50/0066]
liebe; ſtiftet Gott und der Kunſt Tempel; errichtet Spitäler
um das kranke Alter jung und geſund, — Schulen, um
die geſunde Jugend alt und krank zu machen; gründet
Fakultäten, Rechtsbehörden, Verfaſſungen und Staaten
und was Alles noch, — nur, um zu beweiſen, daß er
nicht Egoismus ſei: und dieß iſt gerade der allerunerlös¬
barſte und deshalb einzig verderbliche für ſich und die All¬
gemeinheit. Dieß iſt die Vereinzelung der Einzelnen, in
der alles vereinzelte Nichtige Etwas, das ganze Allgemeine
aber Nichts ſein ſoll; in der ſich jeder brüſtet, ganz für ſich
etwas Beſonderes, Originelles zu ſein, während das Ganze
in Wahrheit dann nichts Beſonderes und ewig nur Nach¬
gemachtes iſt. Dieß iſt die Selbſtſtändigkeit des Indivi¬
duums, bei welcher jeder Einzelne, um durchaus „mit
Gottes Hülfe frei“ zu ſein, auf Koſten des Andern lebt,
das zu ſein vorgiebt, was Andere ſind, kurz, die um¬
gekehrte Lehre Jeſus': „Nehmen iſt ſeliger, denn Geben“
— befolgt.
Dieß iſt der wahre Egoismus, in welchem jede ein¬
zelne Kunſtart ſich als allgemeine Kunſt gebärden
möchte, während ſie in Wahrheit dadurch ihre wirkliche
Eigenthümlichkeit nur noch verliert. Prüfen wir näher,
was unter ſolchen Bedingungen aus jenen drei holdſeligen
helleniſchen Schweſtern geworden iſt! —
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