Die realste aller Kunstarten ist die Tanzkunst. Ihr künstlerischer Stoff ist der wirkliche leibliche Mensch, und zwar nicht ein Theil desselben, sondern der ganze, von der Fußsohle bis zum Scheitel, wie er dem Auge sich darstellt. Sie schließt daher in sich die Bedingungen für die Kund¬ gebung aller übrigen Kunstarten ein: der singende und sprechende Mensch muß nothwendig leiblicher Mensch sein; durch seine äußere Gestalt, durch das Gebahren seiner Glieder gelangt der innere, singende und sprechende Mensch, zur Anschauung; Ton- und Dichtkunst werden in der Tanz¬ kunst (Mimik) dem vollkommenen kunstempfänglichen Men¬ schen, dem nicht nur hörenden, sondern auch sehenden, erst verständlich.
Frei wird das Kunstwerk erst, indem es sich unmittel¬ bar den entsprechenden Sinnen kundgiebt, wenn in seiner Mittheilung an diese Sinne, der Künstler des sichren Ver¬ ständnisses des von ihm Mitgetheilten sich bewußt wird. Der höchste, mittheilungswertheste Gegenstand der Kunst ist der Mensch; zu vollkommen bewußter eigener Beruhi¬ gung theilt sich der Mensch endlich nur durch seine leibliche Gestalt dem ihr entsprechenden Sinne, dem Auge, mit. Ohne Mittheilung an das Auge bleibt alle Kunst unbefrie¬
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3. Tanzkunſt.
Die realſte aller Kunſtarten iſt die Tanzkunſt. Ihr künſtleriſcher Stoff iſt der wirkliche leibliche Menſch, und zwar nicht ein Theil desſelben, ſondern der ganze, von der Fußſohle bis zum Scheitel, wie er dem Auge ſich darſtellt. Sie ſchließt daher in ſich die Bedingungen für die Kund¬ gebung aller übrigen Kunſtarten ein: der ſingende und ſprechende Menſch muß nothwendig leiblicher Menſch ſein; durch ſeine äußere Geſtalt, durch das Gebahren ſeiner Glieder gelangt der innere, ſingende und ſprechende Menſch, zur Anſchauung; Ton- und Dichtkunſt werden in der Tanz¬ kunſt (Mimik) dem vollkommenen kunſtempfänglichen Men¬ ſchen, dem nicht nur hörenden, ſondern auch ſehenden, erſt verſtändlich.
Frei wird das Kunſtwerk erſt, indem es ſich unmittel¬ bar den entſprechenden Sinnen kundgiebt, wenn in ſeiner Mittheilung an dieſe Sinne, der Künſtler des ſichren Ver¬ ſtändniſſes des von ihm Mitgetheilten ſich bewußt wird. Der höchſte, mittheilungswertheſte Gegenſtand der Kunſt iſt der Menſch; zu vollkommen bewußter eigener Beruhi¬ gung theilt ſich der Menſch endlich nur durch ſeine leibliche Geſtalt dem ihr entſprechenden Sinne, dem Auge, mit. Ohne Mittheilung an das Auge bleibt alle Kunſt unbefrie¬
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Tanzkunſt.
Die realſte aller Kunſtarten iſt die Tanzkunſt. Ihr
künſtleriſcher Stoff iſt der wirkliche leibliche Menſch, und
zwar nicht ein Theil desſelben, ſondern der ganze, von der
Fußſohle bis zum Scheitel, wie er dem Auge ſich darſtellt.
Sie ſchließt daher in ſich die Bedingungen für die Kund¬
gebung aller übrigen Kunſtarten ein: der ſingende und
ſprechende Menſch muß nothwendig leiblicher Menſch ſein;
durch ſeine äußere Geſtalt, durch das Gebahren ſeiner
Glieder gelangt der innere, ſingende und ſprechende Menſch,
zur Anſchauung; Ton- und Dichtkunſt werden in der Tanz¬
kunſt (Mimik) dem vollkommenen kunſtempfänglichen Men¬
ſchen, dem nicht nur hörenden, ſondern auch ſehenden, erſt
verſtändlich.
Frei wird das Kunſtwerk erſt, indem es ſich unmittel¬
bar den entſprechenden Sinnen kundgiebt, wenn in ſeiner
Mittheilung an dieſe Sinne, der Künſtler des ſichren Ver¬
ſtändniſſes des von ihm Mitgetheilten ſich bewußt wird.
Der höchſte, mittheilungswertheſte Gegenſtand der Kunſt
iſt der Menſch; zu vollkommen bewußter eigener Beruhi¬
gung theilt ſich der Menſch endlich nur durch ſeine leibliche
Geſtalt dem ihr entſprechenden Sinne, dem Auge, mit.
Ohne Mittheilung an das Auge bleibt alle Kunſt unbefrie¬
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/67>, abgerufen am 16.02.2025.
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