Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

digend, daher selbst unbefriedigt, unfrei: sie bleibt, bei
höchster Vollendung ihres Ausdruckes für das Ohr oder
gar nur für das combinirende, mittelbar ersetzende Denk¬
vermögen, bis zu ihrer verständigungsvollen Mittheilung
auch an das Auge, nur eine wollende, noch nicht aber
vollkommen könnende; können muß aber die Kunst, und
vom Können hat sehr entsprechend in unsrer Sprache die
Kunst auch ihren Namen. --

Sinnliches Schmerz- oder Wohlempfinden giebt der
Leibesmensch unmittelbar an und mit den Gliedern seines
Leibes kund, welche Schmerz oder Lust empfinden; Schmerz-
oder Wohlempfinden des ganzen Leibes drückt er durch be¬
ziehungsvolle, zu einem Zusammenhange sich ergänzende
Bewegung aller oder der ausdrucksfähigsten Glieder aus;
aus der Beziehung zu einander selbst, dann aus dem Wechsel
der sich ergänzenden, deutenden Bewegungen, endlich aus
der mannigfachen Veränderung dieser Bewegungen -- wie
sie von dem Wechsel der von weicher Ruhe bis zu leiden¬
schaftlichem Ungestüm bald allmälig, bald heftig schnell
fortschreitenden Empfindungen bedingt werden, -- ent¬
stehen die Gesetze unendlich wechselnder Bewegung selbst,
nach denen der künstlerisch sich darstellende Mensch sich kund
giebt. Der von rohester Leidenschaftlichkeit beherrschte
Wilde kennt in seinem Tanze fast keinen anderen Wechsel,
als den gleichförmigsten Ungestümes und gleichförmigster,

digend, daher ſelbſt unbefriedigt, unfrei: ſie bleibt, bei
höchſter Vollendung ihres Ausdruckes für das Ohr oder
gar nur für das combinirende, mittelbar erſetzende Denk¬
vermögen, bis zu ihrer verſtändigungsvollen Mittheilung
auch an das Auge, nur eine wollende, noch nicht aber
vollkommen könnende; können muß aber die Kunſt, und
vom Können hat ſehr entſprechend in unſrer Sprache die
Kunſt auch ihren Namen. —

Sinnliches Schmerz- oder Wohlempfinden giebt der
Leibesmenſch unmittelbar an und mit den Gliedern ſeines
Leibes kund, welche Schmerz oder Luſt empfinden; Schmerz-
oder Wohlempfinden des ganzen Leibes drückt er durch be¬
ziehungsvolle, zu einem Zuſammenhange ſich ergänzende
Bewegung aller oder der ausdrucksfähigſten Glieder aus;
aus der Beziehung zu einander ſelbſt, dann aus dem Wechſel
der ſich ergänzenden, deutenden Bewegungen, endlich aus
der mannigfachen Veränderung dieſer Bewegungen — wie
ſie von dem Wechſel der von weicher Ruhe bis zu leiden¬
ſchaftlichem Ungeſtüm bald allmälig, bald heftig ſchnell
fortſchreitenden Empfindungen bedingt werden, — ent¬
ſtehen die Geſetze unendlich wechſelnder Bewegung ſelbſt,
nach denen der künſtleriſch ſich darſtellende Menſch ſich kund
giebt. Der von roheſter Leidenſchaftlichkeit beherrſchte
Wilde kennt in ſeinem Tanze faſt keinen anderen Wechſel,
als den gleichförmigſten Ungeſtümes und gleichförmigſter,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0068" n="52"/>
digend, daher &#x017F;elb&#x017F;t unbefriedigt, unfrei: &#x017F;ie bleibt, bei<lb/>
höch&#x017F;ter Vollendung ihres Ausdruckes für das Ohr oder<lb/>
gar nur für das combinirende, mittelbar er&#x017F;etzende Denk¬<lb/>
vermögen, bis zu ihrer ver&#x017F;tändigungsvollen Mittheilung<lb/>
auch an das Auge, nur eine <hi rendition="#g">wollende</hi>, noch nicht aber<lb/>
vollkommen <hi rendition="#g">könnende</hi>; können muß aber die Kun&#x017F;t, und<lb/>
vom <hi rendition="#g">Können</hi> hat &#x017F;ehr ent&#x017F;prechend in un&#x017F;rer Sprache die<lb/><hi rendition="#g">Kun&#x017F;t</hi> auch ihren Namen. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Sinnliches Schmerz- oder Wohlempfinden giebt der<lb/>
Leibesmen&#x017F;ch unmittelbar an und mit den Gliedern &#x017F;eines<lb/>
Leibes kund, welche Schmerz oder Lu&#x017F;t empfinden; Schmerz-<lb/>
oder Wohlempfinden des ganzen Leibes drückt er durch be¬<lb/>
ziehungsvolle, zu einem Zu&#x017F;ammenhange &#x017F;ich ergänzende<lb/>
Bewegung aller oder der ausdrucksfähig&#x017F;ten Glieder aus;<lb/>
aus der Beziehung zu einander &#x017F;elb&#x017F;t, dann aus dem Wech&#x017F;el<lb/>
der &#x017F;ich ergänzenden, deutenden Bewegungen, endlich aus<lb/>
der mannigfachen Veränderung die&#x017F;er Bewegungen &#x2014; wie<lb/>
&#x017F;ie von dem Wech&#x017F;el der von weicher Ruhe bis zu leiden¬<lb/>
&#x017F;chaftlichem Unge&#x017F;tüm bald allmälig, bald heftig &#x017F;chnell<lb/>
fort&#x017F;chreitenden Empfindungen bedingt werden, &#x2014; ent¬<lb/>
&#x017F;tehen die Ge&#x017F;etze unendlich wech&#x017F;elnder Bewegung &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
nach denen der kün&#x017F;tleri&#x017F;ch &#x017F;ich dar&#x017F;tellende Men&#x017F;ch &#x017F;ich kund<lb/>
giebt. Der von rohe&#x017F;ter Leiden&#x017F;chaftlichkeit beherr&#x017F;chte<lb/>
Wilde kennt in &#x017F;einem Tanze fa&#x017F;t keinen anderen Wech&#x017F;el,<lb/>
als den gleichförmig&#x017F;ten Unge&#x017F;tümes und gleichförmig&#x017F;ter,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0068] digend, daher ſelbſt unbefriedigt, unfrei: ſie bleibt, bei höchſter Vollendung ihres Ausdruckes für das Ohr oder gar nur für das combinirende, mittelbar erſetzende Denk¬ vermögen, bis zu ihrer verſtändigungsvollen Mittheilung auch an das Auge, nur eine wollende, noch nicht aber vollkommen könnende; können muß aber die Kunſt, und vom Können hat ſehr entſprechend in unſrer Sprache die Kunſt auch ihren Namen. — Sinnliches Schmerz- oder Wohlempfinden giebt der Leibesmenſch unmittelbar an und mit den Gliedern ſeines Leibes kund, welche Schmerz oder Luſt empfinden; Schmerz- oder Wohlempfinden des ganzen Leibes drückt er durch be¬ ziehungsvolle, zu einem Zuſammenhange ſich ergänzende Bewegung aller oder der ausdrucksfähigſten Glieder aus; aus der Beziehung zu einander ſelbſt, dann aus dem Wechſel der ſich ergänzenden, deutenden Bewegungen, endlich aus der mannigfachen Veränderung dieſer Bewegungen — wie ſie von dem Wechſel der von weicher Ruhe bis zu leiden¬ ſchaftlichem Ungeſtüm bald allmälig, bald heftig ſchnell fortſchreitenden Empfindungen bedingt werden, — ent¬ ſtehen die Geſetze unendlich wechſelnder Bewegung ſelbſt, nach denen der künſtleriſch ſich darſtellende Menſch ſich kund giebt. Der von roheſter Leidenſchaftlichkeit beherrſchte Wilde kennt in ſeinem Tanze faſt keinen anderen Wechſel, als den gleichförmigſten Ungeſtümes und gleichförmigſter,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/68
Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/68>, abgerufen am 21.11.2024.