Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.nur eine Compilation dieser Volkstänze: die Volksweise Diese Kunst hat daher kein Liebesbedürfniß; sie kann nur eine Compilation dieſer Volkstänze: die Volksweiſe Dieſe Kunſt hat daher kein Liebesbedürfniß; ſie kann <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0081" n="65"/> nur eine Compilation dieſer Volkstänze: die Volksweiſe<lb/> jeder Nationalität wird von ihr aufgenommen, verwendet,<lb/> entſtellt — aber nicht weiter entwickelt, weil ſie — als<lb/> Kunſt — immer nur von fremder Nahrung ſich erhält.<lb/> Ihr Verfahren iſt daher immer nur ein abſichtsvolles,<lb/> künſtliches Nachahmen, Zuſammenſetzen, ein Ineinander¬<lb/> ſchieben, keineswegs aber Zeugen und Neugeſtalten; ihr<lb/> Weſen iſt das der Mode, die aus bloßem Verlangen nach<lb/> Abwechſelung heute dieſer, morgen jener Weiſe den Vor¬<lb/> zug giebt. Sie muß ſich daher willkürliche Syſteme<lb/> machen, ihre Abſicht in Regeln bringen, in unnöthigen<lb/> Vorausſetzungen und Annahmen ſich kund geben, um von<lb/> ihren Jüngern begriffen und ausgeführt werden zu kön¬<lb/> nen. Dieſe Syſteme und Regeln <hi rendition="#g">vereinſamen</hi> ſie aber<lb/> als Kunſt vollends ganz, und verwehren ihr jede geſunde<lb/> Verbindung zur gemeinſchaftlichen Wirkſamkeit mit einer<lb/> anderen Kunſtart. Die nur durch Geſetze und willkürliche<lb/> Normen am künſtlichen Leben erhaltene Unnatur iſt durch¬<lb/> aus egoiſtiſch, und wie ſie aus ſich ſelbſt zeugungsunfähig iſt,<lb/> wird ihr auch jede Begattung unmöglich.</p><lb/> <p>Dieſe Kunſt hat daher kein Liebesbedürfniß; ſie kann<lb/> nur <hi rendition="#g">nehmen</hi>, nicht aber <hi rendition="#g">geben</hi>; ſie zieht allen fremden<lb/> Lebensſtoff in ſich hinein, zerſetzt und verzehrt ihn, löſt<lb/> ihn in ihr eigenes unfruchtbares Weſen auf, vermag aber<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [65/0081]
nur eine Compilation dieſer Volkstänze: die Volksweiſe
jeder Nationalität wird von ihr aufgenommen, verwendet,
entſtellt — aber nicht weiter entwickelt, weil ſie — als
Kunſt — immer nur von fremder Nahrung ſich erhält.
Ihr Verfahren iſt daher immer nur ein abſichtsvolles,
künſtliches Nachahmen, Zuſammenſetzen, ein Ineinander¬
ſchieben, keineswegs aber Zeugen und Neugeſtalten; ihr
Weſen iſt das der Mode, die aus bloßem Verlangen nach
Abwechſelung heute dieſer, morgen jener Weiſe den Vor¬
zug giebt. Sie muß ſich daher willkürliche Syſteme
machen, ihre Abſicht in Regeln bringen, in unnöthigen
Vorausſetzungen und Annahmen ſich kund geben, um von
ihren Jüngern begriffen und ausgeführt werden zu kön¬
nen. Dieſe Syſteme und Regeln vereinſamen ſie aber
als Kunſt vollends ganz, und verwehren ihr jede geſunde
Verbindung zur gemeinſchaftlichen Wirkſamkeit mit einer
anderen Kunſtart. Die nur durch Geſetze und willkürliche
Normen am künſtlichen Leben erhaltene Unnatur iſt durch¬
aus egoiſtiſch, und wie ſie aus ſich ſelbſt zeugungsunfähig iſt,
wird ihr auch jede Begattung unmöglich.
Dieſe Kunſt hat daher kein Liebesbedürfniß; ſie kann
nur nehmen, nicht aber geben; ſie zieht allen fremden
Lebensſtoff in ſich hinein, zerſetzt und verzehrt ihn, löſt
ihn in ihr eigenes unfruchtbares Weſen auf, vermag aber
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