das Maß der Dichtkunst, wie der Takt der Tanzkunst, zum nothwendigen Rhythmus des Herzensschlages.
Empfängt sie die Bedingungen, unter denen sie sich kund giebt, von ihren Schwestern, so giebt sie ihnen sie in unendlicher Verschönerung als Bedingung ihrer eigenen Kundgebungen zurück; führt die Tanzkunst ihr eigenes Be¬ wegungsgesetz der Tonkunst zu, so weist diese ihr es als seelenvoll sinnlich verkörperten Rhythmus zum Maße ver¬ edelter, verständlicher Bewegung wieder an; erhält sie von der Dichtkunst die sinnvolle Reihe scharfgeschnittener, durch Bedeutung und Maß verständnißvoll vereinter, Wörter als gedankenreich sinnlichen Körper zur Festigung ihres unendlich flüssigen Tonelementes, so führt sie ihr diese gesetzvolle Reihe mittelbar vorstellender, zu Bildern -- noch nicht aber zu unmittelbarem, unwillkürlich-noth¬ wendig wahrem Ausdrucke verdichteter, gedankenhaft-sehn¬ süchtiger Sprachlaute, als gefühlesunmittelbare, unfehl¬ bar rechtfertigende und erlösende Melodie wieder zu.
In tonbeseeltem Rhythmus und Melodie ge¬ winnen Tanzkunst und Dichtkunst ihr eigenes Wesen, sinnlich vergegenständlicht und unendlich verschönert und befähigt, wieder zurück, erkennen und lieben sich selbst. Rhythmus und Melodie sind aber die Arme der Tonkunst, mit denen diese ihre Schwestern zu liebevollem Verwachsen umschlingt; sie sind die Ufer, durch die sie, das Meer,
das Maß der Dichtkunſt, wie der Takt der Tanzkunſt, zum nothwendigen Rhythmus des Herzensſchlages.
Empfängt ſie die Bedingungen, unter denen ſie ſich kund giebt, von ihren Schweſtern, ſo giebt ſie ihnen ſie in unendlicher Verſchönerung als Bedingung ihrer eigenen Kundgebungen zurück; führt die Tanzkunſt ihr eigenes Be¬ wegungsgeſetz der Tonkunſt zu, ſo weiſt dieſe ihr es als ſeelenvoll ſinnlich verkörperten Rhythmus zum Maße ver¬ edelter, verſtändlicher Bewegung wieder an; erhält ſie von der Dichtkunſt die ſinnvolle Reihe ſcharfgeſchnittener, durch Bedeutung und Maß verſtändnißvoll vereinter, Wörter als gedankenreich ſinnlichen Körper zur Feſtigung ihres unendlich flüſſigen Tonelementes, ſo führt ſie ihr dieſe geſetzvolle Reihe mittelbar vorſtellender, zu Bildern — noch nicht aber zu unmittelbarem, unwillkürlich-noth¬ wendig wahrem Ausdrucke verdichteter, gedankenhaft-ſehn¬ ſüchtiger Sprachlaute, als gefühlesunmittelbare, unfehl¬ bar rechtfertigende und erlöſende Melodie wieder zu.
In tonbeſeeltem Rhythmus und Melodie ge¬ winnen Tanzkunſt und Dichtkunſt ihr eigenes Weſen, ſinnlich vergegenſtändlicht und unendlich verſchönert und befähigt, wieder zurück, erkennen und lieben ſich ſelbſt. Rhythmus und Melodie ſind aber die Arme der Tonkunſt, mit denen dieſe ihre Schweſtern zu liebevollem Verwachſen umſchlingt; ſie ſind die Ufer, durch die ſie, das Meer,
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das Maß der Dichtkunſt, wie der Takt der Tanzkunſt, zum
nothwendigen Rhythmus des Herzensſchlages.
Empfängt ſie die Bedingungen, unter denen ſie ſich
kund giebt, von ihren Schweſtern, ſo giebt ſie ihnen ſie in
unendlicher Verſchönerung als Bedingung ihrer eigenen
Kundgebungen zurück; führt die Tanzkunſt ihr eigenes Be¬
wegungsgeſetz der Tonkunſt zu, ſo weiſt dieſe ihr es als
ſeelenvoll ſinnlich verkörperten Rhythmus zum Maße ver¬
edelter, verſtändlicher Bewegung wieder an; erhält ſie von
der Dichtkunſt die ſinnvolle Reihe ſcharfgeſchnittener,
durch Bedeutung und Maß verſtändnißvoll vereinter,
Wörter als gedankenreich ſinnlichen Körper zur Feſtigung
ihres unendlich flüſſigen Tonelementes, ſo führt ſie ihr
dieſe geſetzvolle Reihe mittelbar vorſtellender, zu Bildern
— noch nicht aber zu unmittelbarem, unwillkürlich-noth¬
wendig wahrem Ausdrucke verdichteter, gedankenhaft-ſehn¬
ſüchtiger Sprachlaute, als gefühlesunmittelbare, unfehl¬
bar rechtfertigende und erlöſende Melodie wieder zu.
In tonbeſeeltem Rhythmus und Melodie ge¬
winnen Tanzkunſt und Dichtkunſt ihr eigenes Weſen,
ſinnlich vergegenſtändlicht und unendlich verſchönert und
befähigt, wieder zurück, erkennen und lieben ſich ſelbſt.
Rhythmus und Melodie ſind aber die Arme der Tonkunſt,
mit denen dieſe ihre Schweſtern zu liebevollem Verwachſen
umſchlingt; ſie ſind die Ufer, durch die ſie, das Meer,
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/85>, abgerufen am 16.02.2025.
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