Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.zwei Continente verbindet. Tritt dieses Meer von den Noch dürfen wir das Bild des Meeres für das Wesen zwei Continente verbindet. Tritt dieſes Meer von den Noch dürfen wir das Bild des Meeres für das Weſen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0086" n="70"/> zwei Continente verbindet. Tritt dieſes Meer von den<lb/> Ufern zurück, und breitet ſich die Wüſte des Abgrundes<lb/> zwiſchen ihm und den Ufern aus, ſo wird kein ſegelfrohes<lb/> Schiff mehr von dem einen zum andern Continente tragen;<lb/> auf immer bleiben ſie getrennt, — bis etwa mechaniſche<lb/> Erfindungen, vielleicht Eiſenbahnen, die Wüſte fahrbar zu<lb/> machen vermögen: dann ſetzt man wohl auch mit Dampf¬<lb/> ſchiffen vollends über das Meer, die Athemkraft des<lb/> allbelebenden Windhauches erſetzt der Qualm der Ma¬<lb/> ſchine: weht der Wind naturgemäß nach Oſten, was<lb/> kümmert's? — Die Maſchine klappert nach Weſten, wo¬<lb/> hin man gerade will; der Tanzmacher holt ſich ſo über den<lb/> dampfbezwungenen Meeresrücken der Muſik, vom Dich¬<lb/> tungscontinente her das Programm zu einer neuen Panto¬<lb/> mime, der Bühnenſtückverfertiger vom Tanzcontinente ſo¬<lb/> viel Beinſchwungſtoff, als ihm gerade zum Lockermachen<lb/> einer verſtockten Situation nöthig dünkt — ſehen wir,<lb/> was aus der Schweſter Tonkunſt ward ſeit dem Tode des<lb/> allliebenden Vaters <hi rendition="#g">Drama</hi>! —</p><lb/> <p>Noch dürfen wir das Bild des <hi rendition="#g">Meeres</hi> für das Weſen<lb/> der Tonkunſt nicht aufgeben. Sind <hi rendition="#g">Rhythmus</hi> und <hi rendition="#g">Melo¬<lb/> die</hi> die Ufer, an denen die Tonkunſt die beiden Continente<lb/> der ihr urverwandten Künſte erfaßt und befruchtend be¬<lb/> rührt, ſo iſt der Ton ſelbſt ihr flüſſiges ureigenes Ele¬<lb/> ment, die unermeßliche Ausdehnung dieſer Flüſſigkeit aber<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [70/0086]
zwei Continente verbindet. Tritt dieſes Meer von den
Ufern zurück, und breitet ſich die Wüſte des Abgrundes
zwiſchen ihm und den Ufern aus, ſo wird kein ſegelfrohes
Schiff mehr von dem einen zum andern Continente tragen;
auf immer bleiben ſie getrennt, — bis etwa mechaniſche
Erfindungen, vielleicht Eiſenbahnen, die Wüſte fahrbar zu
machen vermögen: dann ſetzt man wohl auch mit Dampf¬
ſchiffen vollends über das Meer, die Athemkraft des
allbelebenden Windhauches erſetzt der Qualm der Ma¬
ſchine: weht der Wind naturgemäß nach Oſten, was
kümmert's? — Die Maſchine klappert nach Weſten, wo¬
hin man gerade will; der Tanzmacher holt ſich ſo über den
dampfbezwungenen Meeresrücken der Muſik, vom Dich¬
tungscontinente her das Programm zu einer neuen Panto¬
mime, der Bühnenſtückverfertiger vom Tanzcontinente ſo¬
viel Beinſchwungſtoff, als ihm gerade zum Lockermachen
einer verſtockten Situation nöthig dünkt — ſehen wir,
was aus der Schweſter Tonkunſt ward ſeit dem Tode des
allliebenden Vaters Drama! —
Noch dürfen wir das Bild des Meeres für das Weſen
der Tonkunſt nicht aufgeben. Sind Rhythmus und Melo¬
die die Ufer, an denen die Tonkunſt die beiden Continente
der ihr urverwandten Künſte erfaßt und befruchtend be¬
rührt, ſo iſt der Ton ſelbſt ihr flüſſiges ureigenes Ele¬
ment, die unermeßliche Ausdehnung dieſer Flüſſigkeit aber
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