Und wie sie endlich mich fragte, warum krönen Sie ihn nicht auch den Lieben, Guten, und ich die Rosen nahm vom Haupte des Eros, und sie flocht um die weißen Locken des ruhigen Homeros, wie ich sie dann anblickte, und fragte: ist's recht so, und sie lächelte, und dem Alten den Kranz noch tiefer in die Stirne drückte und wieder schwieg, da, da verstand ich sie ganz, und ihr Blick war wie warme, glühende Mayensonne.
Und höre nur! Griechische Worte klangen von ihren Lippen! Die Sprache Homer's herausgewogt aus lächelnden Mädchenwangen!
Caton war in sich gekehrt und ergriff endlich meine Hand und fragte: Wollen wir nicht ins Freye? Mir fiel der Hügel ein an meiner Hütte. Wir stiegen hinauf. Auf dem grünen Rasen dro- ben setzten wir uns unter meiner Eiche. Jch er- zählte, wie ich diesen Baum lieb habe, wie er so alt sey, und doch noch jeden Frühling, wie ein Jüngling, blühe, und was ich da genieße und empfinde, wie ich so oft daliege, wann die Sonne untertaucht, und mein strebender Geist ihr dann folge, und, wie in einem Bad, im Abendroth sich kühle.
Und wie ſie endlich mich fragte, warum kroͤnen Sie ihn nicht auch den Lieben, Guten, und ich die Roſen nahm vom Haupte des Eros, und ſie flocht um die weißen Locken des ruhigen Homeros, wie ich ſie dann anblickte, und fragte: iſt’s recht ſo, und ſie laͤchelte, und dem Alten den Kranz noch tiefer in die Stirne druͤckte und wieder ſchwieg, da, da verſtand ich ſie ganz, und ihr Blick war wie warme, gluͤhende Mayenſonne.
Und hoͤre nur! Griechiſche Worte klangen von ihren Lippen! Die Sprache Homer’s herausgewogt aus laͤchelnden Maͤdchenwangen!
Caton war in ſich gekehrt und ergriff endlich meine Hand und fragte: Wollen wir nicht ins Freye? Mir fiel der Huͤgel ein an meiner Huͤtte. Wir ſtiegen hinauf. Auf dem gruͤnen Raſen dro- ben ſetzten wir uns unter meiner Eiche. Jch er- zaͤhlte, wie ich dieſen Baum lieb habe, wie er ſo alt ſey, und doch noch jeden Fruͤhling, wie ein Juͤngling, bluͤhe, und was ich da genieße und empfinde, wie ich ſo oft daliege, wann die Sonne untertaucht, und mein ſtrebender Geiſt ihr dann folge, und, wie in einem Bad, im Abendroth ſich kuͤhle.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0072"n="62"/><p>Und wie ſie endlich mich fragte, warum kroͤnen<lb/>
Sie ihn nicht auch den Lieben, Guten, und ich die<lb/>
Roſen nahm vom Haupte des Eros, und ſie flocht<lb/>
um die weißen Locken des ruhigen Homeros, wie<lb/>
ich ſie dann anblickte, und fragte: iſt’s recht ſo,<lb/>
und ſie laͤchelte, und dem Alten den Kranz noch<lb/>
tiefer in die Stirne druͤckte und wieder ſchwieg, da,<lb/>
da verſtand ich ſie ganz, und ihr Blick war wie<lb/>
warme, gluͤhende Mayenſonne.</p><lb/><p>Und hoͤre nur! Griechiſche Worte klangen von<lb/>
ihren Lippen! Die Sprache Homer’s herausgewogt<lb/>
aus laͤchelnden Maͤdchenwangen!</p><lb/><p>Caton war in ſich gekehrt und ergriff endlich<lb/>
meine Hand und fragte: Wollen wir nicht ins<lb/>
Freye? Mir fiel der Huͤgel ein an meiner Huͤtte.<lb/>
Wir ſtiegen hinauf. Auf dem gruͤnen Raſen dro-<lb/>
ben ſetzten wir uns unter meiner Eiche. Jch er-<lb/>
zaͤhlte, wie ich dieſen Baum lieb habe, wie er ſo<lb/>
alt ſey, und doch noch jeden Fruͤhling, wie ein<lb/>
Juͤngling, bluͤhe, und was ich da genieße und<lb/>
empfinde, wie ich ſo oft daliege, wann die Sonne<lb/>
untertaucht, und mein ſtrebender Geiſt ihr dann<lb/>
folge, und, wie in einem Bad, im Abendroth ſich<lb/>
kuͤhle.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[62/0072]
Und wie ſie endlich mich fragte, warum kroͤnen
Sie ihn nicht auch den Lieben, Guten, und ich die
Roſen nahm vom Haupte des Eros, und ſie flocht
um die weißen Locken des ruhigen Homeros, wie
ich ſie dann anblickte, und fragte: iſt’s recht ſo,
und ſie laͤchelte, und dem Alten den Kranz noch
tiefer in die Stirne druͤckte und wieder ſchwieg, da,
da verſtand ich ſie ganz, und ihr Blick war wie
warme, gluͤhende Mayenſonne.
Und hoͤre nur! Griechiſche Worte klangen von
ihren Lippen! Die Sprache Homer’s herausgewogt
aus laͤchelnden Maͤdchenwangen!
Caton war in ſich gekehrt und ergriff endlich
meine Hand und fragte: Wollen wir nicht ins
Freye? Mir fiel der Huͤgel ein an meiner Huͤtte.
Wir ſtiegen hinauf. Auf dem gruͤnen Raſen dro-
ben ſetzten wir uns unter meiner Eiche. Jch er-
zaͤhlte, wie ich dieſen Baum lieb habe, wie er ſo
alt ſey, und doch noch jeden Fruͤhling, wie ein
Juͤngling, bluͤhe, und was ich da genieße und
empfinde, wie ich ſo oft daliege, wann die Sonne
untertaucht, und mein ſtrebender Geiſt ihr dann
folge, und, wie in einem Bad, im Abendroth ſich
kuͤhle.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/72>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.