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Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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dem Prediger beim Kirchenvorstand eingebrachter Vorschlag, den Thran für die Sakristeiampel nicht mehr von Braunschweig, sondern aus einer Hamburger Thranbrennerei zu verschreiben, so setzte der Zeitgeist doch die Widerstrebenden von Jahr zu Jahr mehr zwischen Thür und Angel, bis sich zuletzt eine Art Fortschrittspartei bildete, welche ohne äußeren Zusammenhang sich doch in vielen Fragen allgemeiner Art an der Freisinnigkeit erkannte, mit der sie ihre Antworten gab.

Hedeper ist kein London, kein Paris. In diesen Städten würde es nicht bemerkt werden, wenn ein Einzelner, wie Herr Florian Habermus, sein kaffeebraunes Zimmer nach und nach immer einsamer zu finden beginnt und zu einer Stunde ins Wirthshaus geht, zu welcher in jenen großen Städten eben erst die Stühle auf die Wirthshaustische gestellt und die Erinnerungszeichen der Gäste vom Tage vorher mit dem Birkenbesen ausgekehrt werden. Hedeper ist ein kleines Oertchen und theilt die Eigenheiten derselben, von dem Gebahren jedes Einzelnen Kenntniß zu nehmen, sich durch eine Beurtheilung dieses Gebahrens daran zu betheiligen, jeden Vorfall in gewissem Sinne zu einem Ergebniß der Gesammtstimmung zu machen. Es könnte z. B. psychologisch nachgewiesen werden, daß der ins Wolfenbüttler Gefängniß transportirte Gänsehirte nur deshalb des Physicus fünf Ferkel stahl, weil ganz Hedeper, der selige Pfarrer obenan, der Ueberzeugung war, an den Galgen werde der Gänsehirte doch noch einmal kommen. Daß der Apotheker

dem Prediger beim Kirchenvorstand eingebrachter Vorschlag, den Thran für die Sakristeiampel nicht mehr von Braunschweig, sondern aus einer Hamburger Thranbrennerei zu verschreiben, so setzte der Zeitgeist doch die Widerstrebenden von Jahr zu Jahr mehr zwischen Thür und Angel, bis sich zuletzt eine Art Fortschrittspartei bildete, welche ohne äußeren Zusammenhang sich doch in vielen Fragen allgemeiner Art an der Freisinnigkeit erkannte, mit der sie ihre Antworten gab.

Hedeper ist kein London, kein Paris. In diesen Städten würde es nicht bemerkt werden, wenn ein Einzelner, wie Herr Florian Habermus, sein kaffeebraunes Zimmer nach und nach immer einsamer zu finden beginnt und zu einer Stunde ins Wirthshaus geht, zu welcher in jenen großen Städten eben erst die Stühle auf die Wirthshaustische gestellt und die Erinnerungszeichen der Gäste vom Tage vorher mit dem Birkenbesen ausgekehrt werden. Hedeper ist ein kleines Oertchen und theilt die Eigenheiten derselben, von dem Gebahren jedes Einzelnen Kenntniß zu nehmen, sich durch eine Beurtheilung dieses Gebahrens daran zu betheiligen, jeden Vorfall in gewissem Sinne zu einem Ergebniß der Gesammtstimmung zu machen. Es könnte z. B. psychologisch nachgewiesen werden, daß der ins Wolfenbüttler Gefängniß transportirte Gänsehirte nur deshalb des Physicus fünf Ferkel stahl, weil ganz Hedeper, der selige Pfarrer obenan, der Ueberzeugung war, an den Galgen werde der Gänsehirte doch noch einmal kommen. Daß der Apotheker

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:58:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:58:19Z)

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Zitationshilfe: Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910/13>, abgerufen am 23.11.2024.