Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 1. Gera, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

War dieses verrichtet; so konnte er wieder in
sein Stübchen schleichen, sein Pfeifchen anstecken,
und lesen, welches seine Lieblingsbeschäftigung war.
Er las aber keinesweges, was ihm in die Hände
fiel, sondern wirklich mit einer ihm ganz eignen
Auswahl. Bücher, die er verstand, waren nicht
nach seinem Sinne; sie kamen ihm vor, wie Men-
schen, die nur gewöhnlichen Alltagsverstand haben;
dagegen betrachtete er schwülstige oder schwärmeri-
sche Schriften, wo es schwer zu errathen ist, was
der Verfasser eigentlich meinet, oder in welcher Re-
gion er schwebe, als scharfsinnige und tiefdenkende
Männer, deren Umgang ihm Ehre machte.

Seine Abneigung gegen alle Mühe würde ihm
diesen Geschmack ohne Zweifel bald verleitet haben,
(denn immer zu lesen und zu lesen, ohne zu wissen,
was man gelesen hat, ist doch keines Menschen Sa-
che, der seine gesunde Vernunft besitzt;) aber er
hatte einen Freund, der zwischen ihm und den
großen Männern, mit deren Werken er sich unter-
hielt, Dolmetscher war. Mit dieser Hülfe also
überwand er jede Schwierigkeit, und gab sich ein
recht gelehrtes Ansehn, wenn er mit dem Meßca-
talog in der Hand, worinnen sein gelehrter
Freund immer Bücher mit den am meisten
Wunder versprechenden Titeln, anstrich in den

Buch-

War dieſes verrichtet; ſo konnte er wieder in
ſein Stuͤbchen ſchleichen, ſein Pfeifchen anſtecken,
und leſen, welches ſeine Lieblingsbeſchaͤftigung war.
Er las aber keinesweges, was ihm in die Haͤnde
fiel, ſondern wirklich mit einer ihm ganz eignen
Auswahl. Buͤcher, die er verſtand, waren nicht
nach ſeinem Sinne; ſie kamen ihm vor, wie Men-
ſchen, die nur gewoͤhnlichen Alltagsverſtand haben;
dagegen betrachtete er ſchwuͤlſtige oder ſchwaͤrmeri-
ſche Schriften, wo es ſchwer zu errathen iſt, was
der Verfaſſer eigentlich meinet, oder in welcher Re-
gion er ſchwebe, als ſcharfſinnige und tiefdenkende
Maͤnner, deren Umgang ihm Ehre machte.

Seine Abneigung gegen alle Muͤhe wuͤrde ihm
dieſen Geſchmack ohne Zweifel bald verleitet haben,
(denn immer zu leſen und zu leſen, ohne zu wiſſen,
was man geleſen hat, iſt doch keines Menſchen Sa-
che, der ſeine geſunde Vernunft beſitzt;) aber er
hatte einen Freund, der zwiſchen ihm und den
großen Maͤnnern, mit deren Werken er ſich unter-
hielt, Dolmetſcher war. Mit dieſer Huͤlfe alſo
uͤberwand er jede Schwierigkeit, und gab ſich ein
recht gelehrtes Anſehn, wenn er mit dem Meßca-
talog in der Hand, worinnen ſein gelehrter
Freund immer Buͤcher mit den am meiſten
Wunder verſprechenden Titeln, anſtrich in den

Buch-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0014" n="8"/>
        <p>War die&#x017F;es verrichtet; &#x017F;o konnte er wieder in<lb/>
&#x017F;ein Stu&#x0364;bchen &#x017F;chleichen, &#x017F;ein Pfeifchen an&#x017F;tecken,<lb/>
und le&#x017F;en, welches &#x017F;eine Lieblingsbe&#x017F;cha&#x0364;ftigung war.<lb/>
Er las aber keinesweges, was ihm in die Ha&#x0364;nde<lb/>
fiel, &#x017F;ondern wirklich mit einer ihm ganz eignen<lb/>
Auswahl. Bu&#x0364;cher, die er ver&#x017F;tand, waren nicht<lb/>
nach &#x017F;einem Sinne; &#x017F;ie kamen ihm vor, wie Men-<lb/>
&#x017F;chen, die nur gewo&#x0364;hnlichen Alltagsver&#x017F;tand haben;<lb/>
dagegen betrachtete er &#x017F;chwu&#x0364;l&#x017F;tige oder &#x017F;chwa&#x0364;rmeri-<lb/>
&#x017F;che Schriften, wo es &#x017F;chwer zu errathen i&#x017F;t, was<lb/>
der Verfa&#x017F;&#x017F;er eigentlich meinet, oder in welcher Re-<lb/>
gion er &#x017F;chwebe, als &#x017F;charf&#x017F;innige und tiefdenkende<lb/>
Ma&#x0364;nner, deren Umgang ihm Ehre machte.</p><lb/>
        <p>Seine Abneigung gegen alle Mu&#x0364;he wu&#x0364;rde ihm<lb/>
die&#x017F;en Ge&#x017F;chmack ohne Zweifel bald verleitet haben,<lb/>
(denn immer zu le&#x017F;en und zu le&#x017F;en, ohne zu wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
was man gele&#x017F;en hat, i&#x017F;t doch keines Men&#x017F;chen Sa-<lb/>
che, der &#x017F;eine ge&#x017F;unde Vernunft be&#x017F;itzt;) aber er<lb/>
hatte einen Freund, der zwi&#x017F;chen ihm und den<lb/>
großen Ma&#x0364;nnern, mit deren Werken er &#x017F;ich unter-<lb/>
hielt, Dolmet&#x017F;cher war. Mit die&#x017F;er Hu&#x0364;lfe al&#x017F;o<lb/>
u&#x0364;berwand er jede Schwierigkeit, und gab &#x017F;ich ein<lb/>
recht gelehrtes An&#x017F;ehn, wenn er mit dem Meßca-<lb/>
talog in der Hand, worinnen &#x017F;ein gelehrter<lb/>
Freund immer Bu&#x0364;cher mit den am mei&#x017F;ten<lb/>
Wunder ver&#x017F;prechenden Titeln, an&#x017F;trich in den<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Buch-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0014] War dieſes verrichtet; ſo konnte er wieder in ſein Stuͤbchen ſchleichen, ſein Pfeifchen anſtecken, und leſen, welches ſeine Lieblingsbeſchaͤftigung war. Er las aber keinesweges, was ihm in die Haͤnde fiel, ſondern wirklich mit einer ihm ganz eignen Auswahl. Buͤcher, die er verſtand, waren nicht nach ſeinem Sinne; ſie kamen ihm vor, wie Men- ſchen, die nur gewoͤhnlichen Alltagsverſtand haben; dagegen betrachtete er ſchwuͤlſtige oder ſchwaͤrmeri- ſche Schriften, wo es ſchwer zu errathen iſt, was der Verfaſſer eigentlich meinet, oder in welcher Re- gion er ſchwebe, als ſcharfſinnige und tiefdenkende Maͤnner, deren Umgang ihm Ehre machte. Seine Abneigung gegen alle Muͤhe wuͤrde ihm dieſen Geſchmack ohne Zweifel bald verleitet haben, (denn immer zu leſen und zu leſen, ohne zu wiſſen, was man geleſen hat, iſt doch keines Menſchen Sa- che, der ſeine geſunde Vernunft beſitzt;) aber er hatte einen Freund, der zwiſchen ihm und den großen Maͤnnern, mit deren Werken er ſich unter- hielt, Dolmetſcher war. Mit dieſer Huͤlfe alſo uͤberwand er jede Schwierigkeit, und gab ſich ein recht gelehrtes Anſehn, wenn er mit dem Meßca- talog in der Hand, worinnen ſein gelehrter Freund immer Buͤcher mit den am meiſten Wunder verſprechenden Titeln, anſtrich in den Buch-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz01_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz01_1800/14
Zitationshilfe: Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 1. Gera, 1800, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz01_1800/14>, abgerufen am 23.11.2024.