von ihr lernte. Denn wenn etwas von der Art, wie ich selbst es zehnmal ärger that, von andern geschah; so wußten wir uns weidlich darüber aufzu- halten und unser Mißfallen daran zu bezeigen. Hatte eine Sache Beziehung auf uns; so schimpf- ten wir, was nur schimpfen heißt, ließen's auch nicht an Rache fehlen, und suchten alle Leute, die es nur hören wollten, zu überreden, daß es kein gottloseres Geschöpf auf der Welt geben könne, als eben den, der uns beleidigt hatte. Was wir dann von seinen Fehlern, Schwachheiten und Unarten in unserm Gedächtniß nur auftreiben konnten, das gaben wir, vermehrt und verbessert aus dem Waa- renlager unsrer Urtheilskraft reichlich und unent- geldlich Preis.
Allein, wie ich schon zu verstehen gegeben ha- be, eine Handlung oder Meinung hatte in den Augen meiner Muter, mithin auch in den meini- gen, ein ander Ansehn, wenn sie von mir geschah, gemeint oder begangen wurde. Diesen Glau- ben kann ich noch nicht ablegen, und ich werde meine Leser für die höflichsten Leute von der Welt halten, wenn auch sie denselben bei meiner Ge- schichte fleißig vor Augen haben wollen.
Sollten sie mich dann und wann in lüderli- cher Gesellschaft finden, sollten sie erfahren, daß
ich
von ihr lernte. Denn wenn etwas von der Art, wie ich ſelbſt es zehnmal aͤrger that, von andern geſchah; ſo wußten wir uns weidlich daruͤber aufzu- halten und unſer Mißfallen daran zu bezeigen. Hatte eine Sache Beziehung auf uns; ſo ſchimpf- ten wir, was nur ſchimpfen heißt, ließen’s auch nicht an Rache fehlen, und ſuchten alle Leute, die es nur hoͤren wollten, zu uͤberreden, daß es kein gottloſeres Geſchoͤpf auf der Welt geben koͤnne, als eben den, der uns beleidigt hatte. Was wir dann von ſeinen Fehlern, Schwachheiten und Unarten in unſerm Gedaͤchtniß nur auftreiben konnten, das gaben wir, vermehrt und verbeſſert aus dem Waa- renlager unſrer Urtheilskraft reichlich und unent- geldlich Preis.
Allein, wie ich ſchon zu verſtehen gegeben ha- be, eine Handlung oder Meinung hatte in den Augen meiner Muter, mithin auch in den meini- gen, ein ander Anſehn, wenn ſie von mir geſchah, gemeint oder begangen wurde. Dieſen Glau- ben kann ich noch nicht ablegen, und ich werde meine Leſer fuͤr die hoͤflichſten Leute von der Welt halten, wenn auch ſie denſelben bei meiner Ge- ſchichte fleißig vor Augen haben wollen.
Sollten ſie mich dann und wann in luͤderli- cher Geſellſchaft finden, ſollten ſie erfahren, daß
ich
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von ihr lernte. Denn wenn etwas von der Art,<lb/>
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von ihr lernte. Denn wenn etwas von der Art,
wie ich ſelbſt es zehnmal aͤrger that, von andern
geſchah; ſo wußten wir uns weidlich daruͤber aufzu-
halten und unſer Mißfallen daran zu bezeigen.
Hatte eine Sache Beziehung auf uns; ſo ſchimpf-
ten wir, was nur ſchimpfen heißt, ließen’s auch
nicht an Rache fehlen, und ſuchten alle Leute, die
es nur hoͤren wollten, zu uͤberreden, daß es kein
gottloſeres Geſchoͤpf auf der Welt geben koͤnne, als
eben den, der uns beleidigt hatte. Was wir dann
von ſeinen Fehlern, Schwachheiten und Unarten
in unſerm Gedaͤchtniß nur auftreiben konnten, das
gaben wir, vermehrt und verbeſſert aus dem Waa-
renlager unſrer Urtheilskraft reichlich und unent-
geldlich Preis.
Allein, wie ich ſchon zu verſtehen gegeben ha-
be, eine Handlung oder Meinung hatte in den
Augen meiner Muter, mithin auch in den meini-
gen, ein ander Anſehn, wenn ſie von mir geſchah,
gemeint oder begangen wurde. Dieſen Glau-
ben kann ich noch nicht ablegen, und ich werde
meine Leſer fuͤr die hoͤflichſten Leute von der Welt
halten, wenn auch ſie denſelben bei meiner Ge-
ſchichte fleißig vor Augen haben wollen.
Sollten ſie mich dann und wann in luͤderli-
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Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 1. Gera, 1800, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz01_1800/8>, abgerufen am 23.11.2024.
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