ner Mutter in der Behauptung vollkommen recht, daß es ein dummes und tückisches Geschöpf wäre, und wenn ich in den Schulstunden (wo ich nie eine andere Lection nahm, als die mir gerade gefiel, und sie nur fortsetzte, so lange sie mir gefiel), jeden er- denklichen Muthwillen an ihr ausüben wollte, so sagte er nichts dazu, oder lachte wohl gar über meine Leichtfertigkeit. Es war ihm eben recht, daß ich nicht Lust was zu lernen hatte, denn nicht nur war er selbst faul, sondern er verstand eigentlich nicht einmal so viel, als nöthig ist, um auch nur Kinder von unsern Jahren zu unterrichten. Mit diesem Nichtsthun kamen wir, der Hofmeister und ich, länger als ein Jahr, als so lange Herr Null mit mir in ziemlichem Vernehmen stand, recht gut weg, denn meine Mutter, welche andere Be- schäftigungen hatte, fragte nie nach meinen Fort- schritten; geschah es ja, so ward die Frage mit der Versicherung beantwortet, daß ich recht gut lernte, und diese ward geglaubt. Der Vormund hatte, so wie auch meine Mutter selbst, nicht den geringsten Begriff von der gehörigen Zucht und von dem, was ein Knabe lernen, oder wie es ihm beigebracht werden muß; auch er ließ sich weis machen, daß ich ein wohlunterrichteter und gelehriger Knabe sei, und war froh, daß niemand die nähere Untersuchung von ihm forderte.
So-
G 2
ner Mutter in der Behauptung vollkommen recht, daß es ein dummes und tuͤckiſches Geſchoͤpf waͤre, und wenn ich in den Schulſtunden (wo ich nie eine andere Lection nahm, als die mir gerade gefiel, und ſie nur fortſetzte, ſo lange ſie mir gefiel), jeden er- denklichen Muthwillen an ihr ausuͤben wollte, ſo ſagte er nichts dazu, oder lachte wohl gar uͤber meine Leichtfertigkeit. Es war ihm eben recht, daß ich nicht Luſt was zu lernen hatte, denn nicht nur war er ſelbſt faul, ſondern er verſtand eigentlich nicht einmal ſo viel, als noͤthig iſt, um auch nur Kinder von unſern Jahren zu unterrichten. Mit dieſem Nichtsthun kamen wir, der Hofmeiſter und ich, laͤnger als ein Jahr, als ſo lange Herr Null mit mir in ziemlichem Vernehmen ſtand, recht gut weg, denn meine Mutter, welche andere Be- ſchaͤftigungen hatte, fragte nie nach meinen Fort- ſchritten; geſchah es ja, ſo ward die Frage mit der Verſicherung beantwortet, daß ich recht gut lernte, und dieſe ward geglaubt. Der Vormund hatte, ſo wie auch meine Mutter ſelbſt, nicht den geringſten Begriff von der gehoͤrigen Zucht und von dem, was ein Knabe lernen, oder wie es ihm beigebracht werden muß; auch er ließ ſich weis machen, daß ich ein wohlunterrichteter und gelehriger Knabe ſei, und war froh, daß niemand die naͤhere Unterſuchung von ihm forderte.
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ner Mutter in der Behauptung vollkommen recht,
daß es ein dummes und tuͤckiſches Geſchoͤpf waͤre,
und wenn ich in den Schulſtunden (wo ich nie eine
andere Lection nahm, als die mir gerade gefiel, und
ſie nur fortſetzte, ſo lange ſie mir gefiel), jeden er-
denklichen Muthwillen an ihr ausuͤben wollte, ſo
ſagte er nichts dazu, oder lachte wohl gar uͤber
meine Leichtfertigkeit. Es war ihm eben recht, daß
ich nicht Luſt was zu lernen hatte, denn nicht nur
war er ſelbſt faul, ſondern er verſtand eigentlich
nicht einmal ſo viel, als noͤthig iſt, um auch nur
Kinder von unſern Jahren zu unterrichten. Mit
dieſem Nichtsthun kamen wir, der Hofmeiſter und
ich, laͤnger als ein Jahr, als ſo lange Herr Null
mit mir in ziemlichem Vernehmen ſtand, recht
gut weg, denn meine Mutter, welche andere Be-
ſchaͤftigungen hatte, fragte nie nach meinen Fort-
ſchritten; geſchah es ja, ſo ward die Frage mit der
Verſicherung beantwortet, daß ich recht gut lernte,
und dieſe ward geglaubt. Der Vormund hatte, ſo
wie auch meine Mutter ſelbſt, nicht den geringſten
Begriff von der gehoͤrigen Zucht und von dem, was
ein Knabe lernen, oder wie es ihm beigebracht
werden muß; auch er ließ ſich weis machen, daß ich
ein wohlunterrichteter und gelehriger Knabe ſei, und
war froh, daß niemand die naͤhere Unterſuchung von
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Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/103>, abgerufen am 21.11.2024.
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