ließ, verlohren sich die Leute, welche Anspruch auf Sitte u. Anstand machten. Mit unter stiftete indessen meine Mutter etwas löbliches; die Damen z. B. welche sich bestrebten, Grundsätze zu äußern, wur- den von ihr zu einer sehr wesentlichen Ausübung derselben bewogen, an die sie vorher nie gedacht hatten. Sie beschlossen nehmlich, an den Orten öffentlicher Versammlungen nicht mehr über die- jenigen, die nicht zu ihrer Partie gehörten, zu flüstern und zu spotten, erkannten ein solches Be- nehmen forthin für gemein und gegen alle Sitten, ja sie begannen es für Dummheit und gehäßige oder neidische Gesinnungen zu erklären. Es war in der That zu verwundern, daß sie erst Madam Schnitzer zu dieser Bemerkung bewegen konnte! --
Diese hatte also viel Feinde, an die sie sich aber, da sie Geld hatte, nicht im geringsten kehr- te. Sie dachte hieran um so weniger, da sie hin- gegen auch ihre Schmeichler hatte, welche sie im- mer stolzer machten. Sie war, um es diesem Stolz nie an neuer Nahrung fehlen zu lassen, erfinderisch in jeder Art Prahlerei. So wollte sie z. B. bestän- dig Briefe, bald von dieser Cousine, bald von je- nem Oncle, erhalten haben, und gab solche Na- men immer Leuten von Rang aus der Gegend, wo sie her war. Sie schmeichelte sich, daß die Un-
wahrheit
ließ, verlohren ſich die Leute, welche Anſpruch auf Sitte u. Anſtand machten. Mit unter ſtiftete indeſſen meine Mutter etwas loͤbliches; die Damen z. B. welche ſich beſtrebten, Grundſaͤtze zu aͤußern, wur- den von ihr zu einer ſehr weſentlichen Ausuͤbung derſelben bewogen, an die ſie vorher nie gedacht hatten. Sie beſchloſſen nehmlich, an den Orten oͤffentlicher Verſammlungen nicht mehr uͤber die- jenigen, die nicht zu ihrer Partie gehoͤrten, zu fluͤſtern und zu ſpotten, erkannten ein ſolches Be- nehmen forthin fuͤr gemein und gegen alle Sitten, ja ſie begannen es fuͤr Dummheit und gehaͤßige oder neidiſche Geſinnungen zu erklaͤren. Es war in der That zu verwundern, daß ſie erſt Madam Schnitzer zu dieſer Bemerkung bewegen konnte! —
Dieſe hatte alſo viel Feinde, an die ſie ſich aber, da ſie Geld hatte, nicht im geringſten kehr- te. Sie dachte hieran um ſo weniger, da ſie hin- gegen auch ihre Schmeichler hatte, welche ſie im- mer ſtolzer machten. Sie war, um es dieſem Stolz nie an neuer Nahrung fehlen zu laſſen, erfinderiſch in jeder Art Prahlerei. So wollte ſie z. B. beſtaͤn- dig Briefe, bald von dieſer Couſine, bald von je- nem Oncle, erhalten haben, und gab ſolche Na- men immer Leuten von Rang aus der Gegend, wo ſie her war. Sie ſchmeichelte ſich, daß die Un-
wahrheit
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ließ, verlohren ſich die Leute, welche Anſpruch auf
Sitte u. Anſtand machten. Mit unter ſtiftete indeſſen
meine Mutter etwas loͤbliches; die Damen z. B.
welche ſich beſtrebten, Grundſaͤtze zu aͤußern, wur-
den von ihr zu einer ſehr weſentlichen Ausuͤbung
derſelben bewogen, an die ſie vorher nie gedacht
hatten. Sie beſchloſſen nehmlich, an den Orten
oͤffentlicher Verſammlungen nicht mehr uͤber die-
jenigen, die nicht zu ihrer Partie gehoͤrten, zu
fluͤſtern und zu ſpotten, erkannten ein ſolches Be-
nehmen forthin fuͤr gemein und gegen alle Sitten,
ja ſie begannen es fuͤr Dummheit und gehaͤßige
oder neidiſche Geſinnungen zu erklaͤren. Es war
in der That zu verwundern, daß ſie erſt Madam
Schnitzer zu dieſer Bemerkung bewegen konnte! —
Dieſe hatte alſo viel Feinde, an die ſie ſich
aber, da ſie Geld hatte, nicht im geringſten kehr-
te. Sie dachte hieran um ſo weniger, da ſie hin-
gegen auch ihre Schmeichler hatte, welche ſie im-
mer ſtolzer machten. Sie war, um es dieſem Stolz
nie an neuer Nahrung fehlen zu laſſen, erfinderiſch
in jeder Art Prahlerei. So wollte ſie z. B. beſtaͤn-
dig Briefe, bald von dieſer Couſine, bald von je-
nem Oncle, erhalten haben, und gab ſolche Na-
men immer Leuten von Rang aus der Gegend, wo
ſie her war. Sie ſchmeichelte ſich, daß die Un-
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Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/113>, abgerufen am 21.11.2024.
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