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Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800.

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um die Reise zu ihr anzutreten. Um nicht in die-
ser Dummheit fortzufahren, desertirte er also würk-
lich, sobald sichs nur thun ließ, und ging gerades
Wegs auf die Provinz zu, wo er nach den erhal-
tenen Nachrichten seine Schwester zu suchen hatte,
dort war es leicht ihr Guth auszufragen, und so
kam er denn wohlbehalten bei ihr an.

Meine Mutter war über den Zuspruch eines
Menschen, der in abgeschabter Soldaten-Uniform,
einem schmutzigen Bündel auf dem Stock tragend,
ankam, und sich ohne Umstände als ihren Bruder
ankündigte, so erbittert, daß sie ihm die Thüre
wies, ohne weiter untersuchen zu wollen, ob er
würklich ihr Bruder wäre. Friedrich nahm diese
Begegnung übel, und bewies es vor allen Domesti-
ken, nicht auf die feinste Art, er sei der, für den
er sich ausgäbe; aber ihre gnädige Frau, das hof-
färthige Weib, wollte ihn verläugnen, wie sie ihre
Mutter verläugnet hätte. Es wäre abscheulich, daß
sie sich der Jhrigen schämte, und es durchaus nicht
Wort haben wollte, sie sei ein armes Soldaten-
mädchen, die bei ihres Mannes, des Gastwirths
Schnitzers ersten Frau mit der Mutter eingekehrt,
und nur um einen Bissen warmes Essen gebettelt
hätte, worauf sich die Wirthinn ihrer erbarmt und
sie als Dienstmagd bei sich behalten hätte. Dies

wäre

um die Reiſe zu ihr anzutreten. Um nicht in die-
ſer Dummheit fortzufahren, deſertirte er alſo wuͤrk-
lich, ſobald ſichs nur thun ließ, und ging gerades
Wegs auf die Provinz zu, wo er nach den erhal-
tenen Nachrichten ſeine Schweſter zu ſuchen hatte,
dort war es leicht ihr Guth auszufragen, und ſo
kam er denn wohlbehalten bei ihr an.

Meine Mutter war uͤber den Zuſpruch eines
Menſchen, der in abgeſchabter Soldaten-Uniform,
einem ſchmutzigen Buͤndel auf dem Stock tragend,
ankam, und ſich ohne Umſtaͤnde als ihren Bruder
ankuͤndigte, ſo erbittert, daß ſie ihm die Thuͤre
wies, ohne weiter unterſuchen zu wollen, ob er
wuͤrklich ihr Bruder waͤre. Friedrich nahm dieſe
Begegnung uͤbel, und bewies es vor allen Domeſti-
ken, nicht auf die feinſte Art, er ſei der, fuͤr den
er ſich ausgaͤbe; aber ihre gnaͤdige Frau, das hof-
faͤrthige Weib, wollte ihn verlaͤugnen, wie ſie ihre
Mutter verlaͤugnet haͤtte. Es waͤre abſcheulich, daß
ſie ſich der Jhrigen ſchaͤmte, und es durchaus nicht
Wort haben wollte, ſie ſei ein armes Soldaten-
maͤdchen, die bei ihres Mannes, des Gaſtwirths
Schnitzers erſten Frau mit der Mutter eingekehrt,
und nur um einen Biſſen warmes Eſſen gebettelt
haͤtte, worauf ſich die Wirthinn ihrer erbarmt und
ſie als Dienſtmagd bei ſich behalten haͤtte. Dies

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[286/0290] um die Reiſe zu ihr anzutreten. Um nicht in die- ſer Dummheit fortzufahren, deſertirte er alſo wuͤrk- lich, ſobald ſichs nur thun ließ, und ging gerades Wegs auf die Provinz zu, wo er nach den erhal- tenen Nachrichten ſeine Schweſter zu ſuchen hatte, dort war es leicht ihr Guth auszufragen, und ſo kam er denn wohlbehalten bei ihr an. Meine Mutter war uͤber den Zuſpruch eines Menſchen, der in abgeſchabter Soldaten-Uniform, einem ſchmutzigen Buͤndel auf dem Stock tragend, ankam, und ſich ohne Umſtaͤnde als ihren Bruder ankuͤndigte, ſo erbittert, daß ſie ihm die Thuͤre wies, ohne weiter unterſuchen zu wollen, ob er wuͤrklich ihr Bruder waͤre. Friedrich nahm dieſe Begegnung uͤbel, und bewies es vor allen Domeſti- ken, nicht auf die feinſte Art, er ſei der, fuͤr den er ſich ausgaͤbe; aber ihre gnaͤdige Frau, das hof- faͤrthige Weib, wollte ihn verlaͤugnen, wie ſie ihre Mutter verlaͤugnet haͤtte. Es waͤre abſcheulich, daß ſie ſich der Jhrigen ſchaͤmte, und es durchaus nicht Wort haben wollte, ſie ſei ein armes Soldaten- maͤdchen, die bei ihres Mannes, des Gaſtwirths Schnitzers erſten Frau mit der Mutter eingekehrt, und nur um einen Biſſen warmes Eſſen gebettelt haͤtte, worauf ſich die Wirthinn ihrer erbarmt und ſie als Dienſtmagd bei ſich behalten haͤtte. Dies waͤre

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Zitationshilfe: Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/290>, abgerufen am 09.06.2024.