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Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 1. Leipzig, 1867.

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langen Zeitraum, seit ich mit der Bearbeitung anstrengend beschäftigt bin, Freudigkeit und Kraft verliehen. Ich habe angenommen, dass die Sprache das mächtigste Band für eine Nation ist, und dass die Deutschen ausser der Sprache zur Zeit kein anderes Band besitzen, auf Grund dessen sie sich als Nation fühlen können. Die Sprichwörter sind aber ein wesentlicher Theil des Sprachschatzes. In denselben sind die Anschauungen, Ansichten, Urtheile, Irrthümer und Erfahrungen, Rechtsgrundsätze, Klugheits- und Weisheits-, Glaubens- und Sittenlehren u. s. w. der frühern Geschlechter aller Bildungsschichten und Berufsklassen niedergelegt. Es scheint aber kein Volk der Erde zu geben, das weniger geneigt wäre, für nationale Interessen ein Opfer zu bringen als das deutsche, was auch vom Deutschen Sprichwörter-Lexikon empfunden wird. In England wie in den Vereinigten Staaten Amerikas begnügt man sich nicht mit dem wohlfeilen Ruhm in den Zeitungen, von nationalen Interessen zu reden, man bringt auch ein Opfer dafür. Ein Werk wie das vorliegende würde nicht nur sofort für alle öffentlichen Bibliotheken angekauft werden, es würde auch jeder gebildete Bürger es für eine nationale Ehrenpflicht erachten, es in der seinigen aufzustellen; nicht blos der gebildete, sondern der wohlhabende, selbst wenn er nicht hineinsähe, würde es anstandshalber thun, um nicht hinter andern zurückzubleiben und für ungebildet zu gelten, sowie in jedem Parlour ein Piano steht, wenn auch keine Seele im Hause eine Note und Taste kennt. In Deutschland, das sich infolge des Mangels an activem Nationalgefühl noch im Zustande des "geographischen Begriffs" befindet und dessen Volk vielleicht bald ein historischer Begriff ist, dem Lande der Intelligenz, ist das anders; dort überlässt man den Schriftstellern, für das Volk zu arbeiten und von dem Arndt'schen Vaterlandsliede zu leben. Deutsche Städte opfern Tausende und aber Tausende zu Festen; aber ob auch nur eine einzige von den tausend deutschen Städten einen Sechser ausgegeben hat, um den deutschen Sprichwörterschatz für die Stadtbibliothek zu erwerben, möchte ich bezweifeln. Ich habe mich schriftlich und mündlich wiederholentlich an die deutschen Lehrer und Freunde der Volksliteratur mit der Bitte gewandt, für jeden Ort ein Exemplar zu bestellen, schon aus dem Grunde, weil der innere Ausbau selbst dadurch gewinnt; denn ich weiss, dass gerade daher, wo die Lieferungen einkehren, stets neue Beiträge für die Fortsetzung eingehen, weil ein gegebenes Sprichwort an ein anderes am Orte erinnert. Es war dies sehr leicht. Der erste 120 Bogen starke Band hat zur Herstellung vier Jahre bedurft. Da der äusserst billige Preis für den reichen Inhalt eines Bogens, der durchschnittlich 500 Sprichwörter enthält, mit denen man eine mehrbogige Broschüre füllen kann, nur 21/2 Ngr. beträgt, so betrug das wöchentliche Opfer 18 Pfennige. Und es gibt in Deutschland keinen Ort, in dessen Umkreise diese nicht zu sammeln wären. Im kleinsten Orte wird es immer noch 18 Leute geben, von denen jeder wöchentlich 1 Pfennig opfert, wenn es ein gemeinnütziges oder vaterländisches Werk gilt. Aber es fehlt eben an einer Person, die diese 18 Pfennige sammelt oder an dem über das Lagerbier hinausgehenden Nationalgefühl.1

Es wird sich dies nicht angenehmer lesen, als es mir geworden ist, es zu schreiben. Ich habe aber nicht unterlassen können, es zu sagen, nicht blos weil meine Arbeit darunter leidet, sondern weil fast jedes vaterländische Unternehmen an dieser Gleichgültigkeit und Theilnahmlosigkeit scheitert oder verkümmert.

Ich will indes, soweit meine Kraft reicht, weiter arbeiten und hoffen, dass nach dem Abschluss des ersten Bandes, durch den allerdings der Berg noch nicht ganz, aber schon bis zu einer nicht unbeträchtlichen Anhöhe erstiegen ist, die thätige Theilnahme sich steigern werde; ich will hoffen, dass nicht nur alle öffentlichen Bibliotheken, dass auch Städte und Vereine, dass Lehrer es für ihre Gemeinden durch Zusammentritt einzelner Wohlhabenden ankaufen; wie ich denn auch hoffe, dass mir nicht nur die Unterstützung derer, die mir bisher sammelnd und mitarbeitend zur Seite gestanden haben, ferner erhalten bleiben werde, sondern dass sich immer mehr neue Förderer der Sache aus andern bisher noch nicht vertretenen Kreisen anschliessen werden.

Ich habe versucht, dem deutschen Volke seinen Sprichwörterschatz vorzuführen und übergebe hier den ersten Band. Ob ich das begonnene Werk beenden werde, wer weiss es; aber meine letzte Kraft gehört ihm. Denn wer sein Leben in ein edles Werk niederlegt, dem vergelten es die Götter, auch wenn, um mit Jakob Grimm (Wörterbuch, I, LXVII) zu reden, "feindliche Spinnen darauf herumkriechen", mit Unsterblichkeit.

Hermsdorf bei Warmbrunn, 1. December 1866.


K. F. W. Wander.
[Beginn Spaltensatz]
1 Nach Mittheilungen deutscher Zeitschriften soll das erst seit ein paar Jahren in Leyden erscheinende niederländische Wörterbuch des Prof. de Vries mehr Abnehmer als das Grimm'sche haben, wiewol Deutschland an Flächenraum etwa zwanzigmal so gross ist als Holland, eine zwölf- bis funfzehnmal so starke Bevölkerung hat dieses und sich meist eines achtjährigen Schulzwangs erfreut.

langen Zeitraum, seit ich mit der Bearbeitung anstrengend beschäftigt bin, Freudigkeit und Kraft verliehen. Ich habe angenommen, dass die Sprache das mächtigste Band für eine Nation ist, und dass die Deutschen ausser der Sprache zur Zeit kein anderes Band besitzen, auf Grund dessen sie sich als Nation fühlen können. Die Sprichwörter sind aber ein wesentlicher Theil des Sprachschatzes. In denselben sind die Anschauungen, Ansichten, Urtheile, Irrthümer und Erfahrungen, Rechtsgrundsätze, Klugheits- und Weisheits-, Glaubens- und Sittenlehren u. s. w. der frühern Geschlechter aller Bildungsschichten und Berufsklassen niedergelegt. Es scheint aber kein Volk der Erde zu geben, das weniger geneigt wäre, für nationale Interessen ein Opfer zu bringen als das deutsche, was auch vom Deutschen Sprichwörter-Lexikon empfunden wird. In England wie in den Vereinigten Staaten Amerikas begnügt man sich nicht mit dem wohlfeilen Ruhm in den Zeitungen, von nationalen Interessen zu reden, man bringt auch ein Opfer dafür. Ein Werk wie das vorliegende würde nicht nur sofort für alle öffentlichen Bibliotheken angekauft werden, es würde auch jeder gebildete Bürger es für eine nationale Ehrenpflicht erachten, es in der seinigen aufzustellen; nicht blos der gebildete, sondern der wohlhabende, selbst wenn er nicht hineinsähe, würde es anstandshalber thun, um nicht hinter andern zurückzubleiben und für ungebildet zu gelten, sowie in jedem Parlour ein Piano steht, wenn auch keine Seele im Hause eine Note und Taste kennt. In Deutschland, das sich infolge des Mangels an activem Nationalgefühl noch im Zustande des „geographischen Begriffs“ befindet und dessen Volk vielleicht bald ein historischer Begriff ist, dem Lande der Intelligenz, ist das anders; dort überlässt man den Schriftstellern, für das Volk zu arbeiten und von dem Arndt'schen Vaterlandsliede zu leben. Deutsche Städte opfern Tausende und aber Tausende zu Festen; aber ob auch nur eine einzige von den tausend deutschen Städten einen Sechser ausgegeben hat, um den deutschen Sprichwörterschatz für die Stadtbibliothek zu erwerben, möchte ich bezweifeln. Ich habe mich schriftlich und mündlich wiederholentlich an die deutschen Lehrer und Freunde der Volksliteratur mit der Bitte gewandt, für jeden Ort ein Exemplar zu bestellen, schon aus dem Grunde, weil der innere Ausbau selbst dadurch gewinnt; denn ich weiss, dass gerade daher, wo die Lieferungen einkehren, stets neue Beiträge für die Fortsetzung eingehen, weil ein gegebenes Sprichwort an ein anderes am Orte erinnert. Es war dies sehr leicht. Der erste 120 Bogen starke Band hat zur Herstellung vier Jahre bedurft. Da der äusserst billige Preis für den reichen Inhalt eines Bogens, der durchschnittlich 500 Sprichwörter enthält, mit denen man eine mehrbogige Broschüre füllen kann, nur 21/2 Ngr. beträgt, so betrug das wöchentliche Opfer 18 Pfennige. Und es gibt in Deutschland keinen Ort, in dessen Umkreise diese nicht zu sammeln wären. Im kleinsten Orte wird es immer noch 18 Leute geben, von denen jeder wöchentlich 1 Pfennig opfert, wenn es ein gemeinnütziges oder vaterländisches Werk gilt. Aber es fehlt eben an einer Person, die diese 18 Pfennige sammelt oder an dem über das Lagerbier hinausgehenden Nationalgefühl.1

Es wird sich dies nicht angenehmer lesen, als es mir geworden ist, es zu schreiben. Ich habe aber nicht unterlassen können, es zu sagen, nicht blos weil meine Arbeit darunter leidet, sondern weil fast jedes vaterländische Unternehmen an dieser Gleichgültigkeit und Theilnahmlosigkeit scheitert oder verkümmert.

Ich will indes, soweit meine Kraft reicht, weiter arbeiten und hoffen, dass nach dem Abschluss des ersten Bandes, durch den allerdings der Berg noch nicht ganz, aber schon bis zu einer nicht unbeträchtlichen Anhöhe erstiegen ist, die thätige Theilnahme sich steigern werde; ich will hoffen, dass nicht nur alle öffentlichen Bibliotheken, dass auch Städte und Vereine, dass Lehrer es für ihre Gemeinden durch Zusammentritt einzelner Wohlhabenden ankaufen; wie ich denn auch hoffe, dass mir nicht nur die Unterstützung derer, die mir bisher sammelnd und mitarbeitend zur Seite gestanden haben, ferner erhalten bleiben werde, sondern dass sich immer mehr neue Förderer der Sache aus andern bisher noch nicht vertretenen Kreisen anschliessen werden.

Ich habe versucht, dem deutschen Volke seinen Sprichwörterschatz vorzuführen und übergebe hier den ersten Band. Ob ich das begonnene Werk beenden werde, wer weiss es; aber meine letzte Kraft gehört ihm. Denn wer sein Leben in ein edles Werk niederlegt, dem vergelten es die Götter, auch wenn, um mit Jakob Grimm (Wörterbuch, I, LXVII) zu reden, „feindliche Spinnen darauf herumkriechen“, mit Unsterblichkeit.

Hermsdorf bei Warmbrunn, 1. December 1866.


K. F. W. Wander.
[Beginn Spaltensatz]
1 Nach Mittheilungen deutscher Zeitschriften soll das erst seit ein paar Jahren in Leyden erscheinende niederländische Wörterbuch des Prof. de Vries mehr Abnehmer als das Grimm'sche haben, wiewol Deutschland an Flächenraum etwa zwanzigmal so gross ist als Holland, eine zwölf- bis funfzehnmal so starke Bevölkerung hat dieses und sich meist eines achtjährigen Schulzwangs erfreut.
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[XXX/0028] langen Zeitraum, seit ich mit der Bearbeitung anstrengend beschäftigt bin, Freudigkeit und Kraft verliehen. Ich habe angenommen, dass die Sprache das mächtigste Band für eine Nation ist, und dass die Deutschen ausser der Sprache zur Zeit kein anderes Band besitzen, auf Grund dessen sie sich als Nation fühlen können. Die Sprichwörter sind aber ein wesentlicher Theil des Sprachschatzes. In denselben sind die Anschauungen, Ansichten, Urtheile, Irrthümer und Erfahrungen, Rechtsgrundsätze, Klugheits- und Weisheits-, Glaubens- und Sittenlehren u. s. w. der frühern Geschlechter aller Bildungsschichten und Berufsklassen niedergelegt. Es scheint aber kein Volk der Erde zu geben, das weniger geneigt wäre, für nationale Interessen ein Opfer zu bringen als das deutsche, was auch vom Deutschen Sprichwörter-Lexikon empfunden wird. In England wie in den Vereinigten Staaten Amerikas begnügt man sich nicht mit dem wohlfeilen Ruhm in den Zeitungen, von nationalen Interessen zu reden, man bringt auch ein Opfer dafür. Ein Werk wie das vorliegende würde nicht nur sofort für alle öffentlichen Bibliotheken angekauft werden, es würde auch jeder gebildete Bürger es für eine nationale Ehrenpflicht erachten, es in der seinigen aufzustellen; nicht blos der gebildete, sondern der wohlhabende, selbst wenn er nicht hineinsähe, würde es anstandshalber thun, um nicht hinter andern zurückzubleiben und für ungebildet zu gelten, sowie in jedem Parlour ein Piano steht, wenn auch keine Seele im Hause eine Note und Taste kennt. In Deutschland, das sich infolge des Mangels an activem Nationalgefühl noch im Zustande des „geographischen Begriffs“ befindet und dessen Volk vielleicht bald ein historischer Begriff ist, dem Lande der Intelligenz, ist das anders; dort überlässt man den Schriftstellern, für das Volk zu arbeiten und von dem Arndt'schen Vaterlandsliede zu leben. Deutsche Städte opfern Tausende und aber Tausende zu Festen; aber ob auch nur eine einzige von den tausend deutschen Städten einen Sechser ausgegeben hat, um den deutschen Sprichwörterschatz für die Stadtbibliothek zu erwerben, möchte ich bezweifeln. Ich habe mich schriftlich und mündlich wiederholentlich an die deutschen Lehrer und Freunde der Volksliteratur mit der Bitte gewandt, für jeden Ort ein Exemplar zu bestellen, schon aus dem Grunde, weil der innere Ausbau selbst dadurch gewinnt; denn ich weiss, dass gerade daher, wo die Lieferungen einkehren, stets neue Beiträge für die Fortsetzung eingehen, weil ein gegebenes Sprichwort an ein anderes am Orte erinnert. Es war dies sehr leicht. Der erste 120 Bogen starke Band hat zur Herstellung vier Jahre bedurft. Da der äusserst billige Preis für den reichen Inhalt eines Bogens, der durchschnittlich 500 Sprichwörter enthält, mit denen man eine mehrbogige Broschüre füllen kann, nur 21/2 Ngr. beträgt, so betrug das wöchentliche Opfer 18 Pfennige. Und es gibt in Deutschland keinen Ort, in dessen Umkreise diese nicht zu sammeln wären. Im kleinsten Orte wird es immer noch 18 Leute geben, von denen jeder wöchentlich 1 Pfennig opfert, wenn es ein gemeinnütziges oder vaterländisches Werk gilt. Aber es fehlt eben an einer Person, die diese 18 Pfennige sammelt oder an dem über das Lagerbier hinausgehenden Nationalgefühl. 1 Es wird sich dies nicht angenehmer lesen, als es mir geworden ist, es zu schreiben. Ich habe aber nicht unterlassen können, es zu sagen, nicht blos weil meine Arbeit darunter leidet, sondern weil fast jedes vaterländische Unternehmen an dieser Gleichgültigkeit und Theilnahmlosigkeit scheitert oder verkümmert. Ich will indes, soweit meine Kraft reicht, weiter arbeiten und hoffen, dass nach dem Abschluss des ersten Bandes, durch den allerdings der Berg noch nicht ganz, aber schon bis zu einer nicht unbeträchtlichen Anhöhe erstiegen ist, die thätige Theilnahme sich steigern werde; ich will hoffen, dass nicht nur alle öffentlichen Bibliotheken, dass auch Städte und Vereine, dass Lehrer es für ihre Gemeinden durch Zusammentritt einzelner Wohlhabenden ankaufen; wie ich denn auch hoffe, dass mir nicht nur die Unterstützung derer, die mir bisher sammelnd und mitarbeitend zur Seite gestanden haben, ferner erhalten bleiben werde, sondern dass sich immer mehr neue Förderer der Sache aus andern bisher noch nicht vertretenen Kreisen anschliessen werden. Ich habe versucht, dem deutschen Volke seinen Sprichwörterschatz vorzuführen und übergebe hier den ersten Band. Ob ich das begonnene Werk beenden werde, wer weiss es; aber meine letzte Kraft gehört ihm. Denn wer sein Leben in ein edles Werk niederlegt, dem vergelten es die Götter, auch wenn, um mit Jakob Grimm (Wörterbuch, I, LXVII) zu reden, „feindliche Spinnen darauf herumkriechen“, mit Unsterblichkeit. Hermsdorf bei Warmbrunn, 1. December 1866. K. F. W. Wander. 1 Nach Mittheilungen deutscher Zeitschriften soll das erst seit ein paar Jahren in Leyden erscheinende niederländische Wörterbuch des Prof. de Vries mehr Abnehmer als das Grimm'sche haben, wiewol Deutschland an Flächenraum etwa zwanzigmal so gross ist als Holland, eine zwölf- bis funfzehnmal so starke Bevölkerung hat dieses und sich meist eines achtjährigen Schulzwangs erfreut.

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Zitationshilfe: Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 1. Leipzig, 1867, S. XXX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wander_sprichwoerterlexikon01_1867/28>, abgerufen am 21.11.2024.