Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 1. Leipzig, 1867.[Spaltenumbruch] alten Weisthümern begegnet man einer doppelten Gesetzgebung, die auf der Grundanschauung der Deutschen vom Recht beruht (s. Gnade 28), einer strengern "von Rechten" und einer zur Seite gehenden mildern "von Gnaden". Während die erstere den Zweck der Drohung und Abschreckung hat, enthält die letztere die wirklich anzuwendende Strafe. Mit Rücksicht auf die wohlthätigen Wirkungen der Gnade bei einer grausamen Gesetzgebung, die Gnade gehe für das Recht, sie sei sogar besser als das Recht. Wo die Gesetze aber human sind, kann die Gnade nur noch den Zweck haben, die Härten auszugleichen, die Unbilligkeiten zu beseitigen, welche durch schroffe oder irrige Anwendung der Gesetze auf bestehende Verhältnisse durch buchstäbliche Vollstreckung richterlicher Urtheile entstehen könnten. Könnte die Idee der Gerechtigkeit rein und ungetrübt zur Ausführung kommen, dann würde allerdings für die Gnade kein Platz übrigbleiben, und man könnte mit Seume sagen: "Sobald ich das Wort Gnade höre, fahre ich sogleich zurück; denn da hat die Vernunft ein Ende, und es hat nur unter Verbrechern und Dummköpfen Sinn. Gnade gehört nur für Verbrecher und ist für jeden ehrlichen Mann eine Last. Man umnebelt und umgaunert mit dem Gespenst das Fünkchen emporkämpfende Vernunft. - Haben Sie die Gnade, heisst wörtlich: Ich verdiene zwar das Zuchthaus, aber Sie werden mir schon einen andern lucrativen Posten geben, den ich nicht verdiene." Holl.: Gnade voor regt laten gelden. (Harrebomee, I, 229.) Lat.: Dura justitia, gratior est venia. (Gaal, 773.) 11 Gnad hat kein warumb. - Lehmann, 943, 30; Braun, I, 893; Simrock, 3823; Eiselein, 245. Sollte aber eins haben, damit sie nicht mehr schadet als sie nützen will. Ein freigewordener Negersklave erklärte die Gnade so: "Grace is, what I call something for nothing." (Illustr. Family Christ. Almanac, Neuyork, 1857, S. 36.) 12 Gnad hat zu- vnnd ablauff wie das Meer. - Lehmann, 943, 30. 13 Gnad ist die höchste Tugend am Fürsten. - Lehmann, 644, 52. Gerechtigkeit nach allen Seiten scheint mir noch ungleich höher zu stehen. Seume behauptet: "Wer das Wort Gnade zuerst gesprochen hat, hat gewiss die Verdammniss im Herzen gefühlt. - Wenn man nur erst die Gnade vertilgt hat, wird schon die Gerechtigkeit kommen". (Sämmtliche Werke in einem Bande, Leipzig 1835, S. 333, 337 u. 355.) 14 Gnad kan wol zorn werden. - Henisch, 1671, 23; Petri, II, 343. 15 Gnad umb gnad. - Henisch, 1671, 40; Lehmann, II, 230, 143. 16 Gnad vnd Ablass ist vmb Geld zu kauffen. - Petri, II, 343. 17 Gnad vnd freundtschafft soll man erweitern, straff vnd feindtschafft engern vnd ein ziehen. - Henisch, 1671, 41; Petri, II, 343. 18 Gnad vnd wolthat endert nicht ans vndanckbarn natur. - Franck, I, 87b. 19 Gnade erbt man nicht. - Graf, 155, 119. Zum Schutze ihres Vermögens und zur Ausgleichung der ihr während der Ehe entzogenen Verfügungsbefugniss darüber waren der Frau ausser dem allgemeinen Pfandrecht am Vermögen des Mannes und der Befreiung von des Mannes Schulden in verschiedenen Rechtsbüchern eine Menge Vortheile zugesichert, wie Leibgedinge oder Leibzucht (s. d.), Witthum, Morgengabe, Gnadenjahr, Eingeschneitel u. s. w. Der Sachsenspiegel nennt diese Vorrechte, deren eine grosse Anzahl waren, "Gnaden". 20 Gnade hilft niemand, denn dem sie gethan. - Graf, 155, 120. Die Vortheile oder Vorrechte, die den Frauen zugesichert waren (s. Gnade 19), waren persönliche, die eben nur der bestimmten Frau zu gute kamen. 21 Gnade ist besser dann Recht. - Lehmann, II, 230, 144; Braun, I, 821; Eiselein, 245; Körte, 2788; Simrock, 3821; Graf, 397, 603. "Genad is bezzer als Recht." (von Steinen, Westf. Geschichte, Lemgo 1780.) Mhd.: Genade ist bezzer denne reht. (Heidin.) (Zingerle, 57.) Engl.: A king's face should give grace. (Körte, 3288.) Holl.: Ghenade is beter dan recht. (Tunn., 14, 12.) Lat.: Dura iusticia gratior est venia. (Fallersleben, 373.) 22 Gnade ist des Königs Schutzwehr. - Graf, 29, 31. Milde dauert länger als Strenge. Gestrenge Herren regieren nicht lange. 23 Gnade ist Ebb' und Flut. - Eiselein, 245. 24 Gnade ist gut bei dem Rechte. - Graf, 397, 597. Das deutsche Volk hat es zum Grundsatz seiner Rechtsbücher gemacht, stets mit der Gerechtigkeit die Barmherzigkeit zu verbinden. "Die Gerechtigkeit ist [Spaltenumbruch] grausam, wenn sie nicht gepaart ist mit Milde", heisst es im Ofner Stadtrecht. Mhd.: Doch is gnade guet bei rechten. (Grimm, Weisth., III, 778.) 25 Gnade ist kein Erbgut. Holl.: Genade is geen erfgoed. (Harrebomee, I, 229.) 26 Gnade kocht nur Wassersuppen. 27 Gnade soll der Gewalt dienen. Mhd.: Genade sol bei gewalte sein zwifaltic. (Zingerle, 54.) 28 Gnade steht beim Rechte. - Graf, 397, 596. Das Sprichwort findet sich in Hübbe's Das alte Hammerbrökerrecht aus Findungen (Hamburg 1843, 57, 12): "De Gnade steyt bey dem Rechte." Da nach der Grundanschauung der Deutschen Gott das Recht ist, so liessen sie neben demselben auch die Barmherzigkeit oder Gnade stehen. 29 Gnade und Meer fragen nicht warum und woher. 30 Gnade ziemt wol bei dem Rechte. - Graf, 397, 606. 31 Gnade ziemt wol bei der Macht. - Simrock, 3824. 32 Je höher Gnad, je schwerer fall. - Petri, II, 393. 33 So we up Gnade denet, de mag der Gnade wachten. - Pufendorf, Observ. juris universi, I in App. 34 Vor lauter Gnade stirbt die Katze Hungers. 35 We uppe gnade denet sunder beschet, de sal sich an der gnade ghenogen laten, de man ime deit. - Göschen, 9, 39. Wer seine Dienste ohne Lohnbestimmung unbedingt (sunder beschet) gewährt hat, muss sich mit dem begnügen, was ihm geboten wird. (Graf, 265, 236.) 36 Wenn die Gnade Gottes im Herzen ist, schwimmen die Augen in Fröhlichkeit. 37 Wenn gnad vnd gunnst nicht will, schafft kunst vnd witz nicht vil. - Henisch, 1781, 54; Petri, II, 655. 38 Wer auf Gnade dient, der muss der Gnade warten. - Sachsenspiegel, Ldr., I, 22, 2. Mhd.: We up ghenathe dhenet dhe mot gnathe wachten. (Oelrichs, Gesetzbuch Bremens, 116, 84; Pufendorf, I, App.) 39 Wer auf Gnade gedienet hat, der muss den Erben um Gnade mahnen. - Graf, 178, 102. Wo kein Lohn festgesetzt worden ist, kann man nur von der Billigkeit des Erben eine Entschädigung erbitten, man hat aber kein gesetzliches Forderungsrecht. Mhd.: Swe uppe genade gedenet hevet, die mut den erven gnaden manen. (Sachsenspiegel.) 40 Wer auff gnad dienet, dem lont man mit barmhertzickeyt. - Agricola I, 268; Tappius, 223b u. 224a; Franck, II, 125b; Henisch, 1671, 50; Lehmann, 72, 20 u. 125, 54; Egenolff, 137a u. 165b; Gruter, I, 78; Schottel, 1133a; Pistor., V, 83; Estor, II, 727; Hertius, I, 42; Eisenhart, 388; Hillebrand, 107, 141; Sailer, 208; Eiselein, 245; Körte, 2287; Körte2, 2817; Simrock, 3825; Braun, II, 513; Verdensche Statuten, 123; Grimm, Rechtsalt., 34; Graf, 178, 201. Das Sprichwort will sagen, dass diejenigen Personen, welche andern dienen, ohne sich einen gewissen Lohn ausbedungen zu haben, eigentlich von Rechts wegen nichts verlangen können, sondern dass es blos von der Grossmuth des andern abhänge, was und wie viel er geben wolle. Holl.: Wie op genade dient, dien loont men met barmhartigheid. (Harrebomee, I, 229.) Lat.: Nemo bene merito bovem immolavit praeter Pyrrhiam. 41 Wer auff gnad sündiget, dem wirdt mit vngnad abgedanckt. - Henisch, 642, 22. 42 Wer auff gnad sündiget, dem wirdt mit zorn gelohnet. - Henisch, 1671, 54; Teller, 825; Graf, 398, 621. 43 Wer Gnade begehrt, dem wird Gnade gewährt. Frz.: Qui merci crie aura pardon. (Leroux, II, 302.) 44 Wer Gnade begehrt, hat eine böse Sache. Darum erklärte Perry, der Befehlshaber der nordamerikanischen Expedition (in den funfziger Jahren) nach Japan den Bevollmächtigten des dortigen Kaisers: "Wir kommen nicht, um Gnaden entgegenzunehmen, sondern um Gnaden auszutheilen." 45 Wer Gnade übt, dem wird Gnade zutheil. Dän.: Hvo som tjener paa naade lönnes med barmhiertighed. (Prov. dan., 140.) 46 Wer um Gnade bittet, dem fehlet das Recht. It.: Chi ha bisogno di grazia, non ha buone ragioni. (Pazzaglia, 302, 2.) 47 Wer um Gnade gebeten, den muss man nicht mehr treten. Engl.: The sword is not to be used against him who has asked forgiveness.
[Spaltenumbruch] alten Weisthümern begegnet man einer doppelten Gesetzgebung, die auf der Grundanschauung der Deutschen vom Recht beruht (s. Gnade 28), einer strengern „von Rechten“ und einer zur Seite gehenden mildern „von Gnaden“. Während die erstere den Zweck der Drohung und Abschreckung hat, enthält die letztere die wirklich anzuwendende Strafe. Mit Rücksicht auf die wohlthätigen Wirkungen der Gnade bei einer grausamen Gesetzgebung, die Gnade gehe für das Recht, sie sei sogar besser als das Recht. Wo die Gesetze aber human sind, kann die Gnade nur noch den Zweck haben, die Härten auszugleichen, die Unbilligkeiten zu beseitigen, welche durch schroffe oder irrige Anwendung der Gesetze auf bestehende Verhältnisse durch buchstäbliche Vollstreckung richterlicher Urtheile entstehen könnten. Könnte die Idee der Gerechtigkeit rein und ungetrübt zur Ausführung kommen, dann würde allerdings für die Gnade kein Platz übrigbleiben, und man könnte mit Seume sagen: „Sobald ich das Wort Gnade höre, fahre ich sogleich zurück; denn da hat die Vernunft ein Ende, und es hat nur unter Verbrechern und Dummköpfen Sinn. Gnade gehört nur für Verbrecher und ist für jeden ehrlichen Mann eine Last. Man umnebelt und umgaunert mit dem Gespenst das Fünkchen emporkämpfende Vernunft. – Haben Sie die Gnade, heisst wörtlich: Ich verdiene zwar das Zuchthaus, aber Sie werden mir schon einen andern lucrativen Posten geben, den ich nicht verdiene.“ Holl.: Gnade voor regt laten gelden. (Harrebomée, I, 229.) Lat.: Dura justitia, gratior est venia. (Gaal, 773.) 11 Gnad hat kein warumb. – Lehmann, 943, 30; Braun, I, 893; Simrock, 3823; Eiselein, 245. Sollte aber eins haben, damit sie nicht mehr schadet als sie nützen will. Ein freigewordener Negersklave erklärte die Gnade so: „Grace is, what I call something for nothing.“ (Illustr. Family Christ. Almanac, Neuyork, 1857, S. 36.) 12 Gnad hat zu- vnnd ablauff wie das Meer. – Lehmann, 943, 30. 13 Gnad ist die höchste Tugend am Fürsten. – Lehmann, 644, 52. Gerechtigkeit nach allen Seiten scheint mir noch ungleich höher zu stehen. Seume behauptet: „Wer das Wort Gnade zuerst gesprochen hat, hat gewiss die Verdammniss im Herzen gefühlt. – Wenn man nur erst die Gnade vertilgt hat, wird schon die Gerechtigkeit kommen“. (Sämmtliche Werke in einem Bande, Leipzig 1835, S. 333, 337 u. 355.) 14 Gnad kan wol zorn werden. – Henisch, 1671, 23; Petri, II, 343. 15 Gnad umb gnad. – Henisch, 1671, 40; Lehmann, II, 230, 143. 16 Gnad vnd Ablass ist vmb Geld zu kauffen. – Petri, II, 343. 17 Gnad vnd freundtschafft soll man erweitern, straff vnd feindtschafft engern vnd ein ziehen. – Henisch, 1671, 41; Petri, II, 343. 18 Gnad vnd wolthat endert nicht ans vndanckbarn natur. – Franck, I, 87b. 19 Gnade erbt man nicht. – Graf, 155, 119. Zum Schutze ihres Vermögens und zur Ausgleichung der ihr während der Ehe entzogenen Verfügungsbefugniss darüber waren der Frau ausser dem allgemeinen Pfandrecht am Vermögen des Mannes und der Befreiung von des Mannes Schulden in verschiedenen Rechtsbüchern eine Menge Vortheile zugesichert, wie Leibgedinge oder Leibzucht (s. d.), Witthum, Morgengabe, Gnadenjahr, Eingeschneitel u. s. w. Der Sachsenspiegel nennt diese Vorrechte, deren eine grosse Anzahl waren, „Gnaden“. 20 Gnade hilft niemand, denn dem sie gethan. – Graf, 155, 120. Die Vortheile oder Vorrechte, die den Frauen zugesichert waren (s. Gnade 19), waren persönliche, die eben nur der bestimmten Frau zu gute kamen. 21 Gnade ist besser dann Recht. – Lehmann, II, 230, 144; Braun, I, 821; Eiselein, 245; Körte, 2788; Simrock, 3821; Graf, 397, 603. „Genad is bezzer als Recht.“ (von Steinen, Westf. Geschichte, Lemgo 1780.) Mhd.: Genâde ist bezzer denne reht. (Heidin.) (Zingerle, 57.) Engl.: A king's face should give grace. (Körte, 3288.) Holl.: Ghenade is beter dan recht. (Tunn., 14, 12.) Lat.: Dura iusticia gratior est venia. (Fallersleben, 373.) 22 Gnade ist des Königs Schutzwehr. – Graf, 29, 31. Milde dauert länger als Strenge. Gestrenge Herren regieren nicht lange. 23 Gnade ist Ebb' und Flut. – Eiselein, 245. 24 Gnade ist gut bei dem Rechte. – Graf, 397, 597. 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Das Sprichwort findet sich in Hübbe's Das alte Hammerbrökerrecht aus Findungen (Hamburg 1843, 57, 12): „De Gnade steyt bey dem Rechte.“ Da nach der Grundanschauung der Deutschen Gott das Recht ist, so liessen sie neben demselben auch die Barmherzigkeit oder Gnade stehen. 29 Gnade und Meer fragen nicht warum und woher. 30 Gnade ziemt wol bei dem Rechte. – Graf, 397, 606. 31 Gnade ziemt wol bei der Macht. – Simrock, 3824. 32 Je höher Gnad, je schwerer fall. – Petri, II, 393. 33 So we up Gnade denet, de mag der Gnade wachten. – Pufendorf, Observ. juris universi, I in App. 34 Vor lauter Gnade stirbt die Katze Hungers. 35 We uppe gnade denet sunder beschet, de sal sich an der gnade ghenogen laten, de man ime deit. – Göschen, 9, 39. Wer seine Dienste ohne Lohnbestimmung unbedingt (sunder beschet) gewährt hat, muss sich mit dem begnügen, was ihm geboten wird. 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alten Weisthümern begegnet man einer doppelten Gesetzgebung, die auf der Grundanschauung der Deutschen vom Recht beruht (s. Gnade 28), einer strengern „von Rechten“ und einer zur Seite gehenden mildern „von Gnaden“. Während die erstere den Zweck der Drohung und Abschreckung hat, enthält die letztere die wirklich anzuwendende Strafe. Mit Rücksicht auf die wohlthätigen Wirkungen der Gnade bei einer grausamen Gesetzgebung, die Gnade gehe für das Recht, sie sei sogar besser als das Recht. Wo die Gesetze aber human sind, kann die Gnade nur noch den Zweck haben, die Härten auszugleichen, die Unbilligkeiten zu beseitigen, welche durch schroffe oder irrige Anwendung der Gesetze auf bestehende Verhältnisse durch buchstäbliche Vollstreckung richterlicher Urtheile entstehen könnten. Könnte die Idee der Gerechtigkeit rein und ungetrübt zur Ausführung kommen, dann würde allerdings für die Gnade kein Platz übrigbleiben, und man könnte mit Seume sagen: „Sobald ich das Wort Gnade höre, fahre ich sogleich zurück; denn da hat die Vernunft ein Ende, und es hat nur unter Verbrechern und Dummköpfen Sinn. Gnade gehört nur für Verbrecher und ist für jeden ehrlichen Mann eine Last. Man umnebelt und umgaunert mit dem Gespenst das Fünkchen emporkämpfende Vernunft. – Haben Sie die Gnade, heisst wörtlich: Ich verdiene zwar das Zuchthaus, aber Sie werden mir schon einen andern lucrativen Posten geben, den ich nicht verdiene.“
Holl.: Gnade voor regt laten gelden. (Harrebomée, I, 229.)
Lat.: Dura justitia, gratior est venia. (Gaal, 773.)
11 Gnad hat kein warumb. – Lehmann, 943, 30; Braun, I, 893; Simrock, 3823; Eiselein, 245.
Sollte aber eins haben, damit sie nicht mehr schadet als sie nützen will. Ein freigewordener Negersklave erklärte die Gnade so: „Grace is, what I call something for nothing.“ (Illustr. Family Christ. Almanac, Neuyork, 1857, S. 36.)
12 Gnad hat zu- vnnd ablauff wie das Meer. – Lehmann, 943, 30.
13 Gnad ist die höchste Tugend am Fürsten. – Lehmann, 644, 52.
Gerechtigkeit nach allen Seiten scheint mir noch ungleich höher zu stehen. Seume behauptet: „Wer das Wort Gnade zuerst gesprochen hat, hat gewiss die Verdammniss im Herzen gefühlt. – Wenn man nur erst die Gnade vertilgt hat, wird schon die Gerechtigkeit kommen“. (Sämmtliche Werke in einem Bande, Leipzig 1835, S. 333, 337 u. 355.)
14 Gnad kan wol zorn werden. – Henisch, 1671, 23; Petri, II, 343.
15 Gnad umb gnad. – Henisch, 1671, 40; Lehmann, II, 230, 143.
16 Gnad vnd Ablass ist vmb Geld zu kauffen. – Petri, II, 343.
17 Gnad vnd freundtschafft soll man erweitern, straff vnd feindtschafft engern vnd ein ziehen. – Henisch, 1671, 41; Petri, II, 343.
18 Gnad vnd wolthat endert nicht ans vndanckbarn natur. – Franck, I, 87b.
19 Gnade erbt man nicht. – Graf, 155, 119.
Zum Schutze ihres Vermögens und zur Ausgleichung der ihr während der Ehe entzogenen Verfügungsbefugniss darüber waren der Frau ausser dem allgemeinen Pfandrecht am Vermögen des Mannes und der Befreiung von des Mannes Schulden in verschiedenen Rechtsbüchern eine Menge Vortheile zugesichert, wie Leibgedinge oder Leibzucht (s. d.), Witthum, Morgengabe, Gnadenjahr, Eingeschneitel u. s. w. Der Sachsenspiegel nennt diese Vorrechte, deren eine grosse Anzahl waren, „Gnaden“.
20 Gnade hilft niemand, denn dem sie gethan. – Graf, 155, 120.
Die Vortheile oder Vorrechte, die den Frauen zugesichert waren (s. Gnade 19), waren persönliche, die eben nur der bestimmten Frau zu gute kamen.
21 Gnade ist besser dann Recht. – Lehmann, II, 230, 144; Braun, I, 821; Eiselein, 245; Körte, 2788; Simrock, 3821; Graf, 397, 603.
„Genad is bezzer als Recht.“ (von Steinen, Westf. Geschichte, Lemgo 1780.)
Mhd.: Genâde ist bezzer denne reht. (Heidin.) (Zingerle, 57.)
Engl.: A king's face should give grace. (Körte, 3288.)
Holl.: Ghenade is beter dan recht. (Tunn., 14, 12.)
Lat.: Dura iusticia gratior est venia. (Fallersleben, 373.)
22 Gnade ist des Königs Schutzwehr. – Graf, 29, 31.
Milde dauert länger als Strenge. Gestrenge Herren regieren nicht lange.
23 Gnade ist Ebb' und Flut. – Eiselein, 245.
24 Gnade ist gut bei dem Rechte. – Graf, 397, 597.
Das deutsche Volk hat es zum Grundsatz seiner Rechtsbücher gemacht, stets mit der Gerechtigkeit die Barmherzigkeit zu verbinden. „Die Gerechtigkeit ist
grausam, wenn sie nicht gepaart ist mit Milde“, heisst es im Ofner Stadtrecht.
Mhd.: Doch is gnade guet bei rechten. (Grimm, Weisth., III, 778.)
25 Gnade ist kein Erbgut.
Holl.: Genade is geen erfgoed. (Harrebomée, I, 229.)
26 Gnade kocht nur Wassersuppen.
27 Gnade soll der Gewalt dienen.
Mhd.: Genâde sol bî gewalte sîn zwifaltic. (Zingerle, 54.)
28 Gnade steht beim Rechte. – Graf, 397, 596.
Das Sprichwort findet sich in Hübbe's Das alte Hammerbrökerrecht aus Findungen (Hamburg 1843, 57, 12): „De Gnade steyt bey dem Rechte.“ Da nach der Grundanschauung der Deutschen Gott das Recht ist, so liessen sie neben demselben auch die Barmherzigkeit oder Gnade stehen.
29 Gnade und Meer fragen nicht warum und woher.
30 Gnade ziemt wol bei dem Rechte. – Graf, 397, 606.
31 Gnade ziemt wol bei der Macht. – Simrock, 3824.
32 Je höher Gnad, je schwerer fall. – Petri, II, 393.
33 So we up Gnade denet, de mag der Gnade wachten. – Pufendorf, Observ. juris universi, I in App.
34 Vor lauter Gnade stirbt die Katze Hungers.
35 We uppe gnade denet sunder beschet, de sal sich an der gnade ghenogen laten, de man ime deit. – Göschen, 9, 39.
Wer seine Dienste ohne Lohnbestimmung unbedingt (sunder beschet) gewährt hat, muss sich mit dem begnügen, was ihm geboten wird. (Graf, 265, 236.)
36 Wenn die Gnade Gottes im Herzen ist, schwimmen die Augen in Fröhlichkeit.
37 Wenn gnad vnd gunnst nicht will, schafft kunst vnd witz nicht vil. – Henisch, 1781, 54; Petri, II, 655.
38 Wer auf Gnade dient, der muss der Gnade warten. – Sachsenspiegel, Ldr., I, 22, 2.
Mhd.: We up ghenathe dhenet dhe mot gnathe wachten. (Oelrichs, Gesetzbuch Bremens, 116, 84; Pufendorf, I, App.)
39 Wer auf Gnade gedienet hat, der muss den Erben um Gnade mahnen. – Graf, 178, 102.
Wo kein Lohn festgesetzt worden ist, kann man nur von der Billigkeit des Erben eine Entschädigung erbitten, man hat aber kein gesetzliches Forderungsrecht.
Mhd.: Swe uppe genade gedenet hevet, die mut den erven gnaden manen. (Sachsenspiegel.)
40 Wer auff gnad dienet, dem lont man mit barmhertzickeyt. – Agricola I, 268; Tappius, 223b u. 224a; Franck, II, 125b; Henisch, 1671, 50; Lehmann, 72, 20 u. 125, 54; Egenolff, 137a u. 165b; Gruter, I, 78; Schottel, 1133a; Pistor., V, 83; Estor, II, 727; Hertius, I, 42; Eisenhart, 388; Hillebrand, 107, 141; Sailer, 208; Eiselein, 245; Körte, 2287; Körte2, 2817; Simrock, 3825; Braun, II, 513; Verdensche Statuten, 123; Grimm, Rechtsalt., 34; Graf, 178, 201.
Das Sprichwort will sagen, dass diejenigen Personen, welche andern dienen, ohne sich einen gewissen Lohn ausbedungen zu haben, eigentlich von Rechts wegen nichts verlangen können, sondern dass es blos von der Grossmuth des andern abhänge, was und wie viel er geben wolle.
Holl.: Wie op genade dient, dien loont men met barmhartigheid. (Harrebomée, I, 229.)
Lat.: Nemo bene merito bovem immolavit praeter Pyrrhiam.
41 Wer auff gnad sündiget, dem wirdt mit vngnad abgedanckt. – Henisch, 642, 22.
42 Wer auff gnad sündiget, dem wirdt mit zorn gelohnet. – Henisch, 1671, 54; Teller, 825; Graf, 398, 621.
43 Wer Gnade begehrt, dem wird Gnade gewährt.
Frz.: Qui merci crie aura pardon. (Leroux, II, 302.)
44 Wer Gnade begehrt, hat eine böse Sache.
Darum erklärte Perry, der Befehlshaber der nordamerikanischen Expedition (in den funfziger Jahren) nach Japan den Bevollmächtigten des dortigen Kaisers: „Wir kommen nicht, um Gnaden entgegenzunehmen, sondern um Gnaden auszutheilen.“
45 Wer Gnade übt, dem wird Gnade zutheil.
Dän.: Hvo som tjener paa naade lønnes med barmhiertighed. (Prov. dan., 140.)
46 Wer um Gnade bittet, dem fehlet das Recht.
It.: Chi ha bisogno di grazia, non ha buone ragioni. (Pazzaglia, 302, 2.)
47 Wer um Gnade gebeten, den muss man nicht mehr treten.
Engl.: The sword is not to be used against him who has asked forgiveness.
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