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Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 3. Leipzig, 1873.

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beschimpfen zu lassen", woraus logisch folgt, dass sie, wenigstens unter der jetzigen Redaction, dazu da sind, diejenigen zu beschimpfen, die nicht die Ehre haben, zu diesen Mitarbeitern zu gehören.

Es liegt mir fern, alle Einzelheiten des aus unlauterer Gesinnung entsprungenen Angriffs zu widerlegen. Ich werde vielmehr die gemachten Ausstellungen gruppenweise behandeln und schliesslich meine Arbeit mit der freiherrlichen vergleichen. Wenn ich dabei die Feder nicht mit Glacehandschuhen führe so wird dies durch die Natur der Sache entschuldigt sein. In Betreff des Angriffs ist stets im Auge zu behalten, dass sich dessen Verfasser, um Platz für sein Fabrikat zu gewinnen, die Aufgabe gestellt, mittels längst widerlegter Ausstellungen den wissenschaftlichen Werth meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon anzufechten, obgleich in seinen Leistungen der Beruf, die Wissenschaft zu vertreten, nicht zu erkennen ist.

Der Umstand, dass W. Körte in der Einleitung zu seinem 1837 erschienenen: Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Deutschen, nachdem er dreimal in meine neuen Sprichwörter (Scheidemünze) hineingesehen, sie für werthlos erklärt hat, ist für den Verfasser des Schmähartikels in den Grenzboten der erste Grund für seine Behauptung.1 Eine solche Logik beweist nichts gegen den wissenschaftlichen Werth meiner Arbeit. Ich beziehe mich im allgemeinen, was diesen Punkt betrifft, auf S. XIX der Vorrede zum ersten Bande. Es ist ein Beweis von der ganzen Armseligkeit des Machwerks, nach dem dort Gesagten immer wieder darauf zurückzukommen.

Körte, auf den sich der "gute Mann" in den Grenzboten beruft, hat drei Sprichwörter aus der Scheidemünze als Beispiele ausgezogen, um den Lesern den Beweis zu führen, dass sie werthlos sind. Dieselben drei hat der "gute Mann" auch seinen Lesern aufgetischt, aber nicht ohne wenigstens eins zu verdrehen. Das Sprichwort lautet bei mir: "Die Steuer vom Kümmel verdient nicht den Himmel." Die Grenzboten, deren Artikel mehr Druckfehler oder Entstellungen, Fälschungen, Verdrehungen u. dgl. enthält als ein ganzer Band meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon Irrthümer zählt, haben den Gedanken in sein Gegentheil verwandelt: die Steuer verdient dort den Himmel. Für den Zweck des Verfassers, meine Arbeit in den Augen des Publikums herabzusetzen, ist ein solches Verfahren ganz geeignet, wie es die Zeitschrift selbst charakterisirt, die keinen Raum für eine Berichtigung hat. Nachdem er nun die von mir 1831 verfassten Sprichwörter theilweise falsch abgeschrieben hat, sucht er aus der ersten Lieferung meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon, welche 4743 Sprichwörter enthält, sechs2 Sprichwörter heraus, die er den Lesern der Grenzboten

1 Wie man die Welt und die Sprichwörter anschaut, so schauen sie einen wieder an. Drei Jahre vorher, ehe Körte hineinguckte, und vierzig Jahre früher, ehe die Grenzboten dessen scharfsinnige Beobachtung wiederkauten, hatte ein anderer Mann hineingesehen, dessen wissenschaftliches Urtheil ohne Zweifel an Körte und an den Freih. von Reinsberg hinanreicht, ein Mann, dessen Name in Deutschland einige Geltung besitzt, und auf dessen Urtheil mich zu berufen mir, leichtfertiger und verleumderischer Kritik gegenüber, erlaubt sein wird. Ich meine den verstorbenen Seminardirector Dr. A. Diesterweg in Berlin. Dieser sagt (Rheinische Blätter, Essen 1834, Neue Folge, IX, 191.): "Herr Wander ist ein origineller Mann. Oder ist es nicht neu, merkwürdig, originell, dass ein Mann sich nicht nur vornimmt, sondern auch ausführt, Tausende von neuen Sprichwörtern zu fabriciren? Wer dürfte sich eines gleichen Productionsvermögens rühmen! Fast ist es eine wahre Superfötation" ... Nun wählt Dr. Diesterweg aus jedem Abschnitt eine Anzahl, zusammen an zwei Seiten Sprichwörter aus, schreibt sie auch richtig ab und theilt sie den Lesern der Rheinischen Blätter mit, z. B. um seinen Geschmack gegenüber des Körte'schen zu zeigen: Wer sein Paradies nicht zuschliesst, dem kommt gar bald eine Schlange hinein. Je seltener man das Licht putzt, desto trüber brennt es. Ein Ochs bleibt ein Ochs, auch wenn er französisch brummt. Dr. Diesterweg schliesst seine Besprechung mit den Worten: "Was sagen die Leser dazu? Sind das nicht hübsche Sachen? Hat Herr Wander in der That den Beruf erfüllt, den er sich erwählt? Wir meinen in sehr anerkennenswerthem Grade. Die vorstehenden (funfzig) Beispiele haben wir gar nicht mit Sorgfalt ausgewählt, sondern herausgegriffen. Herr Wander ist ein wahres Sprichwörtergenie."
Dem Freih. von Reinsberg hat, soviel mir bekannt, noch niemand nachgesagt, dass er selbst Sprichwörter oder dass er überhaupt etwas erfunden habe, man müsste denn die Sprichwörterverdrehungen dazu rechnen, denen wir z. B. in den Grenzboten begegnen. Nach seiner Uebersetzung fremder Sprichwörter zu schliessen, ist auch nicht zu befürchten - Lieb Vaterland kannst ruhig sein -, dass er je eigene Sprichwörter fabriciren werde. Er begnügt sich mit dem Durcheinanderschütteln bereits fabricirter. Auch in Dr. Körte's Verwandelung eines Nabenlochs in ein Nachbarloch kann ich keinen Geniestreich erblicken.
2 Das erste derselben, von denen er behauptet, ich hätte sie "ungescheut" als deutsche Sprichwörter "aufgetischt", während es von mir selbst fabricirte Sätze seien (vgl. Grenzboten, S. 106), soll sich im Deutschen Sprichwörter-Lexikon, I, 19, befinden und lauten: "Wer sich Anisoren setzen lässt, bedarf keiner Blutegel." Aber von Anisoren ist ja in meinem Deutschen Sprichwörter-Lexikon gar nicht die Rede; es heisst dort Accisoren. Hier gilt: Erst mache ich eine dumme Brüh', dann recensire ich sie. Unter andern Umständen könnte man dabei an einen Druckfehler denken: wenn aber der Splitterrichter auf einer achtzig bis hundertzeiligen Spalte meines Lexikons oft mit vorherrschender Nonpareilschrift in zwei bis zwölf Sprachen und hundert verschiedenen Mundarten Druckfehler nicht anerkennt, sondern jeden Irrthum, jeden falschen Buchstaben, jede Zeilenverschiebung u. s. w. auf meine Unwissenheit schiebt, wie ist dann ein solcher in den Grenzboten, deren Seiten vierzig Zeilen in grosser, ein und derselben, noch durchschossenen Schrift zählen, annehmbar?
Aber schon dies erste Beispiel hat noch eine andere Seite. Der angeblich von mir "fabricirte" und "ungescheut aufgetischte" Satz ist ein sehr altes Sprichwort, das sich schon in der ersten Auflage der Simrock'schen Sammlung, S. 3 unter Nr. 46 "aufgetischt" findet. Wenn in meinem Deutschen Sprichwörter-Lexikon die Quelle nicht angegeben ist, so wird man den Grund dazu in der Vorrede zum ersten Bande S. XXIV bemerkt finden. Der Grenzbotenschreiber geht aber von der bescheidenen Ansicht aus, alles was er nicht kennt, ist von mir fabricirt.
Den Charakter, den dies erste Beispiel zeigt, trägt der ganze Schmähartikel in den Grenzboten, gegen den der Redacteur die Aufnahme jeder Gegenerklärung zu verweigern den - Muth besass. - Bei diesem Anlass will ich auch des Vorwurfs gedenken, dass ich die Sprichwörter nicht genau citire, sondern eine andere, von mir erfundene Fassung gebe; der Verfasser sucht dies damit zu beweisen, dass ich Sprichwörter aus einer Reinsberg-Düringsfeld'schen Sammlung nicht so buchstäblich anführe, wie sie dort stehen. Er befindet sich aber in einem starken Irrthum, wenn er annimmt, ich habe die Sprichwörter, bei denen zufällig der Name Reinsberg steht, aus dessen Sammlungen entlehnt. Der einfachste Menschenverstand begreift, dass wenn bei einem Satze zehn Verweisungen stehen, dieselben nicht gleichzeitig aus sämmtlichen zehn Quellen entlehnt sein können. Der Druck meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon hatte schon (1862) begonnen, ehe die ersten Sammlungen von Reinsberg's erschienen. Wie ich aber auf alle Erscheinungen, die mir während des Drucks zugehen, verweise, so ist dies auch bei seinen Schriften geschehen, zuweilen durch Zusammenstellung verwandter Sprichwörter, zuweilen blos durch Beifügung Namens zu dem in meiner Sammlung längst vorhandenen Sprichwort, in sehr vielen Fällen erst in den Correcturbogen. Habe ich nun Verwandtes aus den von Reinsberg'schen Sammlungen herangezogen oder darauf verwiesen, wofür jeder andere Verfasser nur dankbar sein würde, so sehe ich, dass ich denselben zu viel Ehre angethan habe.
Wenn sich demnach der Name Reinsberg bei Sprichwörtern findet, so heisst das nicht, dass sie aus diesen Sammlungen entlehnt sind, sondern dass sie sich dort mit verwandten Sprichwörtern gleichfalls vorfinden. So steht bei mir II, 1384 unter Kleien 6, sogar mit einer Belegstelle aus Herberger: "Sind auch Kleien da? grunzte die Sau, als Jupiter sie zu Gaste laden liess." Da ich später das Sprichwort auch im Praktikus der Ida von Düringsfeld fand, habe ich einfach darauf verwiesen. Der mit der Verfasserin des Praktikus nahe verwandte Verfasser in den Grenzboten (S. 110) behauptet aber, ich habe das Sprichwort gefälscht wiedergegeben, wodurch der "wissenschaftliche Werth" meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon verloren gegangen sein soll, was doch nur dann angenommen werden könnte, wenn die Reinsberg-Düringsfeld'schen Bücher Originallesarten enthielten und mit Quellenangaben belegten.
Im Praktikus lautet das Sprichwort: "Sind auch Kleien da, fragte die Sau an der Tafel des Löwen." Ich räume wol ein, dass diese Fassung eine für feine Kreise geeignetere ist. Aber ich pflege die Sprichwörter gern in der ältesten und derbsten Lesart zu geben. Bei mir "grunzt" die Sau; "an der Tafel des Löwen", welche durch Frau Ida von Reinsberg-Düringsfeld besorgt ist, darf die Sau nicht "grunzen", sie muss ganz unterthänigst "fragen".

beschimpfen zu lassen“, woraus logisch folgt, dass sie, wenigstens unter der jetzigen Redaction, dazu da sind, diejenigen zu beschimpfen, die nicht die Ehre haben, zu diesen Mitarbeitern zu gehören.

Es liegt mir fern, alle Einzelheiten des aus unlauterer Gesinnung entsprungenen Angriffs zu widerlegen. Ich werde vielmehr die gemachten Ausstellungen gruppenweise behandeln und schliesslich meine Arbeit mit der freiherrlichen vergleichen. Wenn ich dabei die Feder nicht mit Glacéhandschuhen führe so wird dies durch die Natur der Sache entschuldigt sein. In Betreff des Angriffs ist stets im Auge zu behalten, dass sich dessen Verfasser, um Platz für sein Fabrikat zu gewinnen, die Aufgabe gestellt, mittels längst widerlegter Ausstellungen den wissenschaftlichen Werth meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon anzufechten, obgleich in seinen Leistungen der Beruf, die Wissenschaft zu vertreten, nicht zu erkennen ist.

Der Umstand, dass W. Körte in der Einleitung zu seinem 1837 erschienenen: Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Deutschen, nachdem er dreimal in meine neuen Sprichwörter (Scheidemünze) hineingesehen, sie für werthlos erklärt hat, ist für den Verfasser des Schmähartikels in den Grenzboten der erste Grund für seine Behauptung.1 Eine solche Logik beweist nichts gegen den wissenschaftlichen Werth meiner Arbeit. Ich beziehe mich im allgemeinen, was diesen Punkt betrifft, auf S. XIX der Vorrede zum ersten Bande. Es ist ein Beweis von der ganzen Armseligkeit des Machwerks, nach dem dort Gesagten immer wieder darauf zurückzukommen.

Körte, auf den sich der „gute Mann“ in den Grenzboten beruft, hat drei Sprichwörter aus der Scheidemünze als Beispiele ausgezogen, um den Lesern den Beweis zu führen, dass sie werthlos sind. Dieselben drei hat der „gute Mann“ auch seinen Lesern aufgetischt, aber nicht ohne wenigstens eins zu verdrehen. Das Sprichwort lautet bei mir: „Die Steuer vom Kümmel verdient nicht den Himmel.“ Die Grenzboten, deren Artikel mehr Druckfehler oder Entstellungen, Fälschungen, Verdrehungen u. dgl. enthält als ein ganzer Band meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon Irrthümer zählt, haben den Gedanken in sein Gegentheil verwandelt: die Steuer verdient dort den Himmel. Für den Zweck des Verfassers, meine Arbeit in den Augen des Publikums herabzusetzen, ist ein solches Verfahren ganz geeignet, wie es die Zeitschrift selbst charakterisirt, die keinen Raum für eine Berichtigung hat. Nachdem er nun die von mir 1831 verfassten Sprichwörter theilweise falsch abgeschrieben hat, sucht er aus der ersten Lieferung meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon, welche 4743 Sprichwörter enthält, sechs2 Sprichwörter heraus, die er den Lesern der Grenzboten

1 Wie man die Welt und die Sprichwörter anschaut, so schauen sie einen wieder an. Drei Jahre vorher, ehe Körte hineinguckte, und vierzig Jahre früher, ehe die Grenzboten dessen scharfsinnige Beobachtung wiederkauten, hatte ein anderer Mann hineingesehen, dessen wissenschaftliches Urtheil ohne Zweifel an Körte und an den Freih. von Reinsberg hinanreicht, ein Mann, dessen Name in Deutschland einige Geltung besitzt, und auf dessen Urtheil mich zu berufen mir, leichtfertiger und verleumderischer Kritik gegenüber, erlaubt sein wird. Ich meine den verstorbenen Seminardirector Dr. A. Diesterweg in Berlin. Dieser sagt (Rheinische Blätter, Essen 1834, Neue Folge, IX, 191.): „Herr Wander ist ein origineller Mann. Oder ist es nicht neu, merkwürdig, originell, dass ein Mann sich nicht nur vornimmt, sondern auch ausführt, Tausende von neuen Sprichwörtern zu fabriciren? Wer dürfte sich eines gleichen Productionsvermögens rühmen! Fast ist es eine wahre Superfötation“ ... Nun wählt Dr. Diesterweg aus jedem Abschnitt eine Anzahl, zusammen an zwei Seiten Sprichwörter aus, schreibt sie auch richtig ab und theilt sie den Lesern der Rheinischen Blätter mit, z. B. um seinen Geschmack gegenüber des Körte'schen zu zeigen: Wer sein Paradies nicht zuschliesst, dem kommt gar bald eine Schlange hinein. Je seltener man das Licht putzt, desto trüber brennt es. Ein Ochs bleibt ein Ochs, auch wenn er französisch brummt. Dr. Diesterweg schliesst seine Besprechung mit den Worten: „Was sagen die Leser dazu? Sind das nicht hübsche Sachen? Hat Herr Wander in der That den Beruf erfüllt, den er sich erwählt? Wir meinen in sehr anerkennenswerthem Grade. Die vorstehenden (funfzig) Beispiele haben wir gar nicht mit Sorgfalt ausgewählt, sondern herausgegriffen. Herr Wander ist ein wahres Sprichwörtergenie.“
Dem Freih. von Reinsberg hat, soviel mir bekannt, noch niemand nachgesagt, dass er selbst Sprichwörter oder dass er überhaupt etwas erfunden habe, man müsste denn die Sprichwörterverdrehungen dazu rechnen, denen wir z. B. in den Grenzboten begegnen. Nach seiner Uebersetzung fremder Sprichwörter zu schliessen, ist auch nicht zu befürchten – Lieb Vaterland kannst ruhig sein –, dass er je eigene Sprichwörter fabriciren werde. Er begnügt sich mit dem Durcheinanderschütteln bereits fabricirter. Auch in Dr. Körte's Verwandelung eines Nabenlochs in ein Nachbarloch kann ich keinen Geniestreich erblicken.
2 Das erste derselben, von denen er behauptet, ich hätte sie „ungescheut“ als deutsche Sprichwörter „aufgetischt“, während es von mir selbst fabricirte Sätze seien (vgl. Grenzboten, S. 106), soll sich im Deutschen Sprichwörter-Lexikon, I, 19, befinden und lauten: „Wer sich Anisoren setzen lässt, bedarf keiner Blutegel.“ Aber von Anisoren ist ja in meinem Deutschen Sprichwörter-Lexikon gar nicht die Rede; es heisst dort Accisoren. Hier gilt: Erst mache ich eine dumme Brüh', dann recensire ich sie. Unter andern Umständen könnte man dabei an einen Druckfehler denken: wenn aber der Splitterrichter auf einer achtzig bis hundertzeiligen Spalte meines Lexikons oft mit vorherrschender Nonpareilschrift in zwei bis zwölf Sprachen und hundert verschiedenen Mundarten Druckfehler nicht anerkennt, sondern jeden Irrthum, jeden falschen Buchstaben, jede Zeilenverschiebung u. s. w. auf meine Unwissenheit schiebt, wie ist dann ein solcher in den Grenzboten, deren Seiten vierzig Zeilen in grosser, ein und derselben, noch durchschossenen Schrift zählen, annehmbar?
Aber schon dies erste Beispiel hat noch eine andere Seite. Der angeblich von mir „fabricirte“ und „ungescheut aufgetischte“ Satz ist ein sehr altes Sprichwort, das sich schon in der ersten Auflage der Simrock'schen Sammlung, S. 3 unter Nr. 46 „aufgetischt“ findet. Wenn in meinem Deutschen Sprichwörter-Lexikon die Quelle nicht angegeben ist, so wird man den Grund dazu in der Vorrede zum ersten Bande S. XXIV bemerkt finden. Der Grenzbotenschreiber geht aber von der bescheidenen Ansicht aus, alles was er nicht kennt, ist von mir fabricirt.
Den Charakter, den dies erste Beispiel zeigt, trägt der ganze Schmähartikel in den Grenzboten, gegen den der Redacteur die Aufnahme jeder Gegenerklärung zu verweigern den – Muth besass. – Bei diesem Anlass will ich auch des Vorwurfs gedenken, dass ich die Sprichwörter nicht genau citire, sondern eine andere, von mir erfundene Fassung gebe; der Verfasser sucht dies damit zu beweisen, dass ich Sprichwörter aus einer Reinsberg-Düringsfeld'schen Sammlung nicht so buchstäblich anführe, wie sie dort stehen. Er befindet sich aber in einem starken Irrthum, wenn er annimmt, ich habe die Sprichwörter, bei denen zufällig der Name Reinsberg steht, aus dessen Sammlungen entlehnt. Der einfachste Menschenverstand begreift, dass wenn bei einem Satze zehn Verweisungen stehen, dieselben nicht gleichzeitig aus sämmtlichen zehn Quellen entlehnt sein können. Der Druck meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon hatte schon (1862) begonnen, ehe die ersten Sammlungen von Reinsberg's erschienen. Wie ich aber auf alle Erscheinungen, die mir während des Drucks zugehen, verweise, so ist dies auch bei seinen Schriften geschehen, zuweilen durch Zusammenstellung verwandter Sprichwörter, zuweilen blos durch Beifügung Namens zu dem in meiner Sammlung längst vorhandenen Sprichwort, in sehr vielen Fällen erst in den Correcturbogen. Habe ich nun Verwandtes aus den von Reinsberg'schen Sammlungen herangezogen oder darauf verwiesen, wofür jeder andere Verfasser nur dankbar sein würde, so sehe ich, dass ich denselben zu viel Ehre angethan habe.
Wenn sich demnach der Name Reinsberg bei Sprichwörtern findet, so heisst das nicht, dass sie aus diesen Sammlungen entlehnt sind, sondern dass sie sich dort mit verwandten Sprichwörtern gleichfalls vorfinden. So steht bei mir II, 1384 unter Kleien 6, sogar mit einer Belegstelle aus Herberger: „Sind auch Kleien da? grunzte die Sau, als Jupiter sie zu Gaste laden liess.“ Da ich später das Sprichwort auch im Praktikus der Ida von Düringsfeld fand, habe ich einfach darauf verwiesen. Der mit der Verfasserin des Praktikus nahe verwandte Verfasser in den Grenzboten (S. 110) behauptet aber, ich habe das Sprichwort gefälscht wiedergegeben, wodurch der „wissenschaftliche Werth“ meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon verloren gegangen sein soll, was doch nur dann angenommen werden könnte, wenn die Reinsberg-Düringsfeld'schen Bücher Originallesarten enthielten und mit Quellenangaben belegten.
Im Praktikus lautet das Sprichwort: „Sind auch Kleien da, fragte die Sau an der Tafel des Löwen.“ Ich räume wol ein, dass diese Fassung eine für feine Kreise geeignetere ist. Aber ich pflege die Sprichwörter gern in der ältesten und derbsten Lesart zu geben. Bei mir „grunzt“ die Sau; „an der Tafel des Löwen“, welche durch Frau Ida von Reinsberg-Düringsfeld besorgt ist, darf die Sau nicht „grunzen“, sie muss ganz unterthänigst „fragen“.
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[IX/0007] beschimpfen zu lassen“, woraus logisch folgt, dass sie, wenigstens unter der jetzigen Redaction, dazu da sind, diejenigen zu beschimpfen, die nicht die Ehre haben, zu diesen Mitarbeitern zu gehören. Es liegt mir fern, alle Einzelheiten des aus unlauterer Gesinnung entsprungenen Angriffs zu widerlegen. Ich werde vielmehr die gemachten Ausstellungen gruppenweise behandeln und schliesslich meine Arbeit mit der freiherrlichen vergleichen. Wenn ich dabei die Feder nicht mit Glacéhandschuhen führe so wird dies durch die Natur der Sache entschuldigt sein. In Betreff des Angriffs ist stets im Auge zu behalten, dass sich dessen Verfasser, um Platz für sein Fabrikat zu gewinnen, die Aufgabe gestellt, mittels längst widerlegter Ausstellungen den wissenschaftlichen Werth meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon anzufechten, obgleich in seinen Leistungen der Beruf, die Wissenschaft zu vertreten, nicht zu erkennen ist. Der Umstand, dass W. Körte in der Einleitung zu seinem 1837 erschienenen: Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Deutschen, nachdem er dreimal in meine neuen Sprichwörter (Scheidemünze) hineingesehen, sie für werthlos erklärt hat, ist für den Verfasser des Schmähartikels in den Grenzboten der erste Grund für seine Behauptung. 1 Eine solche Logik beweist nichts gegen den wissenschaftlichen Werth meiner Arbeit. Ich beziehe mich im allgemeinen, was diesen Punkt betrifft, auf S. XIX der Vorrede zum ersten Bande. Es ist ein Beweis von der ganzen Armseligkeit des Machwerks, nach dem dort Gesagten immer wieder darauf zurückzukommen. Körte, auf den sich der „gute Mann“ in den Grenzboten beruft, hat drei Sprichwörter aus der Scheidemünze als Beispiele ausgezogen, um den Lesern den Beweis zu führen, dass sie werthlos sind. Dieselben drei hat der „gute Mann“ auch seinen Lesern aufgetischt, aber nicht ohne wenigstens eins zu verdrehen. Das Sprichwort lautet bei mir: „Die Steuer vom Kümmel verdient nicht den Himmel.“ Die Grenzboten, deren Artikel mehr Druckfehler oder Entstellungen, Fälschungen, Verdrehungen u. dgl. enthält als ein ganzer Band meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon Irrthümer zählt, haben den Gedanken in sein Gegentheil verwandelt: die Steuer verdient dort den Himmel. Für den Zweck des Verfassers, meine Arbeit in den Augen des Publikums herabzusetzen, ist ein solches Verfahren ganz geeignet, wie es die Zeitschrift selbst charakterisirt, die keinen Raum für eine Berichtigung hat. Nachdem er nun die von mir 1831 verfassten Sprichwörter theilweise falsch abgeschrieben hat, sucht er aus der ersten Lieferung meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon, welche 4743 Sprichwörter enthält, sechs 2 Sprichwörter heraus, die er den Lesern der Grenzboten 1 Wie man die Welt und die Sprichwörter anschaut, so schauen sie einen wieder an. Drei Jahre vorher, ehe Körte hineinguckte, und vierzig Jahre früher, ehe die Grenzboten dessen scharfsinnige Beobachtung wiederkauten, hatte ein anderer Mann hineingesehen, dessen wissenschaftliches Urtheil ohne Zweifel an Körte und an den Freih. von Reinsberg hinanreicht, ein Mann, dessen Name in Deutschland einige Geltung besitzt, und auf dessen Urtheil mich zu berufen mir, leichtfertiger und verleumderischer Kritik gegenüber, erlaubt sein wird. Ich meine den verstorbenen Seminardirector Dr. A. Diesterweg in Berlin. Dieser sagt (Rheinische Blätter, Essen 1834, Neue Folge, IX, 191.): „Herr Wander ist ein origineller Mann. Oder ist es nicht neu, merkwürdig, originell, dass ein Mann sich nicht nur vornimmt, sondern auch ausführt, Tausende von neuen Sprichwörtern zu fabriciren? Wer dürfte sich eines gleichen Productionsvermögens rühmen! Fast ist es eine wahre Superfötation“ ... Nun wählt Dr. Diesterweg aus jedem Abschnitt eine Anzahl, zusammen an zwei Seiten Sprichwörter aus, schreibt sie auch richtig ab und theilt sie den Lesern der Rheinischen Blätter mit, z. B. um seinen Geschmack gegenüber des Körte'schen zu zeigen: Wer sein Paradies nicht zuschliesst, dem kommt gar bald eine Schlange hinein. Je seltener man das Licht putzt, desto trüber brennt es. Ein Ochs bleibt ein Ochs, auch wenn er französisch brummt. Dr. Diesterweg schliesst seine Besprechung mit den Worten: „Was sagen die Leser dazu? Sind das nicht hübsche Sachen? Hat Herr Wander in der That den Beruf erfüllt, den er sich erwählt? Wir meinen in sehr anerkennenswerthem Grade. Die vorstehenden (funfzig) Beispiele haben wir gar nicht mit Sorgfalt ausgewählt, sondern herausgegriffen. Herr Wander ist ein wahres Sprichwörtergenie.“ Dem Freih. von Reinsberg hat, soviel mir bekannt, noch niemand nachgesagt, dass er selbst Sprichwörter oder dass er überhaupt etwas erfunden habe, man müsste denn die Sprichwörterverdrehungen dazu rechnen, denen wir z. B. in den Grenzboten begegnen. Nach seiner Uebersetzung fremder Sprichwörter zu schliessen, ist auch nicht zu befürchten – Lieb Vaterland kannst ruhig sein –, dass er je eigene Sprichwörter fabriciren werde. Er begnügt sich mit dem Durcheinanderschütteln bereits fabricirter. Auch in Dr. Körte's Verwandelung eines Nabenlochs in ein Nachbarloch kann ich keinen Geniestreich erblicken. 2 Das erste derselben, von denen er behauptet, ich hätte sie „ungescheut“ als deutsche Sprichwörter „aufgetischt“, während es von mir selbst fabricirte Sätze seien (vgl. Grenzboten, S. 106), soll sich im Deutschen Sprichwörter-Lexikon, I, 19, befinden und lauten: „Wer sich Anisoren setzen lässt, bedarf keiner Blutegel.“ Aber von Anisoren ist ja in meinem Deutschen Sprichwörter-Lexikon gar nicht die Rede; es heisst dort Accisoren. Hier gilt: Erst mache ich eine dumme Brüh', dann recensire ich sie. Unter andern Umständen könnte man dabei an einen Druckfehler denken: wenn aber der Splitterrichter auf einer achtzig bis hundertzeiligen Spalte meines Lexikons oft mit vorherrschender Nonpareilschrift in zwei bis zwölf Sprachen und hundert verschiedenen Mundarten Druckfehler nicht anerkennt, sondern jeden Irrthum, jeden falschen Buchstaben, jede Zeilenverschiebung u. s. w. auf meine Unwissenheit schiebt, wie ist dann ein solcher in den Grenzboten, deren Seiten vierzig Zeilen in grosser, ein und derselben, noch durchschossenen Schrift zählen, annehmbar? Aber schon dies erste Beispiel hat noch eine andere Seite. Der angeblich von mir „fabricirte“ und „ungescheut aufgetischte“ Satz ist ein sehr altes Sprichwort, das sich schon in der ersten Auflage der Simrock'schen Sammlung, S. 3 unter Nr. 46 „aufgetischt“ findet. Wenn in meinem Deutschen Sprichwörter-Lexikon die Quelle nicht angegeben ist, so wird man den Grund dazu in der Vorrede zum ersten Bande S. XXIV bemerkt finden. Der Grenzbotenschreiber geht aber von der bescheidenen Ansicht aus, alles was er nicht kennt, ist von mir fabricirt. Den Charakter, den dies erste Beispiel zeigt, trägt der ganze Schmähartikel in den Grenzboten, gegen den der Redacteur die Aufnahme jeder Gegenerklärung zu verweigern den – Muth besass. – Bei diesem Anlass will ich auch des Vorwurfs gedenken, dass ich die Sprichwörter nicht genau citire, sondern eine andere, von mir erfundene Fassung gebe; der Verfasser sucht dies damit zu beweisen, dass ich Sprichwörter aus einer Reinsberg-Düringsfeld'schen Sammlung nicht so buchstäblich anführe, wie sie dort stehen. Er befindet sich aber in einem starken Irrthum, wenn er annimmt, ich habe die Sprichwörter, bei denen zufällig der Name Reinsberg steht, aus dessen Sammlungen entlehnt. Der einfachste Menschenverstand begreift, dass wenn bei einem Satze zehn Verweisungen stehen, dieselben nicht gleichzeitig aus sämmtlichen zehn Quellen entlehnt sein können. Der Druck meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon hatte schon (1862) begonnen, ehe die ersten Sammlungen von Reinsberg's erschienen. Wie ich aber auf alle Erscheinungen, die mir während des Drucks zugehen, verweise, so ist dies auch bei seinen Schriften geschehen, zuweilen durch Zusammenstellung verwandter Sprichwörter, zuweilen blos durch Beifügung Namens zu dem in meiner Sammlung längst vorhandenen Sprichwort, in sehr vielen Fällen erst in den Correcturbogen. Habe ich nun Verwandtes aus den von Reinsberg'schen Sammlungen herangezogen oder darauf verwiesen, wofür jeder andere Verfasser nur dankbar sein würde, so sehe ich, dass ich denselben zu viel Ehre angethan habe. Wenn sich demnach der Name Reinsberg bei Sprichwörtern findet, so heisst das nicht, dass sie aus diesen Sammlungen entlehnt sind, sondern dass sie sich dort mit verwandten Sprichwörtern gleichfalls vorfinden. So steht bei mir II, 1384 unter Kleien 6, sogar mit einer Belegstelle aus Herberger: „Sind auch Kleien da? grunzte die Sau, als Jupiter sie zu Gaste laden liess.“ Da ich später das Sprichwort auch im Praktikus der Ida von Düringsfeld fand, habe ich einfach darauf verwiesen. Der mit der Verfasserin des Praktikus nahe verwandte Verfasser in den Grenzboten (S. 110) behauptet aber, ich habe das Sprichwort gefälscht wiedergegeben, wodurch der „wissenschaftliche Werth“ meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon verloren gegangen sein soll, was doch nur dann angenommen werden könnte, wenn die Reinsberg-Düringsfeld'schen Bücher Originallesarten enthielten und mit Quellenangaben belegten. Im Praktikus lautet das Sprichwort: „Sind auch Kleien da, fragte die Sau an der Tafel des Löwen.“ Ich räume wol ein, dass diese Fassung eine für feine Kreise geeignetere ist. Aber ich pflege die Sprichwörter gern in der ältesten und derbsten Lesart zu geben. Bei mir „grunzt“ die Sau; „an der Tafel des Löwen“, welche durch Frau Ida von Reinsberg-Düringsfeld besorgt ist, darf die Sau nicht „grunzen“, sie muss ganz unterthänigst „fragen“.

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Zitationshilfe: Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 3. Leipzig, 1873, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wander_sprichwoerterlexikon03_1873/7>, abgerufen am 21.11.2024.