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Weber, Mathilde: Ein Besuch in Zürich bei den weiblichen Studierenden der Medizin. Stuttgart, 1888.

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than zu haben, und am leichtesten den Ruf nach mehr Arbeit abschneiden
zu können.

Und doch läßt sich statistisch leicht berechnen, daß selbst, wenn man
alle die Junggesellen, welche eine Frau ernähren können, zum
Heiraten zwingen könnte, doch noch die mormonischen oder türkischen Ehe-
verhältnisse eingeführt werden müßten oder wie ein junger Arzt halb
scherzend rieth, müssen wie in China gleich 30 % Mädchen nach der Geburt
getödtet werden, wenn der Jammer um ersprießliche weibliche selbständige
Arbeiten verstummen sollte. Denn auch im Hause der Brüder und
Schwäger, wie obige Ratgeber allein stehenden Mädchen so gerne empfehlen,
giebt es nicht genug Strümpfe mehr zu stricken und Hemden zu nähen
u. s. w., seit die Maschinen das Alles erleichtern, auch ist in den theuren
Wohnungen selten mehr ein behagliches Plätzchen für die alternde Schwester,
welche einst Jugendkraft und Vermögen für das Studium des Bruders
geopfert hatte.

Leider scheinen dem Staate seine Töchter nicht gleich wert zu sein,
wie seine Söhne, sonst würden seine Behörden nicht das mächtigere Geschlecht
schützen gegen die Konkurrenz mit dem schwächeren.

Sollten nicht endlich die armen Handarbeiterinnen von der Mitarbeit
der höher gebildeten Mädchen entlastet werden, indem den letzteren mehr
geistige Arbeit gestattet wird?

Erzählt nicht die Frauengeschichte größerer Städte Entsetzliches von dem
Elend und der Verzweiflung der Arbeitslosigkeit und - der Schande, zu
welcher sie häufig endlich führt! Solange diese aber noch in Glanz und
Luxus wandeln kann, und die Trinklokale sich immer vermehren und ver-
schönern, sollte - Konkurrenzfurcht kein Grund sein dürfen zu irgend
welcher Beschränkung ehrenhafter Frauenarbeit.

Müssen wir nicht in dieser Bevormundung unserer Arbeit noch einen
Rest der Zeitanschauung vom Anfang des Jahrhunderts erblicken? Damals
durfte keine Nähterin selbständig arbeiten. Sie mußte Gehilfin bei einem
Schneidermeister sein, welcher ihr dann nach seinem Ermessen einen Teil
der Einnahmen zukommen ließ! - Wie wird das zwanzigste Jahrhundert
beim Studium unserer heutigen Frauenstellung einfach unsere Zeit höhnend
mit jener zusammenwerfen!

Dürfen wir uns wundern, wenn manchen der deutschen Studentinnen,
welche sowohl durch ihre Lehrzeit, als ihren späteren Lebensberuf aus
ihrem Vaterland verbannt sind, der Sozialismus, der ihnen freundlichere
Staatsverhältnisse vorspiegelt, ein verlockendes Zaubergebilde sein würde?

Ein weiteres, eigentümliches Bedenken, welches ich auch schon öfter
von gebildeter Seite hörte, sprach eine ehrsame Züricher Bürgersfrau aus.
Dieselbe war im Allgemeinen den Studentinnen gewogen, namentlich ver-
ehrte sie die Frauenärztinnen, denn Frl. Falner, eine der beiden weib-
lichen Aerzte in Zürich, hatte sie schon aus schwerer Krankheit nicht nur
errettet, sondern auch liebevoll gepflegt. "Aber", meinte sie, "wenn nun
die Studentinnen heiraten, dann ist meist das ganze Studium umsonst
gewesen". -

Als ob es nicht ein Gewinn für die Gesellschaft wäre, wenn sich die
Summen des wirklichen Wissens und Könnens vermehrte!

Wird z. B. eine Mutter, welche Medizin studiert hat, nicht gesündere
Kinder erziehen, als eine Modedame, welcher jede Sanitätsregel gleichgiltig

than zu haben, und am leichtesten den Ruf nach mehr Arbeit abschneiden
zu können.

Und doch läßt sich statistisch leicht berechnen, daß selbst, wenn man
alle die Junggesellen, welche eine Frau ernähren können, zum
Heiraten zwingen könnte, doch noch die mormonischen oder türkischen Ehe-
verhältnisse eingeführt werden müßten oder wie ein junger Arzt halb
scherzend rieth, müssen wie in China gleich 30 % Mädchen nach der Geburt
getödtet werden, wenn der Jammer um ersprießliche weibliche selbständige
Arbeiten verstummen sollte. Denn auch im Hause der Brüder und
Schwäger, wie obige Ratgeber allein stehenden Mädchen so gerne empfehlen,
giebt es nicht genug Strümpfe mehr zu stricken und Hemden zu nähen
u. s. w., seit die Maschinen das Alles erleichtern, auch ist in den theuren
Wohnungen selten mehr ein behagliches Plätzchen für die alternde Schwester,
welche einst Jugendkraft und Vermögen für das Studium des Bruders
geopfert hatte.

Leider scheinen dem Staate seine Töchter nicht gleich wert zu sein,
wie seine Söhne, sonst würden seine Behörden nicht das mächtigere Geschlecht
schützen gegen die Konkurrenz mit dem schwächeren.

Sollten nicht endlich die armen Handarbeiterinnen von der Mitarbeit
der höher gebildeten Mädchen entlastet werden, indem den letzteren mehr
geistige Arbeit gestattet wird?

Erzählt nicht die Frauengeschichte größerer Städte Entsetzliches von dem
Elend und der Verzweiflung der Arbeitslosigkeit und – der Schande, zu
welcher sie häufig endlich führt! Solange diese aber noch in Glanz und
Luxus wandeln kann, und die Trinklokale sich immer vermehren und ver-
schönern, sollte – Konkurrenzfurcht kein Grund sein dürfen zu irgend
welcher Beschränkung ehrenhafter Frauenarbeit.

Müssen wir nicht in dieser Bevormundung unserer Arbeit noch einen
Rest der Zeitanschauung vom Anfang des Jahrhunderts erblicken? Damals
durfte keine Nähterin selbständig arbeiten. Sie mußte Gehilfin bei einem
Schneidermeister sein, welcher ihr dann nach seinem Ermessen einen Teil
der Einnahmen zukommen ließ! – Wie wird das zwanzigste Jahrhundert
beim Studium unserer heutigen Frauenstellung einfach unsere Zeit höhnend
mit jener zusammenwerfen!

Dürfen wir uns wundern, wenn manchen der deutschen Studentinnen,
welche sowohl durch ihre Lehrzeit, als ihren späteren Lebensberuf aus
ihrem Vaterland verbannt sind, der Sozialismus, der ihnen freundlichere
Staatsverhältnisse vorspiegelt, ein verlockendes Zaubergebilde sein würde?

Ein weiteres, eigentümliches Bedenken, welches ich auch schon öfter
von gebildeter Seite hörte, sprach eine ehrsame Züricher Bürgersfrau aus.
Dieselbe war im Allgemeinen den Studentinnen gewogen, namentlich ver-
ehrte sie die Frauenärztinnen, denn Frl. Falner, eine der beiden weib-
lichen Aerzte in Zürich, hatte sie schon aus schwerer Krankheit nicht nur
errettet, sondern auch liebevoll gepflegt. „Aber“, meinte sie, „wenn nun
die Studentinnen heiraten, dann ist meist das ganze Studium umsonst
gewesen“. –

Als ob es nicht ein Gewinn für die Gesellschaft wäre, wenn sich die
Summen des wirklichen Wissens und Könnens vermehrte!

Wird z. B. eine Mutter, welche Medizin studiert hat, nicht gesündere
Kinder erziehen, als eine Modedame, welcher jede Sanitätsregel gleichgiltig

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[11/0011] than zu haben, und am leichtesten den Ruf nach mehr Arbeit abschneiden zu können. Und doch läßt sich statistisch leicht berechnen, daß selbst, wenn man alle die Junggesellen, welche eine Frau ernähren können, zum Heiraten zwingen könnte, doch noch die mormonischen oder türkischen Ehe- verhältnisse eingeführt werden müßten oder wie ein junger Arzt halb scherzend rieth, müssen wie in China gleich 30 % Mädchen nach der Geburt getödtet werden, wenn der Jammer um ersprießliche weibliche selbständige Arbeiten verstummen sollte. Denn auch im Hause der Brüder und Schwäger, wie obige Ratgeber allein stehenden Mädchen so gerne empfehlen, giebt es nicht genug Strümpfe mehr zu stricken und Hemden zu nähen u. s. w., seit die Maschinen das Alles erleichtern, auch ist in den theuren Wohnungen selten mehr ein behagliches Plätzchen für die alternde Schwester, welche einst Jugendkraft und Vermögen für das Studium des Bruders geopfert hatte. Leider scheinen dem Staate seine Töchter nicht gleich wert zu sein, wie seine Söhne, sonst würden seine Behörden nicht das mächtigere Geschlecht schützen gegen die Konkurrenz mit dem schwächeren. Sollten nicht endlich die armen Handarbeiterinnen von der Mitarbeit der höher gebildeten Mädchen entlastet werden, indem den letzteren mehr geistige Arbeit gestattet wird? Erzählt nicht die Frauengeschichte größerer Städte Entsetzliches von dem Elend und der Verzweiflung der Arbeitslosigkeit und – der Schande, zu welcher sie häufig endlich führt! Solange diese aber noch in Glanz und Luxus wandeln kann, und die Trinklokale sich immer vermehren und ver- schönern, sollte – Konkurrenzfurcht kein Grund sein dürfen zu irgend welcher Beschränkung ehrenhafter Frauenarbeit. Müssen wir nicht in dieser Bevormundung unserer Arbeit noch einen Rest der Zeitanschauung vom Anfang des Jahrhunderts erblicken? Damals durfte keine Nähterin selbständig arbeiten. Sie mußte Gehilfin bei einem Schneidermeister sein, welcher ihr dann nach seinem Ermessen einen Teil der Einnahmen zukommen ließ! – Wie wird das zwanzigste Jahrhundert beim Studium unserer heutigen Frauenstellung einfach unsere Zeit höhnend mit jener zusammenwerfen! Dürfen wir uns wundern, wenn manchen der deutschen Studentinnen, welche sowohl durch ihre Lehrzeit, als ihren späteren Lebensberuf aus ihrem Vaterland verbannt sind, der Sozialismus, der ihnen freundlichere Staatsverhältnisse vorspiegelt, ein verlockendes Zaubergebilde sein würde? Ein weiteres, eigentümliches Bedenken, welches ich auch schon öfter von gebildeter Seite hörte, sprach eine ehrsame Züricher Bürgersfrau aus. Dieselbe war im Allgemeinen den Studentinnen gewogen, namentlich ver- ehrte sie die Frauenärztinnen, denn Frl. Falner, eine der beiden weib- lichen Aerzte in Zürich, hatte sie schon aus schwerer Krankheit nicht nur errettet, sondern auch liebevoll gepflegt. „Aber“, meinte sie, „wenn nun die Studentinnen heiraten, dann ist meist das ganze Studium umsonst gewesen“. – Als ob es nicht ein Gewinn für die Gesellschaft wäre, wenn sich die Summen des wirklichen Wissens und Könnens vermehrte! Wird z. B. eine Mutter, welche Medizin studiert hat, nicht gesündere Kinder erziehen, als eine Modedame, welcher jede Sanitätsregel gleichgiltig

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Zitationshilfe: Weber, Mathilde: Ein Besuch in Zürich bei den weiblichen Studierenden der Medizin. Stuttgart, 1888, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_besuch_1888/11>, abgerufen am 09.11.2024.