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Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895.

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nicht trotz, sondern wegen seiner tiefstehenden physischen und
geistigen Lebensgewohnheiten. -

Ein Ausleseprozeß also scheint es zu sein, den wir sich
vollziehen sehen. Beide Nationalitäten sind in die gleichen
Existenzbedingungen seit langer Zeit hineingestellt. Die Folge
war nicht, daß sie, wie der Vulgärmaterialismus sich vorstellt,
die gleichen physischen und psychischen Qualitäten annahmen, sondern
daß die eine der andern weicht, daß diejenige siegt, welche
die größere Anpassungsfähigkeit an die gegebenen ökonomischen
und sozialen Lebensbedingungen besitzt.

Diese verschiedene Anpassungsfähigkeit selbst bringen sie, so
scheint es, als feste Größe mit, sie könnte vielleicht im Verlaufe
generationenlanger Züchtungsprozesse so, wie sie in Jahrtausenden
entstanden sein mag, wieder verschoben werden, aber für die
Erwägungen der Gegenwart ist sie ein Moment, mit welchem wir
als gegeben zu rechnen haben1). -

Nicht immer - das sehen wir - schlägt, wie die Opti-

1) Jch glaube kaum, bemerken zu müssen, daß die naturwissen-
schaftlichen Streitfragen über die Tragweite des Selektionsprinzipes,
überhaupt die naturwissenschaftliche Verwendung des Be-
griffes der "Züchtung" und alle Erörterungen, die sich daran auf
jenem, mir fremden Gebiete knüpfen, für die obigen Bemerkungen
irrelevant sind. Der Begriff der "Auslese" ist heute ebenso Ge-
meingut, wie etwa die heliocentrische Hypothese, und der Gedanke der
Menschen-"Züchtung" gehört schon dem platonischen Staat an. Beide
Begriffe sind z. B. schon von F. A. Lange in seiner "Arbeiterfrage"
verwendet und bei uns längst derart heimisch, daß ein Mißverständ-
nis ihres Sinnes für Niemand, der unsere Litteratur kennt, möglich ist.
Schwieriger ist die Frage, wieweit den neuesten, geistreichen, aber
nach Methode und sachlichen Ergebnissen erhebliche Bedenken erregenden,
in mancher Uebertreibung zweifellos verfehlten Versuchen der Anthro-
pologen, die Tragweite des Auslesegesichtspunktes im Sinne Darwins

nicht trotz, ſondern wegen ſeiner tiefſtehenden phyſiſchen und
geiſtigen Lebensgewohnheiten. –

Ein Ausleſeprozeß alſo ſcheint es zu ſein, den wir ſich
vollziehen ſehen. Beide Nationalitäten ſind in die gleichen
Exiſtenzbedingungen ſeit langer Zeit hineingeſtellt. Die Folge
war nicht, daß ſie, wie der Vulgärmaterialismus ſich vorſtellt,
die gleichen phyſiſchen und pſychiſchen Qualitäten annahmen, ſondern
daß die eine der andern weicht, daß diejenige ſiegt, welche
die größere Anpaſſungsfähigkeit an die gegebenen ökonomiſchen
und ſozialen Lebensbedingungen beſitzt.

Dieſe verſchiedene Anpaſſungsfähigkeit ſelbſt bringen ſie, ſo
ſcheint es, als feſte Größe mit, ſie könnte vielleicht im Verlaufe
generationenlanger Züchtungsprozeſſe ſo, wie ſie in Jahrtauſenden
entſtanden ſein mag, wieder verſchoben werden, aber für die
Erwägungen der Gegenwart iſt ſie ein Moment, mit welchem wir
als gegeben zu rechnen haben1). –

Nicht immer – das ſehen wir – ſchlägt, wie die Opti-

1) Jch glaube kaum, bemerken zu müſſen, daß die naturwiſſen-
ſchaftlichen Streitfragen über die Tragweite des Selektionsprinzipes,
überhaupt die naturwiſſenſchaftliche Verwendung des Be-
griffes der „Züchtung“ und alle Erörterungen, die ſich daran auf
jenem, mir fremden Gebiete knüpfen, für die obigen Bemerkungen
irrelevant ſind. Der Begriff der „Ausleſe“ iſt heute ebenſo Ge-
meingut, wie etwa die heliocentriſche Hypotheſe, und der Gedanke der
Menſchen-„Züchtung“ gehört ſchon dem platoniſchen Staat an. Beide
Begriffe ſind z. B. ſchon von F. A. Lange in ſeiner „Arbeiterfrage“
verwendet und bei uns längſt derart heimiſch, daß ein Mißverſtänd-
nis ihres Sinnes für Niemand, der unſere Litteratur kennt, möglich iſt.
Schwieriger iſt die Frage, wieweit den neueſten, geiſtreichen, aber
nach Methode und ſachlichen Ergebniſſen erhebliche Bedenken erregenden,
in mancher Uebertreibung zweifellos verfehlten Verſuchen der Anthro-
pologen, die Tragweite des Ausleſegeſichtspunktes im Sinne Darwins
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[11/0017] nicht trotz, ſondern wegen ſeiner tiefſtehenden phyſiſchen und geiſtigen Lebensgewohnheiten. – Ein Ausleſeprozeß alſo ſcheint es zu ſein, den wir ſich vollziehen ſehen. Beide Nationalitäten ſind in die gleichen Exiſtenzbedingungen ſeit langer Zeit hineingeſtellt. Die Folge war nicht, daß ſie, wie der Vulgärmaterialismus ſich vorſtellt, die gleichen phyſiſchen und pſychiſchen Qualitäten annahmen, ſondern daß die eine der andern weicht, daß diejenige ſiegt, welche die größere Anpaſſungsfähigkeit an die gegebenen ökonomiſchen und ſozialen Lebensbedingungen beſitzt. Dieſe verſchiedene Anpaſſungsfähigkeit ſelbſt bringen ſie, ſo ſcheint es, als feſte Größe mit, ſie könnte vielleicht im Verlaufe generationenlanger Züchtungsprozeſſe ſo, wie ſie in Jahrtauſenden entſtanden ſein mag, wieder verſchoben werden, aber für die Erwägungen der Gegenwart iſt ſie ein Moment, mit welchem wir als gegeben zu rechnen haben 1). – Nicht immer – das ſehen wir – ſchlägt, wie die Opti- 1) Jch glaube kaum, bemerken zu müſſen, daß die naturwiſſen- ſchaftlichen Streitfragen über die Tragweite des Selektionsprinzipes, überhaupt die naturwiſſenſchaftliche Verwendung des Be- griffes der „Züchtung“ und alle Erörterungen, die ſich daran auf jenem, mir fremden Gebiete knüpfen, für die obigen Bemerkungen irrelevant ſind. Der Begriff der „Ausleſe“ iſt heute ebenſo Ge- meingut, wie etwa die heliocentriſche Hypotheſe, und der Gedanke der Menſchen-„Züchtung“ gehört ſchon dem platoniſchen Staat an. Beide Begriffe ſind z. B. ſchon von F. A. Lange in ſeiner „Arbeiterfrage“ verwendet und bei uns längſt derart heimiſch, daß ein Mißverſtänd- nis ihres Sinnes für Niemand, der unſere Litteratur kennt, möglich iſt. Schwieriger iſt die Frage, wieweit den neueſten, geiſtreichen, aber nach Methode und ſachlichen Ergebniſſen erhebliche Bedenken erregenden, in mancher Uebertreibung zweifellos verfehlten Verſuchen der Anthro- pologen, die Tragweite des Ausleſegeſichtspunktes im Sinne Darwins

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Zitationshilfe: Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_nationalstaat_1895/17>, abgerufen am 21.11.2024.