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Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895.

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oder erstreben. Wir fragen nach ihrer politischen Reife,
das heißt nach ihrem Verständnis und ihrer jeweiligen Befähigung,
die dauernden ökonomischen und politischen Machtinteressen der
Nation über alle anderen Erwägungen zu stellen. Eine Gunst
des Schicksals für die Nation ist es, wenn die naive Jdenti-
fikation der Jnteressen der eigenen Klasse mit denen der All-
gemeinheit den dauernden Machtinteressen auch der letzteren ent-
spricht. Und es ist andererseits auch eine der Täuschungen, welche
auf der modernen Ueberschätzung des "Oekonomischen" im ge-
wöhnlichen Sinne des Wortes beruhen, wenn man meint, daß
die politischen Gemeingefühle eine Belastungsprobe durch ab-
weichende ökonomische Tagesinteressen nicht vertrügen, womöglichst
selbst nur eine Widerspiegelung des ökonomischen Unterbaues
jener wandelbaren Jnteressenlage seien. Das trifft nur in Zeiten
fundamentaler sozialer Umschichtung annähernd zu. - Eins nur ist
wahr: bei Nationen, welchen die Abhängigkeit ihrer ökonomischen
Blüte von ihrer politischen Machtlage nicht, wie der englischen,
täglich vor Augen geführt wird, wohnen die Jnstinkte für diese
spezifisch politischen Jnteressen nicht, wenigstens nicht in der Regel,
in den breiten Massen der Nation, die mit der Not des Tages
zu ringen haben, - es wäre ungerecht, sie von ihnen zu be-
anspruchen. Jn großen Momenten, im Fall des Krieges, tritt
auch ihnen die Bedeutung der nationalen Macht vor die Seele, -
dann zeigt sich, daß der nationale Staat auf urwüchsigen psycho-
logischen Unterlagen auch bei den breiten ökonomisch beherrschten
Schichten der Nation ruht und keineswegs nur ein "Ueber-
bau", die Organisation der ökonomisch herrschenden Klassen ist.
Allein in normalen Zeiten sinkt dieser politische Jnstinkt bei
der Masse unter die Schwelle des Bewußtseins. Dann ist es

oder erſtreben. Wir fragen nach ihrer politiſchen Reife,
das heißt nach ihrem Verſtändnis und ihrer jeweiligen Befähigung,
die dauernden ökonomiſchen und politiſchen Machtintereſſen der
Nation über alle anderen Erwägungen zu ſtellen. Eine Gunſt
des Schickſals für die Nation iſt es, wenn die naive Jdenti-
fikation der Jntereſſen der eigenen Klaſſe mit denen der All-
gemeinheit den dauernden Machtintereſſen auch der letzteren ent-
ſpricht. Und es iſt andererſeits auch eine der Täuſchungen, welche
auf der modernen Ueberſchätzung des „Oekonomiſchen“ im ge-
wöhnlichen Sinne des Wortes beruhen, wenn man meint, daß
die politiſchen Gemeingefühle eine Belaſtungsprobe durch ab-
weichende ökonomiſche Tagesintereſſen nicht vertrügen, womöglichſt
ſelbſt nur eine Widerſpiegelung des ökonomiſchen Unterbaues
jener wandelbaren Jntereſſenlage ſeien. Das trifft nur in Zeiten
fundamentaler ſozialer Umſchichtung annähernd zu. – Eins nur iſt
wahr: bei Nationen, welchen die Abhängigkeit ihrer ökonomiſchen
Blüte von ihrer politiſchen Machtlage nicht, wie der engliſchen,
täglich vor Augen geführt wird, wohnen die Jnſtinkte für dieſe
ſpezifiſch politiſchen Jntereſſen nicht, wenigſtens nicht in der Regel,
in den breiten Maſſen der Nation, die mit der Not des Tages
zu ringen haben, – es wäre ungerecht, ſie von ihnen zu be-
anſpruchen. Jn großen Momenten, im Fall des Krieges, tritt
auch ihnen die Bedeutung der nationalen Macht vor die Seele, –
dann zeigt ſich, daß der nationale Staat auf urwüchſigen pſycho-
logiſchen Unterlagen auch bei den breiten ökonomiſch beherrſchten
Schichten der Nation ruht und keineswegs nur ein „Ueber-
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[25/0031] oder erſtreben. Wir fragen nach ihrer politiſchen Reife, das heißt nach ihrem Verſtändnis und ihrer jeweiligen Befähigung, die dauernden ökonomiſchen und politiſchen Machtintereſſen der Nation über alle anderen Erwägungen zu ſtellen. Eine Gunſt des Schickſals für die Nation iſt es, wenn die naive Jdenti- fikation der Jntereſſen der eigenen Klaſſe mit denen der All- gemeinheit den dauernden Machtintereſſen auch der letzteren ent- ſpricht. Und es iſt andererſeits auch eine der Täuſchungen, welche auf der modernen Ueberſchätzung des „Oekonomiſchen“ im ge- wöhnlichen Sinne des Wortes beruhen, wenn man meint, daß die politiſchen Gemeingefühle eine Belaſtungsprobe durch ab- weichende ökonomiſche Tagesintereſſen nicht vertrügen, womöglichſt ſelbſt nur eine Widerſpiegelung des ökonomiſchen Unterbaues jener wandelbaren Jntereſſenlage ſeien. Das trifft nur in Zeiten fundamentaler ſozialer Umſchichtung annähernd zu. – Eins nur iſt wahr: bei Nationen, welchen die Abhängigkeit ihrer ökonomiſchen Blüte von ihrer politiſchen Machtlage nicht, wie der engliſchen, täglich vor Augen geführt wird, wohnen die Jnſtinkte für dieſe ſpezifiſch politiſchen Jntereſſen nicht, wenigſtens nicht in der Regel, in den breiten Maſſen der Nation, die mit der Not des Tages zu ringen haben, – es wäre ungerecht, ſie von ihnen zu be- anſpruchen. Jn großen Momenten, im Fall des Krieges, tritt auch ihnen die Bedeutung der nationalen Macht vor die Seele, – dann zeigt ſich, daß der nationale Staat auf urwüchſigen pſycho- logiſchen Unterlagen auch bei den breiten ökonomiſch beherrſchten Schichten der Nation ruht und keineswegs nur ein „Ueber- bau“, die Organiſation der ökonomiſch herrſchenden Klaſſen iſt. Allein in normalen Zeiten ſinkt dieſer politiſche Jnſtinkt bei der Maſſe unter die Schwelle des Bewußtſeins. Dann iſt es

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Zitationshilfe: Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_nationalstaat_1895/31>, abgerufen am 24.11.2024.