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Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895.

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die spezifische Funktion der ökonomisch und politisch leitenden
Schichten, Träger des politischen Sinnes zu sein, der einzige
Grund, der politisch ihr Vorhandensein zu rechtfertigen vermag.

Die Erlangung ökonomischer Macht ist es zu allen Zeiten
gewesen, welche bei einer Klasse die Vorstellung ihrer Anwart-
schaft auf die politische Leitung
entstehen ließ. Gefährlich und
auf die Dauer mit dem Jnteresse der Nation unvereinbar ist es,
wenn eine ökonomisch sinkende Klasse die politische Herrschaft in
der Hand hält. Aber gefährlicher noch ist es, wenn Klassen, zu
denen hin sich die ökonomische Macht und damit die Anwartschaft
auf die politische Herrschaft bewegt, politisch noch nicht reif sind
zur Leitung des Staates. Beides bedroht Deutschland zur Zeit
und ist in Wahrheit der Schlüssel für die derzeitigen Gefahren
unserer Lage. Und auch die Umschichtungen der sozialen Struktur
des Ostens, mit denen die im Eingang besprochenen Erscheinungen
zusammenhängen, gehören in diesen größeren Zusammenhang.

Bis in die Gegenwart hinein hat im preußischen Staat
die Dynastie politisch sich auf den Stand der preußischen
Junker gestützt. Gegen ihn zwar, aber doch auch nur mit
ihm, hat sie den preußischen Staat geschaffen. Jch weiß es
wohl, daß der Name der Junker süddeutschen Ohren unfreundlich
klingt. Man wird vielleicht finden, ich spräche eine "preußische"
Sprache, wenn ich ein Wort zu ihren Gunsten sage. Jch wüßte
nicht. Noch heute führen in Preußen für jenen Stand viele Wege
zu Einfluß und Macht, viele Wege auch an das Ohr des Mon-
archen, die nicht jedem Staatsbürger sich ebnen; er hat diese
Macht nicht immer so gebraucht, wie er es vor der Geschichte
verantworten kann, und ich sehe nicht ein, weshalb ein bürger-
licher Gelehrter ihn lieben sollte. Allein trotz alledem war die

die ſpezifiſche Funktion der ökonomiſch und politiſch leitenden
Schichten, Träger des politiſchen Sinnes zu ſein, der einzige
Grund, der politiſch ihr Vorhandenſein zu rechtfertigen vermag.

Die Erlangung ökonomiſcher Macht iſt es zu allen Zeiten
geweſen, welche bei einer Klaſſe die Vorſtellung ihrer Anwart-
ſchaft auf die politiſche Leitung
entſtehen ließ. Gefährlich und
auf die Dauer mit dem Jntereſſe der Nation unvereinbar iſt es,
wenn eine ökonomiſch ſinkende Klaſſe die politiſche Herrſchaft in
der Hand hält. Aber gefährlicher noch iſt es, wenn Klaſſen, zu
denen hin ſich die ökonomiſche Macht und damit die Anwartschaft
auf die politiſche Herrſchaft bewegt, politiſch noch nicht reif ſind
zur Leitung des Staates. Beides bedroht Deutſchland zur Zeit
und iſt in Wahrheit der Schlüſſel für die derzeitigen Gefahren
unſerer Lage. Und auch die Umſchichtungen der ſozialen Struktur
des Oſtens, mit denen die im Eingang beſprochenen Erſcheinungen
zuſammenhängen, gehören in dieſen größeren Zuſammenhang.

Bis in die Gegenwart hinein hat im preußiſchen Staat
die Dynaſtie politiſch ſich auf den Stand der preußiſchen
Junker geſtützt. Gegen ihn zwar, aber doch auch nur mit
ihm, hat ſie den preußiſchen Staat geſchaffen. Jch weiß es
wohl, daß der Name der Junker ſüddeutſchen Ohren unfreundlich
klingt. Man wird vielleicht finden, ich ſpräche eine „preußiſche“
Sprache, wenn ich ein Wort zu ihren Gunſten ſage. Jch wüßte
nicht. Noch heute führen in Preußen für jenen Stand viele Wege
zu Einfluß und Macht, viele Wege auch an das Ohr des Mon-
archen, die nicht jedem Staatsbürger ſich ebnen; er hat dieſe
Macht nicht immer ſo gebraucht, wie er es vor der Geſchichte
verantworten kann, und ich ſehe nicht ein, weſhalb ein bürger-
licher Gelehrter ihn lieben ſollte. Allein trotz alledem war die

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[26/0032] die ſpezifiſche Funktion der ökonomiſch und politiſch leitenden Schichten, Träger des politiſchen Sinnes zu ſein, der einzige Grund, der politiſch ihr Vorhandenſein zu rechtfertigen vermag. Die Erlangung ökonomiſcher Macht iſt es zu allen Zeiten geweſen, welche bei einer Klaſſe die Vorſtellung ihrer Anwart- ſchaft auf die politiſche Leitung entſtehen ließ. Gefährlich und auf die Dauer mit dem Jntereſſe der Nation unvereinbar iſt es, wenn eine ökonomiſch ſinkende Klaſſe die politiſche Herrſchaft in der Hand hält. Aber gefährlicher noch iſt es, wenn Klaſſen, zu denen hin ſich die ökonomiſche Macht und damit die Anwartschaft auf die politiſche Herrſchaft bewegt, politiſch noch nicht reif ſind zur Leitung des Staates. Beides bedroht Deutſchland zur Zeit und iſt in Wahrheit der Schlüſſel für die derzeitigen Gefahren unſerer Lage. Und auch die Umſchichtungen der ſozialen Struktur des Oſtens, mit denen die im Eingang beſprochenen Erſcheinungen zuſammenhängen, gehören in dieſen größeren Zuſammenhang. Bis in die Gegenwart hinein hat im preußiſchen Staat die Dynaſtie politiſch ſich auf den Stand der preußiſchen Junker geſtützt. Gegen ihn zwar, aber doch auch nur mit ihm, hat ſie den preußiſchen Staat geſchaffen. Jch weiß es wohl, daß der Name der Junker ſüddeutſchen Ohren unfreundlich klingt. Man wird vielleicht finden, ich ſpräche eine „preußiſche“ Sprache, wenn ich ein Wort zu ihren Gunſten ſage. Jch wüßte nicht. Noch heute führen in Preußen für jenen Stand viele Wege zu Einfluß und Macht, viele Wege auch an das Ohr des Mon- archen, die nicht jedem Staatsbürger ſich ebnen; er hat dieſe Macht nicht immer ſo gebraucht, wie er es vor der Geſchichte verantworten kann, und ich ſehe nicht ein, weſhalb ein bürger- licher Gelehrter ihn lieben ſollte. Allein trotz alledem war die

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Zitationshilfe: Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_nationalstaat_1895/32>, abgerufen am 21.11.2024.