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Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.

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einer Frau ab- und einer andern zuwendet, nicht das Bedürfnis
empfindet, dies dadurch vor sich selbst zu legitimieren, daß er
sagt: sie war meiner Liebe nicht wert, oder sie hat mich ent-
täuscht, oder was dergleichen "Gründe" mehr sind. Eine Un-
ritterlichkeit, die zu dem schlichten Schicksal: daß er sie nicht
mehr liebt, und daß die Frau das tragen muß, in tiefer Un-
ritterlichkeit sich eine "Legitimität" hinzudichtet, kraft deren er
für sich ein Recht in Anspruch nimmt und zu dem Unglück
noch das Unrecht auf sie zu wälzen trachtet. Ganz ebenso
verfährt der erfolgreiche erotische Konkurrent: der Gegner muß
der wertlosere sein, sonst wäre er nicht unterlegen. Nichts
anderes ist es aber selbstverständlich, wenn nach irgendeinem
siegreichen Krieg der Sieger in würdeloser Rechthaberei be-
ansprucht: ich siegte, denn ich hatte recht. Oder, wenn jemand
unter den Fürchterlichkeiten des Krieges seelisch zusammenbricht
und nun, anstatt schlicht zu sagen: es war eben zu viel, jetzt
das Bedürfnis empfindet, seine Kriegsmüdigkeit vor sich selbst
zu legitimieren, indem er die Empfindung substituiert: ich konnte
das deshalb nicht ertragen, weil ich für eine sittlich schlechte
Sache fechten mußte. Und ebenso bei dem im Kriege Be-
siegten. Statt nach alter Weiber Art nach einem Kriege nach
dem "Schuldigen" zu suchen, - wo doch die Struktur der
Gesellschaft den Krieg erzeugte -, wird jede männliche und
herbe Haltung dem Feinde sagen: "Wir verloren den Krieg -
ihr habt ihn gewonnen. Das ist nun erledigt: nun laßt uns
darüber reden, welche Konsequenzen zu ziehen sind entsprechend
den sachlichen Jnteressen, die im Spiel waren, und - die
Hauptsache - angesichts der Verantwortung vor der Zukunft,
die vor allem den Sieger belastet." Alles andere ist würdelos
und rächt sich. Verletzung ihrer Jnteressen verzeiht eine Nation,
nicht aber Verletzung ihrer Ehre, am wenigsten eine solche
durch pfäffische Rechthaberei. Jedes neue Dokument, das nach
Jahrzehnten ans Licht kommt, läßt das würdelose Gezeter, den
Haß und Zorn wieder aufleben, statt daß der Krieg mit seinem
Ende wenigstens sittlich begraben würde. Das ist nur durch
Sachlichkeit und Ritterlichkeit, vor allem nur: durch Würde
möglich. Nie aber durch eine "Ethik", die in Wahrheit eine

einer Frau ab- und einer andern zuwendet, nicht das Bedürfnis
empfindet, dies dadurch vor ſich ſelbſt zu legitimieren, daß er
ſagt: ſie war meiner Liebe nicht wert, oder ſie hat mich ent-
täuſcht, oder was dergleichen „Gründe“ mehr ſind. Eine Un-
ritterlichkeit, die zu dem ſchlichten Schickſal: daß er ſie nicht
mehr liebt, und daß die Frau das tragen muß, in tiefer Un-
ritterlichkeit ſich eine „Legitimität“ hinzudichtet, kraft deren er
für ſich ein Recht in Anſpruch nimmt und zu dem Unglück
noch das Unrecht auf ſie zu wälzen trachtet. Ganz ebenſo
verfährt der erfolgreiche erotiſche Konkurrent: der Gegner muß
der wertloſere ſein, ſonſt wäre er nicht unterlegen. Nichts
anderes iſt es aber ſelbſtverſtändlich, wenn nach irgendeinem
ſiegreichen Krieg der Sieger in würdeloſer Rechthaberei be-
anſprucht: ich ſiegte, denn ich hatte recht. Oder, wenn jemand
unter den Fürchterlichkeiten des Krieges ſeeliſch zuſammenbricht
und nun, anſtatt ſchlicht zu ſagen: es war eben zu viel, jetzt
das Bedürfnis empfindet, ſeine Kriegsmüdigkeit vor ſich ſelbſt
zu legitimieren, indem er die Empfindung ſubſtituiert: ich konnte
das deshalb nicht ertragen, weil ich für eine ſittlich ſchlechte
Sache fechten mußte. Und ebenſo bei dem im Kriege Be-
ſiegten. Statt nach alter Weiber Art nach einem Kriege nach
dem „Schuldigen“ zu ſuchen, – wo doch die Struktur der
Geſellſchaft den Krieg erzeugte –, wird jede männliche und
herbe Haltung dem Feinde ſagen: „Wir verloren den Krieg –
ihr habt ihn gewonnen. Das iſt nun erledigt: nun laßt uns
darüber reden, welche Konſequenzen zu ziehen ſind entſprechend
den ſachlichen Jntereſſen, die im Spiel waren, und – die
Hauptſache – angeſichts der Verantwortung vor der Zukunft,
die vor allem den Sieger belaſtet.“ Alles andere iſt würdelos
und rächt ſich. Verletzung ihrer Jntereſſen verzeiht eine Nation,
nicht aber Verletzung ihrer Ehre, am wenigſten eine ſolche
durch pfäffiſche Rechthaberei. Jedes neue Dokument, das nach
Jahrzehnten ans Licht kommt, läßt das würdeloſe Gezeter, den
Haß und Zorn wieder aufleben, ſtatt daß der Krieg mit ſeinem
Ende wenigſtens ſittlich begraben würde. Das iſt nur durch
Sachlichkeit und Ritterlichkeit, vor allem nur: durch Würde
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[53/0053] einer Frau ab- und einer andern zuwendet, nicht das Bedürfnis empfindet, dies dadurch vor ſich ſelbſt zu legitimieren, daß er ſagt: ſie war meiner Liebe nicht wert, oder ſie hat mich ent- täuſcht, oder was dergleichen „Gründe“ mehr ſind. Eine Un- ritterlichkeit, die zu dem ſchlichten Schickſal: daß er ſie nicht mehr liebt, und daß die Frau das tragen muß, in tiefer Un- ritterlichkeit ſich eine „Legitimität“ hinzudichtet, kraft deren er für ſich ein Recht in Anſpruch nimmt und zu dem Unglück noch das Unrecht auf ſie zu wälzen trachtet. Ganz ebenſo verfährt der erfolgreiche erotiſche Konkurrent: der Gegner muß der wertloſere ſein, ſonſt wäre er nicht unterlegen. Nichts anderes iſt es aber ſelbſtverſtändlich, wenn nach irgendeinem ſiegreichen Krieg der Sieger in würdeloſer Rechthaberei be- anſprucht: ich ſiegte, denn ich hatte recht. Oder, wenn jemand unter den Fürchterlichkeiten des Krieges ſeeliſch zuſammenbricht und nun, anſtatt ſchlicht zu ſagen: es war eben zu viel, jetzt das Bedürfnis empfindet, ſeine Kriegsmüdigkeit vor ſich ſelbſt zu legitimieren, indem er die Empfindung ſubſtituiert: ich konnte das deshalb nicht ertragen, weil ich für eine ſittlich ſchlechte Sache fechten mußte. Und ebenſo bei dem im Kriege Be- ſiegten. Statt nach alter Weiber Art nach einem Kriege nach dem „Schuldigen“ zu ſuchen, – wo doch die Struktur der Geſellſchaft den Krieg erzeugte –, wird jede männliche und herbe Haltung dem Feinde ſagen: „Wir verloren den Krieg – ihr habt ihn gewonnen. Das iſt nun erledigt: nun laßt uns darüber reden, welche Konſequenzen zu ziehen ſind entſprechend den ſachlichen Jntereſſen, die im Spiel waren, und – die Hauptſache – angeſichts der Verantwortung vor der Zukunft, die vor allem den Sieger belaſtet.“ Alles andere iſt würdelos und rächt ſich. Verletzung ihrer Jntereſſen verzeiht eine Nation, nicht aber Verletzung ihrer Ehre, am wenigſten eine ſolche durch pfäffiſche Rechthaberei. Jedes neue Dokument, das nach Jahrzehnten ans Licht kommt, läßt das würdeloſe Gezeter, den Haß und Zorn wieder aufleben, ſtatt daß der Krieg mit ſeinem Ende wenigſtens ſittlich begraben würde. Das iſt nur durch Sachlichkeit und Ritterlichkeit, vor allem nur: durch Würde möglich. Nie aber durch eine „Ethik“, die in Wahrheit eine

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Zitationshilfe: Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/53>, abgerufen am 22.11.2024.