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Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.

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Weg zu Gott. Den fand man damals nicht mehr bei den Philo-
sophen und ihren Begriffen und Deduktionen: - daß Gott
auf diesem Weg nicht zu finden sei, auf dem ihn das Mittel-
alter gesucht hatte, das wußte die ganze pietistische Theologie
der damaligen Zeit, Spener vor allem. Gott ist verborgen,
seine Wege sind nicht unsere Wege, seine Gedanken nicht
unsere Gedanken. Jn den exakten Naturwissenschaften aber,
wo man seine Werke physisch greifen konnte, da hoffte man,
seinen Absichten mit der Welt auf die Spur zu kommen. Und
heute? Wer - außer einigen großen Kindern, wie sie sich
gerade in den Naturwissenschaften finden - glaubt heute noch, daß
Erkenntnisse der Astronomie oder der Biologie oder der Physik
oder Chemie uns etwas über den Sinn der Welt, ja auch
nur etwas darüber lehren könnten: auf welchem Weg man einem
solchen "Sinn" - wenn es ihn gibt - auf die Spur kommen
könnte? Wenn irgend etwas, so sind sie geeignet, den Glauben
daran: daß es so etwas wie einen "Sinn" der Welt gebe, in
der Wurzel absterben zu lassen! Und vollends: die Wissen-
schaft als Weg "zu Gott"? Sie, die spezifisch gottfremde
Macht? Daß sie das ist, darüber wird - mag er es sich
zugestehen oder nicht - in seinem letzten Jnnern heute nie-
mand im Zweifel sein. Erlösung von dem Rationalismus und
Jntellektualismus der Wissenschaft ist die Grundvoraussetzung
des Lebens in der Gemeinschaft mit dem Göttlichen: dies oder
etwas dem Sinn nach Gleiches ist eine der Grundparolen, die
man aus allem Empfinden unserer religiös gestimmten oder
nach religiösem Erlebnis strebenden Jugend heraushört. Und
nicht nur für das religiöse, nein für das Erlebnis überhaupt.
Befremdlich ist nur der Weg, der nun eingeschlagen wird:
daß nämlich das einzige, was bis dahin der Jntellektualismus
noch nicht berührt hatte: eben jene Sphären des
Jrrationalen, jetzt ins Bewußtsein erhoben und unter seine
Lupe genommen werden. Denn darauf kommt die moderne
intellektualistische Romantik des Jrrationalen praktisch hinaus.
Dieser Weg zur Befreiung vom Jntellektualismus bringt wohl
das gerade Gegenteil von dem, was diejenigen, die ihn be-
schreiten, als Ziel darunter sich vorstellen. - Daß man schließ-

Weg zu Gott. Den fand man damals nicht mehr bei den Philo-
ſophen und ihren Begriffen und Deduktionen: – daß Gott
auf dieſem Weg nicht zu finden ſei, auf dem ihn das Mittel-
alter geſucht hatte, das wußte die ganze pietiſtiſche Theologie
der damaligen Zeit, Spener vor allem. Gott iſt verborgen,
ſeine Wege ſind nicht unſere Wege, ſeine Gedanken nicht
unſere Gedanken. Jn den exakten Naturwiſſenſchaften aber,
wo man ſeine Werke phyſiſch greifen konnte, da hoffte man,
ſeinen Abſichten mit der Welt auf die Spur zu kommen. Und
heute? Wer – außer einigen großen Kindern, wie ſie ſich
gerade in den Naturwiſſenſchaften finden – glaubt heute noch, daß
Erkenntniſſe der Aſtronomie oder der Biologie oder der Phyſik
oder Chemie uns etwas über den Sinn der Welt, ja auch
nur etwas darüber lehren könnten: auf welchem Weg man einem
ſolchen „Sinn“ – wenn es ihn gibt – auf die Spur kommen
könnte? Wenn irgend etwas, ſo ſind ſie geeignet, den Glauben
daran: daß es ſo etwas wie einen „Sinn“ der Welt gebe, in
der Wurzel abſterben zu laſſen! Und vollends: die Wiſſen-
ſchaft als Weg „zu Gott“? Sie, die ſpezifiſch gottfremde
Macht? Daß ſie das iſt, darüber wird – mag er es ſich
zugeſtehen oder nicht – in ſeinem letzten Jnnern heute nie-
mand im Zweifel ſein. Erlöſung von dem Rationalismus und
Jntellektualismus der Wiſſenſchaft iſt die Grundvorausſetzung
des Lebens in der Gemeinſchaft mit dem Göttlichen: dies oder
etwas dem Sinn nach Gleiches iſt eine der Grundparolen, die
man aus allem Empfinden unſerer religiös geſtimmten oder
nach religiöſem Erlebnis ſtrebenden Jugend heraushört. Und
nicht nur für das religiöſe, nein für das Erlebnis überhaupt.
Befremdlich iſt nur der Weg, der nun eingeſchlagen wird:
daß nämlich das einzige, was bis dahin der Jntellektualismus
noch nicht berührt hatte: eben jene Sphären des
Jrrationalen, jetzt ins Bewußtſein erhoben und unter ſeine
Lupe genommen werden. Denn darauf kommt die moderne
intellektualiſtiſche Romantik des Jrrationalen praktiſch hinaus.
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das gerade Gegenteil von dem, was diejenigen, die ihn be-
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[20/0019] Weg zu Gott. Den fand man damals nicht mehr bei den Philo- ſophen und ihren Begriffen und Deduktionen: – daß Gott auf dieſem Weg nicht zu finden ſei, auf dem ihn das Mittel- alter geſucht hatte, das wußte die ganze pietiſtiſche Theologie der damaligen Zeit, Spener vor allem. Gott iſt verborgen, ſeine Wege ſind nicht unſere Wege, ſeine Gedanken nicht unſere Gedanken. Jn den exakten Naturwiſſenſchaften aber, wo man ſeine Werke phyſiſch greifen konnte, da hoffte man, ſeinen Abſichten mit der Welt auf die Spur zu kommen. Und heute? Wer – außer einigen großen Kindern, wie ſie ſich gerade in den Naturwiſſenſchaften finden – glaubt heute noch, daß Erkenntniſſe der Aſtronomie oder der Biologie oder der Phyſik oder Chemie uns etwas über den Sinn der Welt, ja auch nur etwas darüber lehren könnten: auf welchem Weg man einem ſolchen „Sinn“ – wenn es ihn gibt – auf die Spur kommen könnte? Wenn irgend etwas, ſo ſind ſie geeignet, den Glauben daran: daß es ſo etwas wie einen „Sinn“ der Welt gebe, in der Wurzel abſterben zu laſſen! Und vollends: die Wiſſen- ſchaft als Weg „zu Gott“? Sie, die ſpezifiſch gottfremde Macht? Daß ſie das iſt, darüber wird – mag er es ſich zugeſtehen oder nicht – in ſeinem letzten Jnnern heute nie- mand im Zweifel ſein. Erlöſung von dem Rationalismus und Jntellektualismus der Wiſſenſchaft iſt die Grundvorausſetzung des Lebens in der Gemeinſchaft mit dem Göttlichen: dies oder etwas dem Sinn nach Gleiches iſt eine der Grundparolen, die man aus allem Empfinden unſerer religiös geſtimmten oder nach religiöſem Erlebnis ſtrebenden Jugend heraushört. Und nicht nur für das religiöſe, nein für das Erlebnis überhaupt. Befremdlich iſt nur der Weg, der nun eingeſchlagen wird: daß nämlich das einzige, was bis dahin der Jntellektualismus noch nicht berührt hatte: eben jene Sphären des Jrrationalen, jetzt ins Bewußtſein erhoben und unter ſeine Lupe genommen werden. Denn darauf kommt die moderne intellektualiſtiſche Romantik des Jrrationalen praktiſch hinaus. Dieſer Weg zur Befreiung vom Jntellektualismus bringt wohl das gerade Gegenteil von dem, was diejenigen, die ihn be- ſchreiten, als Ziel darunter ſich vorſtellen. – Daß man ſchließ-

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Zitationshilfe: Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_wissenschaft_1919/19>, abgerufen am 28.11.2024.