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Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.

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lich in naivem Optimismus die Wissenschaft, das heißt: die
auf sie gegründete Technik der Beherrschung des Lebens, als
Weg zum Glück gefeiert hat, - dies darf ich wohl, nach
Nietzsches vernichtender Kritik an jenen "letzten Menschen",
die "das Glück erfunden haben", ganz beiseite lassen. Wer
glaubt daran? - außer einigen großen Kindern auf dem
Katheder oder in Redaktionsstuben?

Kehren wir zurück. Was ist unter diesen inneren Voraus-
setzungen der Sinn der Wissenschaft als Beruf, da alle diese
früheren Jllusionen: "Weg zum wahren Sein", "Weg zur
wahren Kunst", "Weg zur wahren Natur", "Weg zum wahren
Gott", "Weg zum wahren Glück", versunken sind? Die ein-
fachste Antwort hat Tolstoj gegeben mit den Worten: "Sie
ist sinnlos, weil sie auf die allein für uns wichtige Frage:
,Was sollen wir tun? Wie sollen wir leben?' keine Antwort
gibt." Die Tatsache, daß sie diese Antwort nicht gibt, ist
schlechthin unbestreitbar. Die Frage ist nur, in welchem Sinne
sie "keine" Antwort gibt, und ob sie statt dessen nicht doch
vielleicht dem, der die Frage richtig stellt, etwas leisten könnte. -
Man pflegt heute häufig von "voraussetzungsloser" Wissen-
schaft zu sprechen. Gibt es das? Es kommt darauf an, was
man darunter versteht. Vorausgesetzt ist bei jeder wissen-
schaftlichen Arbeit immer die Geltung der Regeln der Logik
und Methodik: dieser allgemeinen Grundlagen unserer Orien-
tierung in der Welt. Nun, diese Voraussetzungen sind, we-
nigstens für unsere besondere Frage, am wenigsten proble-
matisch. Vorausgesetzt ist aber ferner: daß das, was bei
wissenschaftlicher Arbeit herauskommt, wichtig im Sinn von
"wissenswert" sei. Und da stecken nun offenbar alle unsere
Probleme darin. Denn diese Voraussetzung ist nicht wieder
ihrerseits mit den Mitteln der Wissenschaft beweisbar. Sie
läßt sich nur auf ihren letzten Sinn deuten, den man dann
ablehnen oder annehmen muß, je nach der eigenen letzten
Stellungnahme zum Leben.

Sehr verschieden ist ferner die Art der Beziehung der
wissenschaftlichen Arbeit zu diesen ihren Voraussetzungen, je
nach der Struktur dieser. Naturwissenschaften wie etwa die

lich in naivem Optimismus die Wiſſenſchaft, das heißt: die
auf ſie gegründete Technik der Beherrſchung des Lebens, als
Weg zum Glück gefeiert hat, – dies darf ich wohl, nach
Nietzſches vernichtender Kritik an jenen „letzten Menſchen“,
die „das Glück erfunden haben“, ganz beiſeite laſſen. Wer
glaubt daran? – außer einigen großen Kindern auf dem
Katheder oder in Redaktionsſtuben?

Kehren wir zurück. Was iſt unter dieſen inneren Voraus-
ſetzungen der Sinn der Wiſſenſchaft als Beruf, da alle dieſe
früheren Jlluſionen: „Weg zum wahren Sein“, „Weg zur
wahren Kunſt“, „Weg zur wahren Natur“, „Weg zum wahren
Gott“, „Weg zum wahren Glück“, verſunken ſind? Die ein-
fachſte Antwort hat Tolſtoj gegeben mit den Worten: „Sie
iſt ſinnlos, weil ſie auf die allein für uns wichtige Frage:
,Was ſollen wir tun? Wie ſollen wir leben?' keine Antwort
gibt.“ Die Tatſache, daß ſie dieſe Antwort nicht gibt, iſt
ſchlechthin unbeſtreitbar. Die Frage iſt nur, in welchem Sinne
ſie „keine“ Antwort gibt, und ob ſie ſtatt deſſen nicht doch
vielleicht dem, der die Frage richtig ſtellt, etwas leiſten könnte. –
Man pflegt heute häufig von „vorausſetzungsloſer“ Wiſſen-
ſchaft zu ſprechen. Gibt es das? Es kommt darauf an, was
man darunter verſteht. Vorausgeſetzt iſt bei jeder wiſſen-
ſchaftlichen Arbeit immer die Geltung der Regeln der Logik
und Methodik: dieſer allgemeinen Grundlagen unſerer Orien-
tierung in der Welt. Nun, dieſe Vorausſetzungen ſind, we-
nigſtens für unſere beſondere Frage, am wenigſten proble-
matiſch. Vorausgeſetzt iſt aber ferner: daß das, was bei
wiſſenſchaftlicher Arbeit herauskommt, wichtig im Sinn von
„wiſſenswert“ ſei. Und da ſtecken nun offenbar alle unſere
Probleme darin. Denn dieſe Vorausſetzung iſt nicht wieder
ihrerſeits mit den Mitteln der Wiſſenſchaft beweisbar. Sie
läßt ſich nur auf ihren letzten Sinn deuten, den man dann
ablehnen oder annehmen muß, je nach der eigenen letzten
Stellungnahme zum Leben.

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[21/0020] lich in naivem Optimismus die Wiſſenſchaft, das heißt: die auf ſie gegründete Technik der Beherrſchung des Lebens, als Weg zum Glück gefeiert hat, – dies darf ich wohl, nach Nietzſches vernichtender Kritik an jenen „letzten Menſchen“, die „das Glück erfunden haben“, ganz beiſeite laſſen. Wer glaubt daran? – außer einigen großen Kindern auf dem Katheder oder in Redaktionsſtuben? Kehren wir zurück. Was iſt unter dieſen inneren Voraus- ſetzungen der Sinn der Wiſſenſchaft als Beruf, da alle dieſe früheren Jlluſionen: „Weg zum wahren Sein“, „Weg zur wahren Kunſt“, „Weg zur wahren Natur“, „Weg zum wahren Gott“, „Weg zum wahren Glück“, verſunken ſind? Die ein- fachſte Antwort hat Tolſtoj gegeben mit den Worten: „Sie iſt ſinnlos, weil ſie auf die allein für uns wichtige Frage: ,Was ſollen wir tun? Wie ſollen wir leben?' keine Antwort gibt.“ Die Tatſache, daß ſie dieſe Antwort nicht gibt, iſt ſchlechthin unbeſtreitbar. Die Frage iſt nur, in welchem Sinne ſie „keine“ Antwort gibt, und ob ſie ſtatt deſſen nicht doch vielleicht dem, der die Frage richtig ſtellt, etwas leiſten könnte. – Man pflegt heute häufig von „vorausſetzungsloſer“ Wiſſen- ſchaft zu ſprechen. Gibt es das? Es kommt darauf an, was man darunter verſteht. Vorausgeſetzt iſt bei jeder wiſſen- ſchaftlichen Arbeit immer die Geltung der Regeln der Logik und Methodik: dieſer allgemeinen Grundlagen unſerer Orien- tierung in der Welt. Nun, dieſe Vorausſetzungen ſind, we- nigſtens für unſere beſondere Frage, am wenigſten proble- matiſch. Vorausgeſetzt iſt aber ferner: daß das, was bei wiſſenſchaftlicher Arbeit herauskommt, wichtig im Sinn von „wiſſenswert“ ſei. Und da ſtecken nun offenbar alle unſere Probleme darin. Denn dieſe Vorausſetzung iſt nicht wieder ihrerſeits mit den Mitteln der Wiſſenſchaft beweisbar. Sie läßt ſich nur auf ihren letzten Sinn deuten, den man dann ablehnen oder annehmen muß, je nach der eigenen letzten Stellungnahme zum Leben. Sehr verſchieden iſt ferner die Art der Beziehung der wiſſenſchaftlichen Arbeit zu dieſen ihren Vorausſetzungen, je nach der Struktur dieſer. Naturwiſſenſchaften wie etwa die

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Zitationshilfe: Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_wissenschaft_1919/20>, abgerufen am 28.11.2024.