Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.über die Tatsachen des Herganges bei der Entstehung des Aber hat denn nun die Leistung der Wissenschaft gar keinen Bisher sprach ich nur von praktischen Gründen der Ver- über die Tatſachen des Herganges bei der Entſtehung des Aber hat denn nun die Leiſtung der Wiſſenſchaft gar keinen Bisher ſprach ich nur von praktiſchen Gründen der Ver- <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0025" n="26"/> über die Tatſachen des Herganges bei der Entſtehung des<lb/> Chriſtentums niemals die Anſicht annehmen, die ein von ſeinen<lb/> dogmatiſchen Vorausſetzungen freier Lehrer ihm vorträgt. Ge-<lb/> wiß! Der Unterſchied aber liegt in folgendem: Die im Sinne<lb/> der Ablehnung religiöſer Gebundenheit „vorausſetzungsloſe“<lb/> Wiſſenſchaft kennt in der Tat ihrerſeits das „Wunder“ und<lb/> die „Offenbarung“ nicht. Sie würde ihren eigenen „Voraus-<lb/> ſetzungen“ damit untreu. Der Gläubige kennt beides. Und jene<lb/> „vorausſetzungsloſe“ Wiſſenſchaft mutet ihm nicht weniger –<lb/> aber: auch <hi rendition="#g">nicht mehr</hi> – zu als das Anerkenntnis: daß, <hi rendition="#g">wenn</hi><lb/> der Hergang ohne jene übernatürlichen, für eine empiriſche Er-<lb/> klärung als urſächliche Momente ausſcheidenden Eingriffe er-<lb/> klärt werden ſolle, er ſo, wie ſie es verſucht, erklärt werden<lb/> müſſe. Das aber kann er, ohne ſeinem Glauben untreu zu werden.</p><lb/> <p>Aber hat denn nun die Leiſtung der Wiſſenſchaft gar keinen<lb/> Sinn für jemanden, dem die Tatſache als ſolche gleichgültig<lb/> und nur die praktiſche Stellungnahme wichtig iſt? Vielleicht<lb/> doch. Zunächſt ſchon eins. Wenn jemand ein brauchbarer<lb/> Lehrer iſt, dann iſt es ſeine erſte Aufgabe, ſeine Schüler <hi rendition="#g">un-<lb/> bequeme</hi> Tatſachen anerkennen zu lehren, ſolche, meine ich,<lb/> die für ſeine Parteimeinung unbequem ſind; und es gibt für<lb/> jede Parteimeinung – z. B. auch für die meinige – ſolche<lb/> äußerſt unbequeme Tatſachen. Jch glaube, wenn der akademiſche<lb/> Lehrer ſeine Zuhörer nötigt, ſich daran zu gewöhnen, daß er<lb/> dann mehr als eine nur intellektuelle Leiſtung vollbringt, ich<lb/> würde ſo unbeſcheiden ſein, ſogar den Ausdruck „sittliche<lb/> Leiſtung“ darauf anzuwenden, wenn das auch vielleicht etwas<lb/> zu pathetiſch für eine ſo ſchlichte Selbſtverſtändlichkeit klingen mag.</p><lb/> <p>Bisher ſprach ich nur von <hi rendition="#g">praktiſchen</hi> Gründen der Ver-<lb/> meidung eines Aufdrängens perſönlicher Stellungnahme. Aber<lb/> dabei bleibt es nicht. Die Unmöglichkeit „wiſſenſchaftlicher“<lb/> Vertretung von praktiſchen Stellungnahmen – außer im Falle<lb/> der Erörterung der Mittel für einen als feſt <hi rendition="#g">gegeben</hi> vor-<lb/> ausgeſetzten Zweck – folgt aus weit tiefer liegenden Gründen.<lb/> Sie iſt prinzipiell deshalb ſinnlos, weil die verſchiedenen Wert-<lb/> ordnungen der Welt in unlöſlichem Kampf untereinander ſtehen.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [26/0025]
über die Tatſachen des Herganges bei der Entſtehung des
Chriſtentums niemals die Anſicht annehmen, die ein von ſeinen
dogmatiſchen Vorausſetzungen freier Lehrer ihm vorträgt. Ge-
wiß! Der Unterſchied aber liegt in folgendem: Die im Sinne
der Ablehnung religiöſer Gebundenheit „vorausſetzungsloſe“
Wiſſenſchaft kennt in der Tat ihrerſeits das „Wunder“ und
die „Offenbarung“ nicht. Sie würde ihren eigenen „Voraus-
ſetzungen“ damit untreu. Der Gläubige kennt beides. Und jene
„vorausſetzungsloſe“ Wiſſenſchaft mutet ihm nicht weniger –
aber: auch nicht mehr – zu als das Anerkenntnis: daß, wenn
der Hergang ohne jene übernatürlichen, für eine empiriſche Er-
klärung als urſächliche Momente ausſcheidenden Eingriffe er-
klärt werden ſolle, er ſo, wie ſie es verſucht, erklärt werden
müſſe. Das aber kann er, ohne ſeinem Glauben untreu zu werden.
Aber hat denn nun die Leiſtung der Wiſſenſchaft gar keinen
Sinn für jemanden, dem die Tatſache als ſolche gleichgültig
und nur die praktiſche Stellungnahme wichtig iſt? Vielleicht
doch. Zunächſt ſchon eins. Wenn jemand ein brauchbarer
Lehrer iſt, dann iſt es ſeine erſte Aufgabe, ſeine Schüler un-
bequeme Tatſachen anerkennen zu lehren, ſolche, meine ich,
die für ſeine Parteimeinung unbequem ſind; und es gibt für
jede Parteimeinung – z. B. auch für die meinige – ſolche
äußerſt unbequeme Tatſachen. Jch glaube, wenn der akademiſche
Lehrer ſeine Zuhörer nötigt, ſich daran zu gewöhnen, daß er
dann mehr als eine nur intellektuelle Leiſtung vollbringt, ich
würde ſo unbeſcheiden ſein, ſogar den Ausdruck „sittliche
Leiſtung“ darauf anzuwenden, wenn das auch vielleicht etwas
zu pathetiſch für eine ſo ſchlichte Selbſtverſtändlichkeit klingen mag.
Bisher ſprach ich nur von praktiſchen Gründen der Ver-
meidung eines Aufdrängens perſönlicher Stellungnahme. Aber
dabei bleibt es nicht. Die Unmöglichkeit „wiſſenſchaftlicher“
Vertretung von praktiſchen Stellungnahmen – außer im Falle
der Erörterung der Mittel für einen als feſt gegeben vor-
ausgeſetzten Zweck – folgt aus weit tiefer liegenden Gründen.
Sie iſt prinzipiell deshalb ſinnlos, weil die verſchiedenen Wert-
ordnungen der Welt in unlöſlichem Kampf untereinander ſtehen.
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