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Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.

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gemeinschaft und der politischen Verbände handeln solle, -
daß dies beides ganz und gar heterogene Probleme sind.
Fragt er dann weiter, warum er nicht beide im Hörsaale behan-
deln solle, so ist darauf zu antworten: weil der Prophet und
der Demagoge nicht auf das Katheder eines Hörsaals gehören.
Dem Propheten wie dem Demagogen ist gesagt: "Gehe hin-
aus auf die Gassen und rede öffentlich." Da, heißt das, wo
Kritik möglich ist. Jm Hörsaal, wo man seinen Zuhörern
gegenübersitzt, haben sie zu schweigen und der Lehrer zu reden,
und ich halte es für unverantwortlich, diesen Umstand, daß
die Studenten um ihres Fortkommens willen das Kolleg eines
Lehrers besuchen müssen, und daß dort niemand zugegen ist,
der diesem mit Kritik entgegentritt, auszunützen, um den
Hörern nicht, wie es seine Aufgabe ist, mit seinen Kenntnissen
und wissenschaftlichen Erfahrungen nützlich zu sein, sondern sie
zu stempeln nach seiner persönlichen politischen Anschauung. Es
ist gewiß möglich, daß es dem einzelnen nur ungenügend gelingt,
seine subjektive Sympathie auszuschalten. Dann setzt er sich
der schärfsten Kritik vor dem Forum seines eigenen Gewissens
aus. Und es beweist nichts, denn auch andere, rein tatsächliche
Jrrtümer sind möglich und beweisen doch nichts gegen die
Pflicht: die Wahrheit zu suchen. Auch und gerade im rein
wissenschaftlichen Jnteresse lehne ich es ab. Jch erbiete mich,
an den Werken unserer Historiker den Nachweis zu führen,
daß wo immer der Mann der Wissenschaft mit seinem eige-
nen Werturteil kommt, das volle Verstehen der Tatsachen auf-
hört
. Doch geht das über das Thema des heutigen Abends
hinaus und würde lange Auseinandersetzungen erfordern.

Jch frage nur: Wie soll auf der einen Seite ein gläubiger
Katholik, auf der anderen Seite ein Freimaurer in einem Kolleg
über die Kirchen- und Staatsformen oder über Religions-
geschichte, - wie sollen sie jemals über diese Dinge zur gleichen
Wertung gebracht werden! Das ist ausgeschlossen. Und
doch muß der akademische Lehrer den Wunsch haben und die
Forderung an sich selbst stellen, dem einen wie dem andern
durch seine Kenntnisse und Methoden nützlich zu sein. Nun
werden Sie mit Recht sagen: der gläubige Katholik wird auch

gemeinſchaft und der politiſchen Verbände handeln ſolle, –
daß dies beides ganz und gar heterogene Probleme ſind.
Fragt er dann weiter, warum er nicht beide im Hörſaale behan-
deln ſolle, ſo iſt darauf zu antworten: weil der Prophet und
der Demagoge nicht auf das Katheder eines Hörſaals gehören.
Dem Propheten wie dem Demagogen iſt geſagt: „Gehe hin-
aus auf die Gaſſen und rede öffentlich.“ Da, heißt das, wo
Kritik möglich iſt. Jm Hörſaal, wo man ſeinen Zuhörern
gegenüberſitzt, haben ſie zu ſchweigen und der Lehrer zu reden,
und ich halte es für unverantwortlich, dieſen Umſtand, daß
die Studenten um ihres Fortkommens willen das Kolleg eines
Lehrers beſuchen müſſen, und daß dort niemand zugegen iſt,
der dieſem mit Kritik entgegentritt, auszunützen, um den
Hörern nicht, wie es ſeine Aufgabe iſt, mit ſeinen Kenntniſſen
und wiſſenſchaftlichen Erfahrungen nützlich zu ſein, ſondern ſie
zu ſtempeln nach ſeiner perſönlichen politiſchen Anſchauung. Es
iſt gewiß möglich, daß es dem einzelnen nur ungenügend gelingt,
ſeine ſubjektive Sympathie auszuſchalten. Dann ſetzt er ſich
der ſchärfſten Kritik vor dem Forum ſeines eigenen Gewiſſens
aus. Und es beweiſt nichts, denn auch andere, rein tatſächliche
Jrrtümer ſind möglich und beweiſen doch nichts gegen die
Pflicht: die Wahrheit zu ſuchen. Auch und gerade im rein
wiſſenſchaftlichen Jntereſſe lehne ich es ab. Jch erbiete mich,
an den Werken unſerer Hiſtoriker den Nachweis zu führen,
daß wo immer der Mann der Wiſſenſchaft mit ſeinem eige-
nen Werturteil kommt, das volle Verſtehen der Tatſachen auf-
hört
. Doch geht das über das Thema des heutigen Abends
hinaus und würde lange Auseinanderſetzungen erfordern.

Jch frage nur: Wie ſoll auf der einen Seite ein gläubiger
Katholik, auf der anderen Seite ein Freimaurer in einem Kolleg
über die Kirchen- und Staatsformen oder über Religions-
geſchichte, – wie ſollen ſie jemals über dieſe Dinge zur gleichen
Wertung gebracht werden! Das iſt ausgeſchloſſen. Und
doch muß der akademiſche Lehrer den Wunſch haben und die
Forderung an ſich ſelbſt ſtellen, dem einen wie dem andern
durch ſeine Kenntniſſe und Methoden nützlich zu ſein. Nun
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[25/0024] gemeinſchaft und der politiſchen Verbände handeln ſolle, – daß dies beides ganz und gar heterogene Probleme ſind. Fragt er dann weiter, warum er nicht beide im Hörſaale behan- deln ſolle, ſo iſt darauf zu antworten: weil der Prophet und der Demagoge nicht auf das Katheder eines Hörſaals gehören. Dem Propheten wie dem Demagogen iſt geſagt: „Gehe hin- aus auf die Gaſſen und rede öffentlich.“ Da, heißt das, wo Kritik möglich iſt. Jm Hörſaal, wo man ſeinen Zuhörern gegenüberſitzt, haben ſie zu ſchweigen und der Lehrer zu reden, und ich halte es für unverantwortlich, dieſen Umſtand, daß die Studenten um ihres Fortkommens willen das Kolleg eines Lehrers beſuchen müſſen, und daß dort niemand zugegen iſt, der dieſem mit Kritik entgegentritt, auszunützen, um den Hörern nicht, wie es ſeine Aufgabe iſt, mit ſeinen Kenntniſſen und wiſſenſchaftlichen Erfahrungen nützlich zu ſein, ſondern ſie zu ſtempeln nach ſeiner perſönlichen politiſchen Anſchauung. Es iſt gewiß möglich, daß es dem einzelnen nur ungenügend gelingt, ſeine ſubjektive Sympathie auszuſchalten. Dann ſetzt er ſich der ſchärfſten Kritik vor dem Forum ſeines eigenen Gewiſſens aus. Und es beweiſt nichts, denn auch andere, rein tatſächliche Jrrtümer ſind möglich und beweiſen doch nichts gegen die Pflicht: die Wahrheit zu ſuchen. Auch und gerade im rein wiſſenſchaftlichen Jntereſſe lehne ich es ab. Jch erbiete mich, an den Werken unſerer Hiſtoriker den Nachweis zu führen, daß wo immer der Mann der Wiſſenſchaft mit ſeinem eige- nen Werturteil kommt, das volle Verſtehen der Tatſachen auf- hört. Doch geht das über das Thema des heutigen Abends hinaus und würde lange Auseinanderſetzungen erfordern. Jch frage nur: Wie ſoll auf der einen Seite ein gläubiger Katholik, auf der anderen Seite ein Freimaurer in einem Kolleg über die Kirchen- und Staatsformen oder über Religions- geſchichte, – wie ſollen ſie jemals über dieſe Dinge zur gleichen Wertung gebracht werden! Das iſt ausgeſchloſſen. Und doch muß der akademiſche Lehrer den Wunſch haben und die Forderung an ſich ſelbſt ſtellen, dem einen wie dem andern durch ſeine Kenntniſſe und Methoden nützlich zu ſein. Nun werden Sie mit Recht ſagen: der gläubige Katholik wird auch

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Zitationshilfe: Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_wissenschaft_1919/24>, abgerufen am 29.11.2024.