Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891.[Abbildung]
Erster Act. Erste Scene. Wohnzimmer. Wendla. Warum hast du mir das Kleid so lang gemacht, Mutter? Frau Bergmann. Du wirst vierzehn Jahr heute! Wendla. Hätt' ich gewußt, daß du mir das Kleid so lang machen werdest, ich wäre lieber nicht vierzehn geworden. Frau Bergmann. Das Kleid ist nicht zu lang, Wendla. Was willst du denn! Kann ich dafür, daß mein Kind mit jedem Frühjahr wieder zwei Zoll größer ist. Du darfst doch als aus- gewachsenes Mädchen nicht in Prinzeßkleidchen einhergehen. Wendla. Jedenfalls steht mir mein Prinzeßkleidchen besser als diese Nachtschlumpe. -- Laß' mich's noch einmal tragen, Mutter! Nur noch den Sommer lang. Ob ich nun vierzehn zähle oder fünfzehn, dies Bußgewand wird mir immer noch recht sein. -- Heben wir's auf bis zu meinem nächsten Geburtstag; jetzt würd' ich doch nur die Litze heruntertreten. Frau Bergmann. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich würde dich ja gerne so behalten, Kind, wie du gerade bist. Andere Mädchen sind stakig und plump in deinem Alter. Du Wedekind, Frühlings-Erwachen. 1
[Abbildung]
Erſter Act. Erſte Scene. Wohnzimmer. Wendla. Warum haſt du mir das Kleid ſo lang gemacht, Mutter? Frau Bergmann. Du wirſt vierzehn Jahr heute! Wendla. Hätt' ich gewußt, daß du mir das Kleid ſo lang machen werdeſt, ich wäre lieber nicht vierzehn geworden. Frau Bergmann. Das Kleid iſt nicht zu lang, Wendla. Was willſt du denn! Kann ich dafür, daß mein Kind mit jedem Frühjahr wieder zwei Zoll größer iſt. Du darfſt doch als aus- gewachſenes Mädchen nicht in Prinzeßkleidchen einhergehen. Wendla. Jedenfalls ſteht mir mein Prinzeßkleidchen beſſer als dieſe Nachtſchlumpe. — Laß' mich's noch einmal tragen, Mutter! Nur noch den Sommer lang. Ob ich nun vierzehn zähle oder fünfzehn, dies Bußgewand wird mir immer noch recht ſein. — Heben wir's auf bis zu meinem nächſten Geburtstag; jetzt würd' ich doch nur die Litze heruntertreten. Frau Bergmann. Ich weiß nicht, was ich ſagen ſoll. Ich würde dich ja gerne ſo behalten, Kind, wie du gerade biſt. Andere Mädchen ſind ſtakig und plump in deinem Alter. Du Wedekind, Frühlings-Erwachen. 1
<TEI> <text> <body> <pb facs="#f0017" n="[1]"/> <figure/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Erſter Act</hi>.</hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Erſte Scene.</hi> </head><lb/> <stage>Wohnzimmer.</stage><lb/> <sp who="#WEN"> <speaker><hi rendition="#g">Wendla</hi>.</speaker> <p>Warum haſt du mir das Kleid ſo lang gemacht,<lb/> Mutter?</p> </sp><lb/> <sp who="#FRB"> <speaker><hi rendition="#g">Frau Bergmann</hi>.</speaker> <p>Du wirſt vierzehn Jahr heute!</p> </sp><lb/> <sp who="#WEN"> <speaker><hi rendition="#g">Wendla</hi>.</speaker> <p>Hätt' ich gewußt, daß du mir das Kleid ſo lang<lb/> machen werdeſt, ich wäre lieber nicht vierzehn geworden.</p> </sp><lb/> <sp who="#FRB"> <speaker><hi rendition="#g">Frau Bergmann</hi>.</speaker> <p>Das Kleid iſt nicht zu lang, Wendla.<lb/> Was willſt du denn! Kann ich dafür, daß mein Kind mit jedem<lb/> Frühjahr wieder zwei Zoll größer iſt. Du darfſt doch als aus-<lb/> gewachſenes Mädchen nicht in Prinzeßkleidchen einhergehen.</p> </sp><lb/> <sp who="#WEN"> <speaker><hi rendition="#g">Wendla</hi>.</speaker> <p>Jedenfalls ſteht mir mein Prinzeßkleidchen beſſer<lb/> als dieſe Nachtſchlumpe. — Laß' mich's noch einmal tragen,<lb/> Mutter! Nur noch den Sommer lang. Ob ich nun vierzehn<lb/> zähle oder fünfzehn, dies Bußgewand wird mir immer noch recht<lb/> ſein. — Heben wir's auf bis zu meinem nächſten Geburtstag;<lb/> jetzt würd' ich doch nur die Litze heruntertreten.</p> </sp><lb/> <sp who="#FRB"> <speaker><hi rendition="#g">Frau Bergmann</hi>.</speaker> <p>Ich weiß nicht, was ich ſagen ſoll.<lb/> Ich würde dich ja gerne ſo behalten, Kind, wie du gerade biſt.<lb/> Andere Mädchen ſind ſtakig und plump in deinem Alter. Du<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Wedekind</hi>, Frühlings-Erwachen. 1</fw><lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [[1]/0017]
[Abbildung]
Erſter Act.
Erſte Scene.
Wohnzimmer.
Wendla. Warum haſt du mir das Kleid ſo lang gemacht,
Mutter?
Frau Bergmann. Du wirſt vierzehn Jahr heute!
Wendla. Hätt' ich gewußt, daß du mir das Kleid ſo lang
machen werdeſt, ich wäre lieber nicht vierzehn geworden.
Frau Bergmann. Das Kleid iſt nicht zu lang, Wendla.
Was willſt du denn! Kann ich dafür, daß mein Kind mit jedem
Frühjahr wieder zwei Zoll größer iſt. Du darfſt doch als aus-
gewachſenes Mädchen nicht in Prinzeßkleidchen einhergehen.
Wendla. Jedenfalls ſteht mir mein Prinzeßkleidchen beſſer
als dieſe Nachtſchlumpe. — Laß' mich's noch einmal tragen,
Mutter! Nur noch den Sommer lang. Ob ich nun vierzehn
zähle oder fünfzehn, dies Bußgewand wird mir immer noch recht
ſein. — Heben wir's auf bis zu meinem nächſten Geburtstag;
jetzt würd' ich doch nur die Litze heruntertreten.
Frau Bergmann. Ich weiß nicht, was ich ſagen ſoll.
Ich würde dich ja gerne ſo behalten, Kind, wie du gerade biſt.
Andere Mädchen ſind ſtakig und plump in deinem Alter. Du
Wedekind, Frühlings-Erwachen. 1
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |