Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite
nicht zugleich auch thut. -- Es ist eben auch mehr oder weniger
Modesache.
Moritz. Ich habe mir schon gedacht, wenn ich Kinder
habe, Knaben und Mädchen, so lasse ich sie von früh auf im
nämlichen Gemach, wenn möglich auf ein und demselben Lager,
zusammenschlafen, lasse sie Morgens und Abends beim An- und
Auskleiden einander behülflich sein und in der heißen Jahreszeit,
die Knaben sowohl wie die Mädchen, tagsüber nichts als eine
kurze, mit einem Lederriemen gegürtete Tunica aus weißem Wollstoff
tragen. -- Mir ist, sie müßten, wenn sie so heranwachsen, später
ruhiger sein, als wir es in der Regel sind.
Melchior. Das glaube ich entschieden, Moritz! -- Die
Frage ist nur, wenn die Mädchen Kinder bekommen, was dann?
Moritz. Wie so Kinder bekommen?
Melchior. Ich glaube in dieser Hinsicht nämlich an einen
gewissen Instinkt. Ich glaube, wenn man einen Kater zum Beispiel
mit einer Katze von Jugend auf zusammensperrt und Beide von
jedem Verkehr mit der Außenwelt fernhält, d. h. sie ganz nur
ihren eigenen Trieben überläßt -- daß die Katze früher oder
später doch einmal trächtig wird, obgleich sie sowohl wie der
Kater niemand hatten, dessen Beispiel ihnen hätte die Augen
öffnen können.
Moritz. Bei Thieren muß sich das ja schließlich von
selbst ergeben.
Melchior. Bei Menschen glaube ich erst recht! Ich
bitte dich, Moritz, wenn deine Knaben mit den Mädchen auf ein
und demselben Lager schlafen und es kommen ihnen nun unver-
sehens die ersten männlichen Regungen -- ich möchte mit jedermann
eine Wette eingehen. ...
Moritz. Darin magst du ja Recht haben. -- Aber
immerhin ...
nicht zugleich auch thut. — Es iſt eben auch mehr oder weniger
Modeſache.
Moritz. Ich habe mir ſchon gedacht, wenn ich Kinder
habe, Knaben und Mädchen, ſo laſſe ich ſie von früh auf im
nämlichen Gemach, wenn möglich auf ein und demſelben Lager,
zuſammenſchlafen, laſſe ſie Morgens und Abends beim An- und
Auskleiden einander behülflich ſein und in der heißen Jahreszeit,
die Knaben ſowohl wie die Mädchen, tagsüber nichts als eine
kurze, mit einem Lederriemen gegürtete Tunica aus weißem Wollſtoff
tragen. — Mir iſt, ſie müßten, wenn ſie ſo heranwachſen, ſpäter
ruhiger ſein, als wir es in der Regel ſind.
Melchior. Das glaube ich entſchieden, Moritz! — Die
Frage iſt nur, wenn die Mädchen Kinder bekommen, was dann?
Moritz. Wie ſo Kinder bekommen?
Melchior. Ich glaube in dieſer Hinſicht nämlich an einen
gewiſſen Inſtinkt. Ich glaube, wenn man einen Kater zum Beiſpiel
mit einer Katze von Jugend auf zuſammenſperrt und Beide von
jedem Verkehr mit der Außenwelt fernhält, d. h. ſie ganz nur
ihren eigenen Trieben überläßt — daß die Katze früher oder
ſpäter doch einmal trächtig wird, obgleich ſie ſowohl wie der
Kater niemand hatten, deſſen Beiſpiel ihnen hätte die Augen
öffnen können.
Moritz. Bei Thieren muß ſich das ja ſchließlich von
ſelbſt ergeben.
Melchior. Bei Menſchen glaube ich erſt recht! Ich
bitte dich, Moritz, wenn deine Knaben mit den Mädchen auf ein
und demſelben Lager ſchlafen und es kommen ihnen nun unver-
ſehens die erſten männlichen Regungen — ich möchte mit jedermann
eine Wette eingehen. ...
Moritz. Darin magſt du ja Recht haben. — Aber
immerhin …
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <sp who="#MEL">
            <p><pb facs="#f0021" n="5"/>
nicht zugleich auch thut. &#x2014; Es i&#x017F;t eben auch mehr oder weniger<lb/>
Mode&#x017F;ache.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#MOR">
            <speaker><hi rendition="#g">Moritz</hi>.</speaker>
            <p>Ich habe mir &#x017F;chon gedacht, wenn ich Kinder<lb/>
habe, Knaben und Mädchen, &#x017F;o la&#x017F;&#x017F;e ich &#x017F;ie von früh auf im<lb/>
nämlichen Gemach, wenn möglich auf ein und dem&#x017F;elben Lager,<lb/>
zu&#x017F;ammen&#x017F;chlafen, la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ie Morgens und Abends beim An- und<lb/>
Auskleiden einander behülflich &#x017F;ein und in der heißen Jahreszeit,<lb/>
die Knaben &#x017F;owohl wie die Mädchen, tagsüber nichts als eine<lb/>
kurze, mit einem Lederriemen gegürtete Tunica aus weißem Woll&#x017F;toff<lb/>
tragen. &#x2014; Mir i&#x017F;t, &#x017F;ie müßten, wenn &#x017F;ie &#x017F;o heranwach&#x017F;en, &#x017F;päter<lb/>
ruhiger &#x017F;ein, als wir es in der Regel &#x017F;ind.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#MEL">
            <speaker><hi rendition="#g">Melchior</hi>.</speaker>
            <p>Das glaube ich ent&#x017F;chieden, Moritz! &#x2014; Die<lb/>
Frage i&#x017F;t nur, wenn die Mädchen Kinder bekommen, was dann?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#MOR">
            <speaker><hi rendition="#g">Moritz</hi>.</speaker>
            <p>Wie &#x017F;o Kinder bekommen?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#MEL">
            <speaker><hi rendition="#g">Melchior</hi>.</speaker>
            <p>Ich glaube in die&#x017F;er Hin&#x017F;icht nämlich an einen<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en In&#x017F;tinkt. Ich glaube, wenn man einen Kater zum Bei&#x017F;piel<lb/>
mit einer Katze von Jugend auf zu&#x017F;ammen&#x017F;perrt und Beide von<lb/>
jedem Verkehr mit der Außenwelt fernhält, d. h. &#x017F;ie ganz nur<lb/>
ihren eigenen Trieben überläßt &#x2014; daß die Katze früher oder<lb/>
&#x017F;päter doch einmal trächtig wird, obgleich &#x017F;ie &#x017F;owohl wie der<lb/>
Kater niemand hatten, de&#x017F;&#x017F;en Bei&#x017F;piel ihnen hätte die Augen<lb/>
öffnen können.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#MOR">
            <speaker><hi rendition="#g">Moritz</hi>.</speaker>
            <p>Bei Thieren muß &#x017F;ich das ja &#x017F;chließlich von<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ergeben.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#MEL">
            <speaker><hi rendition="#g">Melchior</hi>.</speaker>
            <p>Bei Men&#x017F;chen glaube ich er&#x017F;t recht! Ich<lb/>
bitte dich, Moritz, wenn deine Knaben mit den Mädchen auf ein<lb/>
und dem&#x017F;elben Lager &#x017F;chlafen und es kommen ihnen nun unver-<lb/>
&#x017F;ehens die er&#x017F;ten männlichen Regungen &#x2014; ich möchte mit jedermann<lb/>
eine Wette eingehen. ...</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#MOR">
            <speaker><hi rendition="#g">Moritz</hi>.</speaker>
            <p>Darin mag&#x017F;t du ja Recht haben. &#x2014; Aber<lb/>
immerhin &#x2026;</p>
          </sp><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0021] nicht zugleich auch thut. — Es iſt eben auch mehr oder weniger Modeſache. Moritz. Ich habe mir ſchon gedacht, wenn ich Kinder habe, Knaben und Mädchen, ſo laſſe ich ſie von früh auf im nämlichen Gemach, wenn möglich auf ein und demſelben Lager, zuſammenſchlafen, laſſe ſie Morgens und Abends beim An- und Auskleiden einander behülflich ſein und in der heißen Jahreszeit, die Knaben ſowohl wie die Mädchen, tagsüber nichts als eine kurze, mit einem Lederriemen gegürtete Tunica aus weißem Wollſtoff tragen. — Mir iſt, ſie müßten, wenn ſie ſo heranwachſen, ſpäter ruhiger ſein, als wir es in der Regel ſind. Melchior. Das glaube ich entſchieden, Moritz! — Die Frage iſt nur, wenn die Mädchen Kinder bekommen, was dann? Moritz. Wie ſo Kinder bekommen? Melchior. Ich glaube in dieſer Hinſicht nämlich an einen gewiſſen Inſtinkt. Ich glaube, wenn man einen Kater zum Beiſpiel mit einer Katze von Jugend auf zuſammenſperrt und Beide von jedem Verkehr mit der Außenwelt fernhält, d. h. ſie ganz nur ihren eigenen Trieben überläßt — daß die Katze früher oder ſpäter doch einmal trächtig wird, obgleich ſie ſowohl wie der Kater niemand hatten, deſſen Beiſpiel ihnen hätte die Augen öffnen können. Moritz. Bei Thieren muß ſich das ja ſchließlich von ſelbſt ergeben. Melchior. Bei Menſchen glaube ich erſt recht! Ich bitte dich, Moritz, wenn deine Knaben mit den Mädchen auf ein und demſelben Lager ſchlafen und es kommen ihnen nun unver- ſehens die erſten männlichen Regungen — ich möchte mit jedermann eine Wette eingehen. ... Moritz. Darin magſt du ja Recht haben. — Aber immerhin …

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891/21
Zitationshilfe: Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891/21>, abgerufen am 21.11.2024.