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Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891.

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nämlich nach einem Ausweg um. Ich scheine mich verirrt zu
haben. Kannst du mir vielleicht sagen, wie viel Uhr es ist?
Melchior. Eben halbvier vorbei. -- Wann erwartet
man dich?
Wendla. Ich glaubte es wäre später. Ich lag eine ganze
Weile am Goldbach im Moose und habe geträumt. Die Zeit
verging mir so rasch; ich fürchtete, es wolle schon Abend werden.
Melchior. Wenn man dich noch nicht erwartet, dann laß
uns hier noch ein wenig lagern. Unter der Eiche dort ist mein
Lieblingsplätzchen. Wenn man den Kopf an den Stamm zurück-
lehnt und durch die Aeste in den Himmel starrt, wird man
hypnotisirt. Der Boden ist noch warm von der Morgensonne.
-- Schon seit Wochen wollte ich dich etwas fragen, Wendla.
Wendla. Aber vor fünf muß ich zu Hause sein.
Melchior. Wir gehen dann zusammen. Ich nehme den
Korb und wir schlagen den Weg durch die Runse ein, so sind
wir in zehn Minuten schon auf der Brücke! -- Wenn man so
daliegt, die Stirn in die Hand gestützt, kommen Einem die sonder-
barsten Gedanken ...

(Beide lagern sich unter der Eiche.)
Wendla. Was wolltest du mich fragen, Melchior?
Melchior. Ich habe gehört, Wendla, du gehest häufig
zu armen Leuten. Du brächtest ihnen Essen, auch Kleider und
Geld. Thust du das aus eigenem Antriebe oder schickt deine
Mutter dich?
Wendla. Meistens schickt mich die Mutter. Es sind arme
Taglöhnerfamilien, die eine Unmenge Kinder haben. Oft findet
der Mann keine Arbeit, dann frieren und hungern sie. Bei uns
liegt aus früherer Zeit noch so mancherlei in Schränken und
Kommoden, das nicht mehr gebraucht wird. -- Aber wie kommst
du darauf?
nämlich nach einem Ausweg um. Ich ſcheine mich verirrt zu
haben. Kannſt du mir vielleicht ſagen, wie viel Uhr es iſt?
Melchior. Eben halbvier vorbei. — Wann erwartet
man dich?
Wendla. Ich glaubte es wäre ſpäter. Ich lag eine ganze
Weile am Goldbach im Mooſe und habe geträumt. Die Zeit
verging mir ſo raſch; ich fürchtete, es wolle ſchon Abend werden.
Melchior. Wenn man dich noch nicht erwartet, dann laß
uns hier noch ein wenig lagern. Unter der Eiche dort iſt mein
Lieblingsplätzchen. Wenn man den Kopf an den Stamm zurück-
lehnt und durch die Aeſte in den Himmel ſtarrt, wird man
hypnotiſirt. Der Boden iſt noch warm von der Morgenſonne.
— Schon ſeit Wochen wollte ich dich etwas fragen, Wendla.
Wendla. Aber vor fünf muß ich zu Hauſe ſein.
Melchior. Wir gehen dann zuſammen. Ich nehme den
Korb und wir ſchlagen den Weg durch die Runſe ein, ſo ſind
wir in zehn Minuten ſchon auf der Brücke! — Wenn man ſo
daliegt, die Stirn in die Hand geſtützt, kommen Einem die ſonder-
barſten Gedanken …

(Beide lagern ſich unter der Eiche.)
Wendla. Was wollteſt du mich fragen, Melchior?
Melchior. Ich habe gehört, Wendla, du geheſt häufig
zu armen Leuten. Du brächteſt ihnen Eſſen, auch Kleider und
Geld. Thuſt du das aus eigenem Antriebe oder ſchickt deine
Mutter dich?
Wendla. Meiſtens ſchickt mich die Mutter. Es ſind arme
Taglöhnerfamilien, die eine Unmenge Kinder haben. Oft findet
der Mann keine Arbeit, dann frieren und hungern ſie. Bei uns
liegt aus früherer Zeit noch ſo mancherlei in Schränken und
Kommoden, das nicht mehr gebraucht wird. — Aber wie kommſt
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[20/0036] nämlich nach einem Ausweg um. Ich ſcheine mich verirrt zu haben. Kannſt du mir vielleicht ſagen, wie viel Uhr es iſt? Melchior. Eben halbvier vorbei. — Wann erwartet man dich? Wendla. Ich glaubte es wäre ſpäter. Ich lag eine ganze Weile am Goldbach im Mooſe und habe geträumt. Die Zeit verging mir ſo raſch; ich fürchtete, es wolle ſchon Abend werden. Melchior. Wenn man dich noch nicht erwartet, dann laß uns hier noch ein wenig lagern. Unter der Eiche dort iſt mein Lieblingsplätzchen. Wenn man den Kopf an den Stamm zurück- lehnt und durch die Aeſte in den Himmel ſtarrt, wird man hypnotiſirt. Der Boden iſt noch warm von der Morgenſonne. — Schon ſeit Wochen wollte ich dich etwas fragen, Wendla. Wendla. Aber vor fünf muß ich zu Hauſe ſein. Melchior. Wir gehen dann zuſammen. Ich nehme den Korb und wir ſchlagen den Weg durch die Runſe ein, ſo ſind wir in zehn Minuten ſchon auf der Brücke! — Wenn man ſo daliegt, die Stirn in die Hand geſtützt, kommen Einem die ſonder- barſten Gedanken … (Beide lagern ſich unter der Eiche.) Wendla. Was wollteſt du mich fragen, Melchior? Melchior. Ich habe gehört, Wendla, du geheſt häufig zu armen Leuten. Du brächteſt ihnen Eſſen, auch Kleider und Geld. Thuſt du das aus eigenem Antriebe oder ſchickt deine Mutter dich? Wendla. Meiſtens ſchickt mich die Mutter. Es ſind arme Taglöhnerfamilien, die eine Unmenge Kinder haben. Oft findet der Mann keine Arbeit, dann frieren und hungern ſie. Bei uns liegt aus früherer Zeit noch ſo mancherlei in Schränken und Kommoden, das nicht mehr gebraucht wird. — Aber wie kommſt du darauf?

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Zitationshilfe: Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891/36>, abgerufen am 21.11.2024.