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Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891.

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Melchior. Denke dir, er hat die ganze Nacht durch
gearbeitet.
Frau Gabor. Sie sollten so etwas nicht thun, Herr
Stiefel. Sie sollten sich schonen. Bedenken Sie Ihre Gesundheit,
Die Schule ersetzt Ihnen die Gesundheit nicht. -- Fleißig spazieren
geh'n in der frischen Luft! Das ist in Ihren Jahren mehr werth
als ein correctes Mittelhochdeutsch.
Moritz. Ich werde fleißig spazieren geh'n. Sie haben
recht. Man kann auch während des Spazierengehens fleißig sein.
Daß ich noch selbst nicht auf den Gedanken gekommen! -- Die
schriftlichen Arbeiten müßte ich immerhin zu Hause machen.
Melchior. Das Schriftliche machst du bei mir; so wird
es uns Beiden leichter. -- -- Du weißt ja, Mama, daß Max
von Trenk am Nervenfieber darniederlag! -- Heute Mittag kommt
Hänschen Rilow von Trenk's Todtenbett zu Rector Sonnenstich,
um anzuzeigen, daß Trenk soeben in seiner Gegenwart gestorben
sei. -- "So?" sagt Sonnenstich, "hast du von letzter Woche her
nicht noch zwei Stunden nachzusitzen? -- Hier ist der Zettel an
den Pedell. Mach, daß die Sache endlich in's Reine kommt!
Die ganze Klasse soll an der Beerdigung theilnehmen." --
Hänschen war wie gelähmt.
Frau Gabor. Was hast du da für ein Buch, Melchior?
Melchior. "Faust."
Frau Gabor. Hast du es schon gelesen?
Melchior. Noch nicht zu Ende.
Moritz. Wir sind gerade in der Walpurgisnacht.
Frau Gabor. Ich hätte an deiner Stelle noch ein, zwei
Jahre gewartet.
Melchior. Ich kenne kein Buch, Mama, in dem ich so
viel Schönes gefunden. Warum hätte ich es nicht lesen sollen.
Melchior. Denke dir, er hat die ganze Nacht durch
gearbeitet.
Frau Gabor. Sie ſollten ſo etwas nicht thun, Herr
Stiefel. Sie ſollten ſich ſchonen. Bedenken Sie Ihre Geſundheit,
Die Schule erſetzt Ihnen die Geſundheit nicht. — Fleißig ſpazieren
geh'n in der friſchen Luft! Das iſt in Ihren Jahren mehr werth
als ein correctes Mittelhochdeutſch.
Moritz. Ich werde fleißig ſpazieren geh'n. Sie haben
recht. Man kann auch während des Spazierengehens fleißig ſein.
Daß ich noch ſelbſt nicht auf den Gedanken gekommen! — Die
ſchriftlichen Arbeiten müßte ich immerhin zu Hauſe machen.
Melchior. Das Schriftliche machſt du bei mir; ſo wird
es uns Beiden leichter. — — Du weißt ja, Mama, daß Max
von Trenk am Nervenfieber darniederlag! — Heute Mittag kommt
Hänschen Rilow von Trenk's Todtenbett zu Rector Sonnenſtich,
um anzuzeigen, daß Trenk ſoeben in ſeiner Gegenwart geſtorben
ſei. — „So?“ ſagt Sonnenſtich, „haſt du von letzter Woche her
nicht noch zwei Stunden nachzuſitzen? — Hier iſt der Zettel an
den Pedell. Mach, daß die Sache endlich in's Reine kommt!
Die ganze Klaſſe ſoll an der Beerdigung theilnehmen.“ —
Hänschen war wie gelähmt.
Frau Gabor. Was haſt du da für ein Buch, Melchior?
Melchior. „Fauſt.“
Frau Gabor. Haſt du es ſchon geleſen?
Melchior. Noch nicht zu Ende.
Moritz. Wir ſind gerade in der Walpurgisnacht.
Frau Gabor. Ich hätte an deiner Stelle noch ein, zwei
Jahre gewartet.
Melchior. Ich kenne kein Buch, Mama, in dem ich ſo
viel Schönes gefunden. Warum hätte ich es nicht leſen ſollen.
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[28/0044] Melchior. Denke dir, er hat die ganze Nacht durch gearbeitet. Frau Gabor. Sie ſollten ſo etwas nicht thun, Herr Stiefel. Sie ſollten ſich ſchonen. Bedenken Sie Ihre Geſundheit, Die Schule erſetzt Ihnen die Geſundheit nicht. — Fleißig ſpazieren geh'n in der friſchen Luft! Das iſt in Ihren Jahren mehr werth als ein correctes Mittelhochdeutſch. Moritz. Ich werde fleißig ſpazieren geh'n. Sie haben recht. Man kann auch während des Spazierengehens fleißig ſein. Daß ich noch ſelbſt nicht auf den Gedanken gekommen! — Die ſchriftlichen Arbeiten müßte ich immerhin zu Hauſe machen. Melchior. Das Schriftliche machſt du bei mir; ſo wird es uns Beiden leichter. — — Du weißt ja, Mama, daß Max von Trenk am Nervenfieber darniederlag! — Heute Mittag kommt Hänschen Rilow von Trenk's Todtenbett zu Rector Sonnenſtich, um anzuzeigen, daß Trenk ſoeben in ſeiner Gegenwart geſtorben ſei. — „So?“ ſagt Sonnenſtich, „haſt du von letzter Woche her nicht noch zwei Stunden nachzuſitzen? — Hier iſt der Zettel an den Pedell. Mach, daß die Sache endlich in's Reine kommt! Die ganze Klaſſe ſoll an der Beerdigung theilnehmen.“ — Hänschen war wie gelähmt. Frau Gabor. Was haſt du da für ein Buch, Melchior? Melchior. „Fauſt.“ Frau Gabor. Haſt du es ſchon geleſen? Melchior. Noch nicht zu Ende. Moritz. Wir ſind gerade in der Walpurgisnacht. Frau Gabor. Ich hätte an deiner Stelle noch ein, zwei Jahre gewartet. Melchior. Ich kenne kein Buch, Mama, in dem ich ſo viel Schönes gefunden. Warum hätte ich es nicht leſen ſollen.

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Zitationshilfe: Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891/44>, abgerufen am 09.11.2024.