Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891.Siebente Scene. Abenddämmerung. Der Himmel ist leicht bewölkt. Der Weg schlängelt sich durch niedres Gebüsch und Riedgras. In einiger Entfernung hört man den Fluß rauschen. Moritz. Besser ist besser. -- Ich passe nicht hinein. Mögen sie einander auf die Köpfe steigen. -- Ich ziehe die Thür hinter mir zu und trete in's Freie. -- Ich gebe nicht soviel darum, mich herumdrücken zu lassen. Ich habe mich nicht aufgedrängt. Was soll ich mich jetzt aufdrängen! -- Ich habe keinen Vertrag mit dem lieben Gott. Mag man die Sache drehen, wie man sie drehen will. Man hat mich gepreßt. -- Meine Eltern mache ich nicht verantwortlich. Immerhin mußten sie auf das Schlimmste gefaßt sein. Sie waren alt genug, um zu wissen, was sie thaten. Ich war ein Säugling als ich zur Welt kam -- sonst wär' ich wohl auch noch so schlau gewesen, ein Anderer zu werden. -- Was soll ich dafür büßen, daß alle Andern schon da waren! Ich müßte ja auf den Kopf gefallen sein ... macht mir jemand einen tollen Hund zum Geschenk, dann gebe ich ihm seinen tollen Hund zurück. Und will er seinen tollen Hund nicht zurück- nehmen, dann bin ich menschlich und ... Ich müßte ja auf den Kopf gefallen sein! Man wird ganz per Zufall geboren und sollte nicht nach reiflichster Ueberlegung -- -- -- es ist zum Todtschießen! -- Das Wetter zeigt sich wenigstens rücksichtsvoll. Den ganzen Tag sah es nach Regen aus und nun hat es sich doch gehalten. -- Es herrscht eine seltene Ruhe in der Natur. Nirgends etwas Grelles, Aufreizendes. Himmel und Erde sind wie durch- sichtiges Spinnewebe. Und dabei scheint sich alles so wohl zu fühlen. Die Landschaft ist lieblich wie eine Schlummermelodie -- "schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein", wie Fräulein Siebente Scene. Abenddämmerung. Der Himmel iſt leicht bewölkt. Der Weg ſchlängelt ſich durch niedres Gebüſch und Riedgras. In einiger Entfernung hört man den Fluß rauſchen. Moritz. Beſſer iſt beſſer. — Ich paſſe nicht hinein. Mögen ſie einander auf die Köpfe ſteigen. — Ich ziehe die Thür hinter mir zu und trete in's Freie. — Ich gebe nicht ſoviel darum, mich herumdrücken zu laſſen. Ich habe mich nicht aufgedrängt. Was ſoll ich mich jetzt aufdrängen! — Ich habe keinen Vertrag mit dem lieben Gott. Mag man die Sache drehen, wie man ſie drehen will. Man hat mich gepreßt. — Meine Eltern mache ich nicht verantwortlich. Immerhin mußten ſie auf das Schlimmſte gefaßt ſein. Sie waren alt genug, um zu wiſſen, was ſie thaten. Ich war ein Säugling als ich zur Welt kam — ſonſt wär' ich wohl auch noch ſo ſchlau geweſen, ein Anderer zu werden. — Was ſoll ich dafür büßen, daß alle Andern ſchon da waren! Ich müßte ja auf den Kopf gefallen ſein … macht mir jemand einen tollen Hund zum Geſchenk, dann gebe ich ihm ſeinen tollen Hund zurück. Und will er ſeinen tollen Hund nicht zurück- nehmen, dann bin ich menſchlich und … Ich müßte ja auf den Kopf gefallen ſein! Man wird ganz per Zufall geboren und ſollte nicht nach reiflichſter Ueberlegung — — — es iſt zum Todtſchießen! — Das Wetter zeigt ſich wenigſtens rückſichtsvoll. Den ganzen Tag ſah es nach Regen aus und nun hat es ſich doch gehalten. — Es herrſcht eine ſeltene Ruhe in der Natur. Nirgends etwas Grelles, Aufreizendes. Himmel und Erde ſind wie durch- ſichtiges Spinnewebe. Und dabei ſcheint ſich alles ſo wohl zu fühlen. Die Landſchaft iſt lieblich wie eine Schlummermelodie — „ſchlafe, mein Prinzchen, ſchlaf ein“, wie Fräulein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0058" n="42"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Siebente Scene.</hi> </head><lb/> <stage><hi rendition="#g">Abenddämmerung</hi>. Der Himmel iſt leicht bewölkt. Der Weg<lb/> ſchlängelt ſich durch niedres Gebüſch und Riedgras. In einiger<lb/> Entfernung hört man den Fluß rauſchen.</stage><lb/> <sp who="#MOR"> <speaker><hi rendition="#g">Moritz</hi>.</speaker> <p>Beſſer iſt beſſer. — Ich paſſe nicht hinein. 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Siebente Scene.
Abenddämmerung. Der Himmel iſt leicht bewölkt. Der Weg
ſchlängelt ſich durch niedres Gebüſch und Riedgras. In einiger
Entfernung hört man den Fluß rauſchen.
Moritz. Beſſer iſt beſſer. — Ich paſſe nicht hinein. Mögen
ſie einander auf die Köpfe ſteigen. — Ich ziehe die Thür hinter
mir zu und trete in's Freie. — Ich gebe nicht ſoviel darum, mich
herumdrücken zu laſſen.
Ich habe mich nicht aufgedrängt. Was ſoll ich mich jetzt
aufdrängen! — Ich habe keinen Vertrag mit dem lieben Gott.
Mag man die Sache drehen, wie man ſie drehen will. Man hat
mich gepreßt. — Meine Eltern mache ich nicht verantwortlich.
Immerhin mußten ſie auf das Schlimmſte gefaßt ſein. Sie waren
alt genug, um zu wiſſen, was ſie thaten. Ich war ein Säugling
als ich zur Welt kam — ſonſt wär' ich wohl auch noch ſo
ſchlau geweſen, ein Anderer zu werden. — Was ſoll ich dafür
büßen, daß alle Andern ſchon da waren!
Ich müßte ja auf den Kopf gefallen ſein … macht mir
jemand einen tollen Hund zum Geſchenk, dann gebe ich ihm ſeinen
tollen Hund zurück. Und will er ſeinen tollen Hund nicht zurück-
nehmen, dann bin ich menſchlich und …
Ich müßte ja auf den Kopf gefallen ſein!
Man wird ganz per Zufall geboren und ſollte nicht nach
reiflichſter Ueberlegung — — — es iſt zum Todtſchießen!
— Das Wetter zeigt ſich wenigſtens rückſichtsvoll. Den
ganzen Tag ſah es nach Regen aus und nun hat es ſich doch
gehalten. — Es herrſcht eine ſeltene Ruhe in der Natur. Nirgends
etwas Grelles, Aufreizendes. Himmel und Erde ſind wie durch-
ſichtiges Spinnewebe. Und dabei ſcheint ſich alles ſo wohl zu
fühlen. Die Landſchaft iſt lieblich wie eine Schlummermelodie
— „ſchlafe, mein Prinzchen, ſchlaf ein“, wie Fräulein
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