Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891.
Snandulia sang. Schade, daß sie die Ellbogen ungraziös hält! -- Am Cäcilienfest habe ich zum letzten Male getanzt. Snandulia tanzt nur mit Partien. Ihre Seidenrobe war hinten und vorn ausgeschnitten. Hinten bis auf den Taillengürtel und vorne bis zur Bewußtlosigkeit. -- Ein Hemd kann sie nicht angehabt haben ... -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- das wäre etwas, was mich noch fesseln könnte. -- Mehr der Curiosität halber. -- Es muß ein sonderbares Empfinden sein -- -- ein Gefühl, als würde man über Stromschnellen ge- rissen -- -- -- Ich werde es niemandem sagen, daß ich unver- richteter Sache wiederkehre. Ich werde so thun, als hätte ich alles das mitgemacht ... Es hat etwas Beschämendes, Mensch gewesen zu sein, ohne das Menschlichste kennen gelernt zu haben. -- Sie kommen aus Aegypten, verehrter Herr, und haben die Pyramiden nicht geseh'n?! Ich will heute nicht wieder weinen. Ich will nicht wieder an mein Begräbniß denken -- -- Melchior wird mir einen Kranz auf den Sarg legen. Pastor Kahlbauch wird meine Eltern trösten. Rektor Sonnenstich wird Beispiele aus der Geschichte citiren. -- Einen Grabstein werd' ich ja wahrscheinlich nicht bekommen. Ich hätte mir eine schneeweiße Marmorurne auf schwarzem Syenitsockel gewünscht -- ich werde sie ja gottlob nicht vermissen. Die Denkmäler sind für die Lebenden, nicht für die Todten. Ich brauchte wohl ein Jahr, um in Gedanken von allem Abschied zu nehmen. Ich will nicht wieder weinen. Ich bin so froh, ohne Bitterkeit zurückblicken zu dürfen. Wie manchen schönen Abend ich mit Melchior verlebt habe! -- unter den Uferweiden; beim Forsthaus; am Herrweg draußen, wo die fünf Linden stehen; auf dem Schloßberg, zwischen den lauschigen Trümmern der Runenburg -- -- -- Wenn die Stunde gekommen, will ich aus
Snandulia ſang. Schade, daß ſie die Ellbogen ungraziös hält! — Am Cäcilienfeſt habe ich zum letzten Male getanzt. Snandulia tanzt nur mit Partien. Ihre Seidenrobe war hinten und vorn ausgeſchnitten. Hinten bis auf den Taillengürtel und vorne bis zur Bewußtloſigkeit. — Ein Hemd kann ſie nicht angehabt haben … — — — — — — — — — — — — — — — das wäre etwas, was mich noch feſſeln könnte. — Mehr der Curioſität halber. — Es muß ein ſonderbares Empfinden ſein — — ein Gefühl, als würde man über Stromſchnellen ge- riſſen — — — Ich werde es niemandem ſagen, daß ich unver- richteter Sache wiederkehre. Ich werde ſo thun, als hätte ich alles das mitgemacht … Es hat etwas Beſchämendes, Menſch geweſen zu ſein, ohne das Menſchlichſte kennen gelernt zu haben. — Sie kommen aus Aegypten, verehrter Herr, und haben die Pyramiden nicht geſeh'n?! Ich will heute nicht wieder weinen. Ich will nicht wieder an mein Begräbniß denken — — Melchior wird mir einen Kranz auf den Sarg legen. Paſtor Kahlbauch wird meine Eltern tröſten. Rektor Sonnenſtich wird Beiſpiele aus der Geſchichte citiren. — Einen Grabſtein werd' ich ja wahrſcheinlich nicht bekommen. Ich hätte mir eine ſchneeweiße Marmorurne auf ſchwarzem Syenitſockel gewünſcht — ich werde ſie ja gottlob nicht vermiſſen. Die Denkmäler ſind für die Lebenden, nicht für die Todten. Ich brauchte wohl ein Jahr, um in Gedanken von allem Abſchied zu nehmen. Ich will nicht wieder weinen. Ich bin ſo froh, ohne Bitterkeit zurückblicken zu dürfen. Wie manchen ſchönen Abend ich mit Melchior verlebt habe! — unter den Uferweiden; beim Forſthaus; am Herrweg draußen, wo die fünf Linden ſtehen; auf dem Schloßberg, zwiſchen den lauſchigen Trümmern der Runenburg — — — Wenn die Stunde gekommen, will ich aus <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#MOR"> <p><pb facs="#f0059" n="43"/><hi rendition="#g">Snandulia</hi> ſang. Schade, daß ſie die Ellbogen ungraziös<lb/> hält! — Am <choice><sic>Cäcilienſeſt</sic><corr>Cäcilienfeſt</corr></choice> habe ich zum letzten Male getanzt.<lb/><hi rendition="#g">Snandulia</hi> tanzt nur mit Partien. Ihre Seidenrobe war<lb/> hinten und vorn ausgeſchnitten. Hinten bis auf den Taillengürtel<lb/> und vorne bis zur Bewußtloſigkeit. — Ein Hemd kann ſie nicht<lb/> angehabt haben …<lb/> — — — — — — — — — — — — — —</p><lb/> <p>— das wäre etwas, was mich noch feſſeln könnte. —<lb/> Mehr der Curioſität halber. — Es muß ein ſonderbares Empfinden<lb/> ſein — — ein Gefühl, als würde man über Stromſchnellen ge-<lb/> riſſen — — — Ich werde es niemandem ſagen, daß ich unver-<lb/> richteter Sache wiederkehre. Ich werde ſo thun, als hätte ich<lb/> alles das mitgemacht … Es hat etwas Beſchämendes, Menſch<lb/> geweſen zu ſein, ohne das Menſchlichſte kennen gelernt zu haben.<lb/> — Sie kommen aus <hi rendition="#g">Aegypten</hi>, verehrter Herr, und haben die<lb/><hi rendition="#g">Pyramiden</hi> nicht geſeh'n?!</p><lb/> <p>Ich will heute nicht wieder weinen. Ich will nicht wieder<lb/> an mein Begräbniß denken — — <hi rendition="#g">Melchior</hi> wird mir einen<lb/> Kranz auf den Sarg legen. Paſtor <hi rendition="#g">Kahlbauch</hi> wird meine<lb/> Eltern tröſten. Rektor <hi rendition="#g">Sonnenſtich</hi> wird Beiſpiele aus der<lb/> Geſchichte citiren. — Einen Grabſtein werd' ich ja wahrſcheinlich<lb/> nicht bekommen. Ich hätte mir eine ſchneeweiße Marmorurne<lb/> auf ſchwarzem Syenitſockel gewünſcht — ich werde ſie ja gottlob<lb/> nicht vermiſſen. Die Denkmäler ſind für die Lebenden, nicht<lb/> für die Todten.</p><lb/> <p>Ich brauchte wohl ein Jahr, um in Gedanken von allem<lb/> Abſchied zu nehmen. Ich will nicht wieder weinen. Ich bin ſo<lb/> froh, ohne Bitterkeit zurückblicken zu dürfen. Wie manchen ſchönen<lb/> Abend ich mit <hi rendition="#g">Melchior</hi> verlebt habe! — unter den Uferweiden;<lb/> beim Forſthaus; am Herrweg draußen, wo die fünf Linden ſtehen;<lb/> auf dem Schloßberg, zwiſchen den lauſchigen Trümmern der<lb/> Runenburg — — — Wenn die Stunde gekommen, will ich aus<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [43/0059]
Snandulia ſang. Schade, daß ſie die Ellbogen ungraziös
hält! — Am Cäcilienfeſt habe ich zum letzten Male getanzt.
Snandulia tanzt nur mit Partien. Ihre Seidenrobe war
hinten und vorn ausgeſchnitten. Hinten bis auf den Taillengürtel
und vorne bis zur Bewußtloſigkeit. — Ein Hemd kann ſie nicht
angehabt haben …
— — — — — — — — — — — — — —
— das wäre etwas, was mich noch feſſeln könnte. —
Mehr der Curioſität halber. — Es muß ein ſonderbares Empfinden
ſein — — ein Gefühl, als würde man über Stromſchnellen ge-
riſſen — — — Ich werde es niemandem ſagen, daß ich unver-
richteter Sache wiederkehre. Ich werde ſo thun, als hätte ich
alles das mitgemacht … Es hat etwas Beſchämendes, Menſch
geweſen zu ſein, ohne das Menſchlichſte kennen gelernt zu haben.
— Sie kommen aus Aegypten, verehrter Herr, und haben die
Pyramiden nicht geſeh'n?!
Ich will heute nicht wieder weinen. Ich will nicht wieder
an mein Begräbniß denken — — Melchior wird mir einen
Kranz auf den Sarg legen. Paſtor Kahlbauch wird meine
Eltern tröſten. Rektor Sonnenſtich wird Beiſpiele aus der
Geſchichte citiren. — Einen Grabſtein werd' ich ja wahrſcheinlich
nicht bekommen. Ich hätte mir eine ſchneeweiße Marmorurne
auf ſchwarzem Syenitſockel gewünſcht — ich werde ſie ja gottlob
nicht vermiſſen. Die Denkmäler ſind für die Lebenden, nicht
für die Todten.
Ich brauchte wohl ein Jahr, um in Gedanken von allem
Abſchied zu nehmen. Ich will nicht wieder weinen. Ich bin ſo
froh, ohne Bitterkeit zurückblicken zu dürfen. Wie manchen ſchönen
Abend ich mit Melchior verlebt habe! — unter den Uferweiden;
beim Forſthaus; am Herrweg draußen, wo die fünf Linden ſtehen;
auf dem Schloßberg, zwiſchen den lauſchigen Trümmern der
Runenburg — — — Wenn die Stunde gekommen, will ich aus
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |