Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891. Frau Bergmann. Darf ich Ihnen ein Glas Wein an- bieten, Herr Medizinalrath? Dr. von Brausepulver. Ich danke Ihnen, liebe Frau Bergmann. Mein Wagen wartet. Lassen Sie sich's nicht so zu Herzen gehen. In wenigen Wochen ist unsere liebe kleine Patientin wieder frisch und munter wie eine Gazelle. Seien Sie getrost. -- Guten Tag, Frau Bergmann. Guten Tag, liebes Kind. Guten Tag, meine Damen. Guten Tag. (Frau Bergmann geleitet ihn vor die Thür.) Ina (am Fenster). -- Nun färbt sich eure Platane schon wieder bunt. -- Siehst du's vom Bett aus? -- Eine kurze Pracht, kaum recht der Freude werth, wie man sie so kommen und gehen sieht. -- Ich muß nun auch bald gehen. Müller erwartet mich vor der Post und ich muß zuvor noch zur Schneiderin. Mucki bekommt seine ersten Höschen, und Karl soll einen neuen Tricot- anzug auf den Winter haben. Wendla. Manchmal wird mir so selig -- alles Freude und Sonnenglanz. Hätt' ich geahnt, daß es Einem so wohl um's Herz werden kann! Ich möchte hinaus, im Abendschein über die Wiesen gehn, Himmelsschlüssel suchen den Fluß entlang und mich an's Ufer setzen und träumen ... Und dann kommt das Zahnweh und ich meine, daß ich morgen am Tag sterben muß; mir wird heiß und kalt, vor den Augen verdunkelt sich's, und dann flattert das Unthier herein -- -- -- So oft ich auf- wache, seh' ich Mutter weinen. O das thut mir so weh -- ich kann's dir nicht sagen, Ina! Ina. -- Soll ich dir nicht das Kopfkissen höher legen? Frau Bergmann (kommt zurück). Er meint, das Erbrechen werde sich auch bald geben; und du sollst dann nur ruhig wieder aufstehn. ... Ich glaube auch, es ist besser, wenn du bald wieder aufstehst, Wendla. Frau Bergmann. Darf ich Ihnen ein Glas Wein an- bieten, Herr Medizinalrath? Dr. von Brauſepulver. Ich danke Ihnen, liebe Frau Bergmann. Mein Wagen wartet. Laſſen Sie ſich's nicht ſo zu Herzen gehen. In wenigen Wochen iſt unſere liebe kleine Patientin wieder friſch und munter wie eine Gazelle. Seien Sie getroſt. — Guten Tag, Frau Bergmann. Guten Tag, liebes Kind. Guten Tag, meine Damen. Guten Tag. (Frau Bergmann geleitet ihn vor die Thür.) Ina (am Fenſter). — Nun färbt ſich eure Platane ſchon wieder bunt. — Siehſt du's vom Bett aus? — Eine kurze Pracht, kaum recht der Freude werth, wie man ſie ſo kommen und gehen ſieht. — Ich muß nun auch bald gehen. Müller erwartet mich vor der Poſt und ich muß zuvor noch zur Schneiderin. Mucki bekommt ſeine erſten Höschen, und Karl ſoll einen neuen Tricot- anzug auf den Winter haben. Wendla. Manchmal wird mir ſo ſelig — alles Freude und Sonnenglanz. Hätt' ich geahnt, daß es Einem ſo wohl um's Herz werden kann! Ich möchte hinaus, im Abendſchein über die Wieſen gehn, Himmelsſchlüſſel ſuchen den Fluß entlang und mich an's Ufer ſetzen und träumen … Und dann kommt das Zahnweh und ich meine, daß ich morgen am Tag ſterben muß; mir wird heiß und kalt, vor den Augen verdunkelt ſich's, und dann flattert das Unthier herein — — — So oft ich auf- wache, ſeh' ich Mutter weinen. O das thut mir ſo weh — ich kann's dir nicht ſagen, Ina! Ina. — Soll ich dir nicht das Kopfkiſſen höher legen? Frau Bergmann (kommt zurück). Er meint, das Erbrechen werde ſich auch bald geben; und du ſollſt dann nur ruhig wieder aufſtehn. … Ich glaube auch, es iſt beſſer, wenn du bald wieder aufſtehſt, Wendla. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0086" n="70"/> <sp who="#FRB"> <speaker><hi rendition="#g">Frau Bergmann</hi>.</speaker> <p>Darf ich Ihnen ein Glas Wein an-<lb/> bieten, Herr Medizinalrath?</p> </sp><lb/> <sp who="#BRA "> <speaker><hi rendition="#aq">Dr.</hi><hi rendition="#g">von Brauſepulver</hi>.</speaker> <p>Ich danke Ihnen, liebe Frau<lb/> Bergmann. Mein Wagen wartet. Laſſen Sie ſich's nicht ſo<lb/> zu Herzen gehen. In wenigen Wochen iſt unſere liebe kleine<lb/> Patientin wieder friſch und munter wie eine Gazelle. Seien Sie<lb/> getroſt. — Guten Tag, Frau Bergmann. Guten Tag, liebes<lb/> Kind. Guten Tag, meine Damen. 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Frau Bergmann. Darf ich Ihnen ein Glas Wein an-
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Bergmann. Mein Wagen wartet. Laſſen Sie ſich's nicht ſo
zu Herzen gehen. In wenigen Wochen iſt unſere liebe kleine
Patientin wieder friſch und munter wie eine Gazelle. Seien Sie
getroſt. — Guten Tag, Frau Bergmann. Guten Tag, liebes
Kind. Guten Tag, meine Damen. Guten Tag. (Frau Bergmann
geleitet ihn vor die Thür.)
Ina (am Fenſter). — Nun färbt ſich eure Platane ſchon
wieder bunt. — Siehſt du's vom Bett aus? — Eine kurze Pracht,
kaum recht der Freude werth, wie man ſie ſo kommen und gehen
ſieht. — Ich muß nun auch bald gehen. Müller erwartet mich
vor der Poſt und ich muß zuvor noch zur Schneiderin. Mucki
bekommt ſeine erſten Höschen, und Karl ſoll einen neuen Tricot-
anzug auf den Winter haben.
Wendla. Manchmal wird mir ſo ſelig — alles Freude
und Sonnenglanz. Hätt' ich geahnt, daß es Einem ſo wohl
um's Herz werden kann! Ich möchte hinaus, im Abendſchein
über die Wieſen gehn, Himmelsſchlüſſel ſuchen den Fluß entlang
und mich an's Ufer ſetzen und träumen … Und dann kommt
das Zahnweh und ich meine, daß ich morgen am Tag ſterben
muß; mir wird heiß und kalt, vor den Augen verdunkelt ſich's,
und dann flattert das Unthier herein — — — So oft ich auf-
wache, ſeh' ich Mutter weinen. O das thut mir ſo weh — ich
kann's dir nicht ſagen, Ina!
Ina. — Soll ich dir nicht das Kopfkiſſen höher legen?
Frau Bergmann (kommt zurück). Er meint, das Erbrechen
werde ſich auch bald geben; und du ſollſt dann nur ruhig wieder
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