Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.pwe_087.001 Wenden wir uns zurück zu den reinen Typen des Tragischen und pwe_087.010 1 pwe_087.039
Helmut Plessner, Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen pwe_087.040 menschlichen Verhaltens. Arnhem 1941, 2. Aufl., Bern 1950. pwe_087.001 Wenden wir uns zurück zu den reinen Typen des Tragischen und pwe_087.010 1 pwe_087.039
Helmut Plessner, Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen pwe_087.040 menschlichen Verhaltens. Arnhem 1941, 2. Aufl., Bern 1950. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0093" n="87"/><lb n="pwe_087.001"/> Dramatischen aufzufassen und diesem zu unterstellen, denn dieses ist ja als <lb n="pwe_087.002"/> Haltung, nicht als bestimmte Strukturform bestimmt worden; wenn aber <lb n="pwe_087.003"/> schon die konkreten Art-Formen des Dramas in Frage stehen, wäre es wohl <lb n="pwe_087.004"/> richtiger, sich auch direkt an konkrete geschichtliche Größen wie „barockes <lb n="pwe_087.005"/> Trauerspiel“ oder „aristophanische Komödie“ zu halten; „Geschehnis- <lb n="pwe_087.006"/> Drama“ oder „Raum-Komödie“ sind schließlich weder konkrete Größen <lb n="pwe_087.007"/> noch „Grundhaltungen“ im Sinne einer systematischen Poetik, weder Typen <lb n="pwe_087.008"/> noch Klassen, sondern sekundäre Abstraktionen.</p> <lb n="pwe_087.009"/> <p> Wenden wir uns zurück zu den reinen Typen des <hi rendition="#g">Tragischen</hi> und <lb n="pwe_087.010"/> des <hi rendition="#g">Komischen.</hi> Hier kommen wir freilich in eine uferlose Problematik <lb n="pwe_087.011"/> und eine sachliche wie terminologische Verwirrung, die bloß referierenderweise <lb n="pwe_087.012"/> nicht zu durchdringen ist. Um so mehr, als es sich im Gebiet <lb n="pwe_087.013"/> dieser Grundhaltungen weniger um literarische als um philosophisch-anthropologische, <lb n="pwe_087.014"/> psychologische und sogar physiologische Fragen handelt. Sind <lb n="pwe_087.015"/> Tragik und Komik wirklich reziproke, symmetrische Begriffe oder gehören <lb n="pwe_087.016"/> sie verschiedenen Ebenen an? Ist das aristotelische Gegenüber von Tragödie <lb n="pwe_087.017"/> und Komödie ein grundsätzliches oder sind damit zufällige geschichtliche <lb n="pwe_087.018"/> Formen gefaßt? Wie verhält sich einerseits das Tragische zum Erhabenen, <lb n="pwe_087.019"/> zum Ernsten, wie steht anderseits das Komische zum Lächerlichen, zu Witz, <lb n="pwe_087.020"/> Ironie, Humor? Speziell die Stellung des <hi rendition="#i">Humors</hi> ist schwierig. Ist der <lb n="pwe_087.021"/> Humor – der wohl im <hi rendition="#i">Roman</hi> seine klassischen Verwirklichungen gefunden <lb n="pwe_087.022"/> hat – eine dritte Möglichkeit neben Komik und Tragik, etwa im Sinne <lb n="pwe_087.023"/> einer Synthese (wie etwa <hi rendition="#k">Petersen</hi> die drei „Wirkungsarten“ des Komischen, <lb n="pwe_087.024"/> Tragischen und Humoristischen nebeneinander stellt), oder ist er an <lb n="pwe_087.025"/> der Stelle des Komischen dem Tragischen gegenüber zu setzen, wobei Tragik <lb n="pwe_087.026"/> und Humor gegenüber dem Komischen und dem Elegischen Grundbestimmungen <lb n="pwe_087.027"/> sind, in denen „Heiterkeit und Ernst, Härte und Weichheit, <lb n="pwe_087.028"/> Freiheit und Gebundenheit wundersam durcheinander fließen“ (<hi rendition="#k">Emil Er- <lb n="pwe_087.029"/> matinger</hi>)? Oder ist der Humor, wie es <hi rendition="#k">Staiger</hi> vorübergehend erwägt, <lb n="pwe_087.030"/> der Kategorie des Lächerlichen unterzuordnen und dann das Lyrisch-Lächerliche <lb n="pwe_087.031"/> gegenüber dem Episch-Lächerlichen der Komik und dem Dramatisch- <lb n="pwe_087.032"/> Lächerlichen des Witzes? Schließlich stoßen wir auf die allgemeinen Phänomene <lb n="pwe_087.033"/> von Lachen und Weinen, die zwar als physische Reaktionen sehr konkret <lb n="pwe_087.034"/> faßbar sind, aber, wie <hi rendition="#k">H. Plessner</hi><note xml:id="PWE_087_1" place="foot" n="1"><lb n="pwe_087.039"/> Helmut Plessner, <hi rendition="#i">Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen <lb n="pwe_087.040"/> menschlichen Verhaltens.</hi> Arnhem 1941, 2. Aufl., Bern 1950.</note> in seiner hervorragenden Untersuchung <lb n="pwe_087.035"/> gezeigt hat, in letzte anthropologische Fragen führen, d. h. als <lb n="pwe_087.036"/> Grenz-Reaktionen die „exzentrische Position des Menschen“ seinem Leibe <lb n="pwe_087.037"/> gegenüber beleuchten. „Die Desorganisation des Verhältnisses zwischen <lb n="pwe_087.038"/> dem Menschen und seiner physischen Existenz wird zwar nicht gewollt, </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [87/0093]
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Dramatischen aufzufassen und diesem zu unterstellen, denn dieses ist ja als pwe_087.002
Haltung, nicht als bestimmte Strukturform bestimmt worden; wenn aber pwe_087.003
schon die konkreten Art-Formen des Dramas in Frage stehen, wäre es wohl pwe_087.004
richtiger, sich auch direkt an konkrete geschichtliche Größen wie „barockes pwe_087.005
Trauerspiel“ oder „aristophanische Komödie“ zu halten; „Geschehnis- pwe_087.006
Drama“ oder „Raum-Komödie“ sind schließlich weder konkrete Größen pwe_087.007
noch „Grundhaltungen“ im Sinne einer systematischen Poetik, weder Typen pwe_087.008
noch Klassen, sondern sekundäre Abstraktionen.
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Wenden wir uns zurück zu den reinen Typen des Tragischen und pwe_087.010
des Komischen. Hier kommen wir freilich in eine uferlose Problematik pwe_087.011
und eine sachliche wie terminologische Verwirrung, die bloß referierenderweise pwe_087.012
nicht zu durchdringen ist. Um so mehr, als es sich im Gebiet pwe_087.013
dieser Grundhaltungen weniger um literarische als um philosophisch-anthropologische, pwe_087.014
psychologische und sogar physiologische Fragen handelt. Sind pwe_087.015
Tragik und Komik wirklich reziproke, symmetrische Begriffe oder gehören pwe_087.016
sie verschiedenen Ebenen an? Ist das aristotelische Gegenüber von Tragödie pwe_087.017
und Komödie ein grundsätzliches oder sind damit zufällige geschichtliche pwe_087.018
Formen gefaßt? Wie verhält sich einerseits das Tragische zum Erhabenen, pwe_087.019
zum Ernsten, wie steht anderseits das Komische zum Lächerlichen, zu Witz, pwe_087.020
Ironie, Humor? Speziell die Stellung des Humors ist schwierig. Ist der pwe_087.021
Humor – der wohl im Roman seine klassischen Verwirklichungen gefunden pwe_087.022
hat – eine dritte Möglichkeit neben Komik und Tragik, etwa im Sinne pwe_087.023
einer Synthese (wie etwa Petersen die drei „Wirkungsarten“ des Komischen, pwe_087.024
Tragischen und Humoristischen nebeneinander stellt), oder ist er an pwe_087.025
der Stelle des Komischen dem Tragischen gegenüber zu setzen, wobei Tragik pwe_087.026
und Humor gegenüber dem Komischen und dem Elegischen Grundbestimmungen pwe_087.027
sind, in denen „Heiterkeit und Ernst, Härte und Weichheit, pwe_087.028
Freiheit und Gebundenheit wundersam durcheinander fließen“ (Emil Er- pwe_087.029
matinger)? Oder ist der Humor, wie es Staiger vorübergehend erwägt, pwe_087.030
der Kategorie des Lächerlichen unterzuordnen und dann das Lyrisch-Lächerliche pwe_087.031
gegenüber dem Episch-Lächerlichen der Komik und dem Dramatisch- pwe_087.032
Lächerlichen des Witzes? Schließlich stoßen wir auf die allgemeinen Phänomene pwe_087.033
von Lachen und Weinen, die zwar als physische Reaktionen sehr konkret pwe_087.034
faßbar sind, aber, wie H. Plessner 1 in seiner hervorragenden Untersuchung pwe_087.035
gezeigt hat, in letzte anthropologische Fragen führen, d. h. als pwe_087.036
Grenz-Reaktionen die „exzentrische Position des Menschen“ seinem Leibe pwe_087.037
gegenüber beleuchten. „Die Desorganisation des Verhältnisses zwischen pwe_087.038
dem Menschen und seiner physischen Existenz wird zwar nicht gewollt,
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menschlichen Verhaltens. Arnhem 1941, 2. Aufl., Bern 1950.
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