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Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.

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Daß im Dritten Reich der tragische Amor fati und das "gefährliche pwe_090.002
Leben" in der Bereitschaft zu Sieg oder Untergang gepriesen und als pwe_090.003
rassisch-seelische Verwandtschaft mit den Griechen verstanden wurde, bedarf pwe_090.004
keiner näheren Ausführung1.

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Friedrich Sengle2 hat sich gegen solche Ausprägungen tragischen Lebensgefühls pwe_090.006
und ihren nihilistischen oder relativistischen Hintergrund gewandt: pwe_090.007
"Die Tragödie der Verzweiflung ist in Wahrheit der Untergang pwe_090.008
der Tragödie". Er setzt darum in der Tragödie jenseits einer Schicht des pwe_090.009
bloßen Konflikts eine erhebende oder versöhnende Schicht an. In ähnlichem pwe_090.010
Sinne untersucht Baden3 das Verhältnis des Tragischen zum Religiösen, pwe_090.011
den "tragischen Glauben" in der griechischen Tragödie: "Gott handelt unter pwe_090.012
der Maske des Tragischen am Menschen". Gegen Sengle hat W. Rasch4 pwe_090.013
wohl mit Recht betont, daß die Versöhnung nicht ein Zweites und Nachträgliches pwe_090.014
sein kann, sondern als notwendiger Aspekt des Tragischen selbst pwe_090.015
zu fassen ist. Der tragische Untergang ist selber sinnvoll, er ist der dunkle pwe_090.016
Triumph des Helden, ein Sich-selber-Finden, eine Überwindung des Konfliktes pwe_090.017
dadurch, daß er unerbittlich erlitten und in den Tod hinübergenommen pwe_090.018
ist. Diese tragische Versöhnung ist freilich nur als Grenzbegriff denkbar; pwe_090.019
je mehr die neue Welt benannt werden kann, um so mehr wird der pwe_090.020
dramatische Vollzug zum bloßen Übergang, um so weniger wird man von pwe_090.021
Tragik sprechen. So sind etwa die christlichen Dramen des 17. Jahrhunderts5 pwe_090.022
Trauerspiele, Ausschnitte aus dem großen blutigen Trauerspiel der pwe_090.023
irdischen Geschichte. Wie wiederum Rasch betont, ist der materielle Sinn, pwe_090.024
der dem positiven Element gegeben wird, je nach der geschichtlichen Verwirklichung pwe_090.025
verschieden. So kann auch Benno von Wieses6 historische

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Curt Langenbeck, Wiedergeburt des Dramas aus dem Geist der Zeit. München pwe_090.027
1940. - Gerhard Fricke, Erfahrung und Gestaltung des Tragischen in deutscher pwe_090.028
Art und Dichtung (Von deutscher Art in Sprache und Dichtung,
Stuttgart pwe_090.029
und Berlin 1941, I, 57 ff.).
2 pwe_090.030
Friedrich Sengle, Vom Absoluten in der Tragödie. DV 20 (1942) 265 ff.
3 pwe_090.031
Hans Jürgen Baden, Das Tragische. Erkenntnisse der griechischen Tragödie. pwe_090.032
2. Aufl., Berlin 1948.
4 pwe_090.033
Wolfdietrich Rasch, Tragik und Tragödie. DV 21 (1943) 287 ff.
5 pwe_090.034
Fritz Schaufelberger, Das Tragische in Lohensteins Trauerspielen. (Wege pwe_090.035
zur Dichtung 45)
Frauenfeld-Leipzig 1945. Zum Problem im elisabethanischen pwe_090.036
Drama vgl. H. Baker, Induction to Tragedy. Louisiana 1939.
6 pwe_090.037
Benno von Wiese, Die deutsche Tragödie von Lessing bis Hebbel. 2 Bde., pwe_090.038
Hamburg 1948. Dazu vergleiche: Ernst Busch, Die Idee des Tragischen in der pwe_090.039
deutschen Klassik.
Halle 1942. - Hans Ulrich Voser, Individualität und Tragik pwe_090.040
in Goethes Dramen.
Zürich 1949. - Erich Brendle, Die Tragik im deutschen pwe_090.041
Drama vom Naturalismus bis zur Gegenwart.
Diss. (Tübingen) Nürtingen a. N. pwe_090.042
1940.

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Daß im Dritten Reich der tragische Amor fati und das „gefährliche pwe_090.002
Leben“ in der Bereitschaft zu Sieg oder Untergang gepriesen und als pwe_090.003
rassisch-seelische Verwandtschaft mit den Griechen verstanden wurde, bedarf pwe_090.004
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  Friedrich Sengle2 hat sich gegen solche Ausprägungen tragischen Lebensgefühls pwe_090.006
und ihren nihilistischen oder relativistischen Hintergrund gewandt: pwe_090.007
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bloßen Konflikts eine erhebende oder versöhnende Schicht an. In ähnlichem pwe_090.010
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den „tragischen Glauben“ in der griechischen Tragödie: „Gott handelt unter pwe_090.012
der Maske des Tragischen am Menschen“. Gegen Sengle hat W. Rasch4 pwe_090.013
wohl mit Recht betont, daß die Versöhnung nicht ein Zweites und Nachträgliches pwe_090.014
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Curt Langenbeck, Wiedergeburt des Dramas aus dem Geist der Zeit. München pwe_090.027
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[90/0096] pwe_090.001 Daß im Dritten Reich der tragische Amor fati und das „gefährliche pwe_090.002 Leben“ in der Bereitschaft zu Sieg oder Untergang gepriesen und als pwe_090.003 rassisch-seelische Verwandtschaft mit den Griechen verstanden wurde, bedarf pwe_090.004 keiner näheren Ausführung 1. pwe_090.005   Friedrich Sengle 2 hat sich gegen solche Ausprägungen tragischen Lebensgefühls pwe_090.006 und ihren nihilistischen oder relativistischen Hintergrund gewandt: pwe_090.007 „Die Tragödie der Verzweiflung ist in Wahrheit der Untergang pwe_090.008 der Tragödie“. Er setzt darum in der Tragödie jenseits einer Schicht des pwe_090.009 bloßen Konflikts eine erhebende oder versöhnende Schicht an. In ähnlichem pwe_090.010 Sinne untersucht Baden 3 das Verhältnis des Tragischen zum Religiösen, pwe_090.011 den „tragischen Glauben“ in der griechischen Tragödie: „Gott handelt unter pwe_090.012 der Maske des Tragischen am Menschen“. Gegen Sengle hat W. Rasch 4 pwe_090.013 wohl mit Recht betont, daß die Versöhnung nicht ein Zweites und Nachträgliches pwe_090.014 sein kann, sondern als notwendiger Aspekt des Tragischen selbst pwe_090.015 zu fassen ist. Der tragische Untergang ist selber sinnvoll, er ist der dunkle pwe_090.016 Triumph des Helden, ein Sich-selber-Finden, eine Überwindung des Konfliktes pwe_090.017 dadurch, daß er unerbittlich erlitten und in den Tod hinübergenommen pwe_090.018 ist. Diese tragische Versöhnung ist freilich nur als Grenzbegriff denkbar; pwe_090.019 je mehr die neue Welt benannt werden kann, um so mehr wird der pwe_090.020 dramatische Vollzug zum bloßen Übergang, um so weniger wird man von pwe_090.021 Tragik sprechen. So sind etwa die christlichen Dramen des 17. Jahrhunderts 5 pwe_090.022 Trauerspiele, Ausschnitte aus dem großen blutigen Trauerspiel der pwe_090.023 irdischen Geschichte. Wie wiederum Rasch betont, ist der materielle Sinn, pwe_090.024 der dem positiven Element gegeben wird, je nach der geschichtlichen Verwirklichung pwe_090.025 verschieden. So kann auch Benno von Wieses 6 historische 1 pwe_090.026 Curt Langenbeck, Wiedergeburt des Dramas aus dem Geist der Zeit. München pwe_090.027 1940. – Gerhard Fricke, Erfahrung und Gestaltung des Tragischen in deutscher pwe_090.028 Art und Dichtung (Von deutscher Art in Sprache und Dichtung, Stuttgart pwe_090.029 und Berlin 1941, I, 57 ff.). 2 pwe_090.030 Friedrich Sengle, Vom Absoluten in der Tragödie. DV 20 (1942) 265 ff. 3 pwe_090.031 Hans Jürgen Baden, Das Tragische. Erkenntnisse der griechischen Tragödie. pwe_090.032 2. Aufl., Berlin 1948. 4 pwe_090.033 Wolfdietrich Rasch, Tragik und Tragödie. DV 21 (1943) 287 ff. 5 pwe_090.034 Fritz Schaufelberger, Das Tragische in Lohensteins Trauerspielen. (Wege pwe_090.035 zur Dichtung 45) Frauenfeld-Leipzig 1945. Zum Problem im elisabethanischen pwe_090.036 Drama vgl. H. Baker, Induction to Tragedy. Louisiana 1939. 6 pwe_090.037 Benno von Wiese, Die deutsche Tragödie von Lessing bis Hebbel. 2 Bde., pwe_090.038 Hamburg 1948. Dazu vergleiche: Ernst Busch, Die Idee des Tragischen in der pwe_090.039 deutschen Klassik. Halle 1942. – Hans Ulrich Voser, Individualität und Tragik pwe_090.040 in Goethes Dramen. Zürich 1949. – Erich Brendle, Die Tragik im deutschen pwe_090.041 Drama vom Naturalismus bis zur Gegenwart. Diss. (Tübingen) Nürtingen a. N. pwe_090.042 1940.

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Zitationshilfe: Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wehrli_poetik_1951/96>, abgerufen am 21.11.2024.