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Weise, Christian: Überflüßige Gedancken Der grünenden jugend. Leipzig, 1701.

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Uberflüssiger Gedancken
Sechstes Dutzent.
I.
Des Florindo Schreiben an seinen vertrau-
testen Fillidor.
MEin bruder lebst du noch/ wie daß du mir nicht schreibst
Und noch zum wenigsten mein freund in briefen bleibst?
Jch sitze fast ein jahr nun wieder bey den Linden/
Und lasse mich die lust zu schönen künsten binden/
Doch hab ich keinen brief von deiner hand gesehn/
Und gleichwol könte mir kein grösser dienst geschehn.
Denn solt ich diesen nicht von reinem hertzen lieben/
Dem ich aus wahrer treu das hertz einmahl verschrieben/
Und zwar in junger zeit da sich die zarte glut
Durch einfalt/ lieb und lust biß in das tieffste blut/
Ja in die seele setzt? ich muß es ja gestehen/
Jch habe gute macht mit andern umzugehen/
Die schön und freundlich thun: man gibt mir offt die hand/
Verschweret und verflucht den leichten unbestand
Und trinckt auf brüderschafft: doch wann die complimenten/
Die in dem munde sich/ auch in dem hertzen brennten/
So wär es gut genug/ der falsche heuchelschein
Der fast ein handwerck wird/ der heist mich furchtsam seyn.
Jch selbsten bin also/ ich geb an manchen orte
Wohl meinem feinde selbst die allerschönsten worte
Jch küß ihm gar die hand/ und stelle meine pflicht
Zu seinen diensten hin/ und dennoch mein ichs nicht.
Die mode bringts so mit/ wiewohl bey solchen sachen
Kan ich auf keinen freund gewisse rechnung machen:
Deum bleib ich in mir selbst/ und bin darbey vergnügt/
Daß mir die heimlichkeit im hertzen stille liegt/
Ach bruder wärst du hier/ dir wölt ich mich vertrauen/
Jch wolt auf deine treu die stärcksten thürme bauen:
Und wie du sonst mein hertz in deinen händen hast/
So solte keine lust und keine sorgen-last
Mir angelegen sein/ ich wolte dich erbitten/
Und
Uberfluͤſſiger Gedancken
Sechſtes Dutzent.
I.
Des Florindo Schreiben an ſeinen vertrau-
teſten Fillidor.
MEin bruder lebſt du noch/ wie daß du mir nicht ſchreibſt
Uñ noch zum wenigſten mein freund in bꝛiefen bleibſt?
Jch ſitze faſt ein jahr nun wieder bey den Linden/
Und laſſe mich die luſt zu ſchoͤnen kuͤnſten binden/
Doch hab ich keinen brief von deiner hand geſehn/
Und gleichwol koͤnte mir kein groͤſſer dienſt geſchehn.
Denn ſolt ich dieſen nicht von reinem hertzen lieben/
Dem ich aus wahrer treu das hertz einmahl verſchrieben/
Und zwar in junger zeit da ſich die zarte glut
Durch einfalt/ lieb und luſt biß in das tieffſte blut/
Ja in die ſeele ſetzt? ich muß es ja geſtehen/
Jch habe gute macht mit andern umzugehen/
Die ſchoͤn und freundlich thun: man gibt mir offt die hand/
Verſchweret und verflucht den leichten unbeſtand
Und trinckt auf bruͤderſchafft: doch wan̄ die complimenten/
Die in dem munde ſich/ auch in dem hertzen brennten/
So waͤr es gut genug/ der falſche heuchelſchein
Der faſt ein handwerck wird/ der heiſt mich furchtſam ſeyn.
Jch ſelbſten bin alſo/ ich geb an manchen orte
Wohl meinem feinde ſelbſt die allerſchoͤnſten worte
Jch kuͤß ihm gar die hand/ und ſtelle meine pflicht
Zu ſeinen dienſten hin/ und dennoch mein ichs nicht.
Die mode bringts ſo mit/ wiewohl bey ſolchen ſachen
Kan ich auf keinen freund gewiſſe rechnung machen:
Deum bleib ich in mir ſelbſt/ und bin darbey vergnuͤgt/
Daß mir die heimlichkeit im hertzen ſtille liegt/
Ach bruder waͤrſt du hier/ dir woͤlt ich mich vertrauen/
Jch wolt auf deine treu die ſtaͤrckſten thuͤrme bauen:
Und wie du ſonſt mein hertz in deinen haͤnden haſt/
So ſolte keine luſt und keine ſorgen-laſt
Mir angelegen ſein/ ich wolte dich erbitten/
Und
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[102/0118] Uberfluͤſſiger Gedancken Sechſtes Dutzent. I. Des Florindo Schreiben an ſeinen vertrau- teſten Fillidor. MEin bruder lebſt du noch/ wie daß du mir nicht ſchreibſt Uñ noch zum wenigſten mein freund in bꝛiefen bleibſt? Jch ſitze faſt ein jahr nun wieder bey den Linden/ Und laſſe mich die luſt zu ſchoͤnen kuͤnſten binden/ Doch hab ich keinen brief von deiner hand geſehn/ Und gleichwol koͤnte mir kein groͤſſer dienſt geſchehn. Denn ſolt ich dieſen nicht von reinem hertzen lieben/ Dem ich aus wahrer treu das hertz einmahl verſchrieben/ Und zwar in junger zeit da ſich die zarte glut Durch einfalt/ lieb und luſt biß in das tieffſte blut/ Ja in die ſeele ſetzt? ich muß es ja geſtehen/ Jch habe gute macht mit andern umzugehen/ Die ſchoͤn und freundlich thun: man gibt mir offt die hand/ Verſchweret und verflucht den leichten unbeſtand Und trinckt auf bruͤderſchafft: doch wan̄ die complimenten/ Die in dem munde ſich/ auch in dem hertzen brennten/ So waͤr es gut genug/ der falſche heuchelſchein Der faſt ein handwerck wird/ der heiſt mich furchtſam ſeyn. Jch ſelbſten bin alſo/ ich geb an manchen orte Wohl meinem feinde ſelbſt die allerſchoͤnſten worte Jch kuͤß ihm gar die hand/ und ſtelle meine pflicht Zu ſeinen dienſten hin/ und dennoch mein ichs nicht. Die mode bringts ſo mit/ wiewohl bey ſolchen ſachen Kan ich auf keinen freund gewiſſe rechnung machen: Deum bleib ich in mir ſelbſt/ und bin darbey vergnuͤgt/ Daß mir die heimlichkeit im hertzen ſtille liegt/ Ach bruder waͤrſt du hier/ dir woͤlt ich mich vertrauen/ Jch wolt auf deine treu die ſtaͤrckſten thuͤrme bauen: Und wie du ſonſt mein hertz in deinen haͤnden haſt/ So ſolte keine luſt und keine ſorgen-laſt Mir angelegen ſein/ ich wolte dich erbitten/ Und

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Zitationshilfe: Weise, Christian: Überflüßige Gedancken Der grünenden jugend. Leipzig, 1701, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weise_jugend_1701/118>, abgerufen am 17.05.2024.