durch Regeneration. Primär bildet sich eine Wirbelsäule aus; wird aber durch Verlust des Schwanzes die sekundäre Wieder- entstehung desselben nöthig, so tritt das zweite, reducirte Ver- fahren der Achsenbildung in Thätigkeit, und es bildet sich das blosse Knorpelrohr. Das Verhältniss erinnert an die Erschei- nungen der "Dichogenie", wie sie so vielfach bei Pflanzen vorkommen, wo dieselbe Zellengruppe sich in dieser oder in jener Weise ausbilden kann, je nachdem dieser oder jener äussere Reiz auf sie einwirkt. So treiben die Ranken des Epheu an derselben Seite Wurzeln, wenn sie beschattet ist, Blätter aber, wenn sie beleuchtet wird u. s. w. Im Thierreich dürfte die Ent- scheidung über das Geschlecht hierher zu beziehen sein, wenn man wenigstens annehmen darf, dass nicht immer und überall schon mit dem Akt der Befruchtung das Geschlecht gegeben ist, sondern dass darauf auch spätere Einwirkungen noch ent- scheidend sein können. Wir kennen ja in gewissen parasitischen Crustaceen, den Cymothoiden, Fälle, in welchen zuerst das männ- liche Geschlecht sich ausbildet, und das betreffende Thier als Männchen funktionirt, dann aber die weiblichen Geschlechts- organe sich entwickeln und dem Thier den Stempel des Weib- chens aufdrücken. Hier kommen also auch zeitlich nacheinander erst die eine, dann die andere Entwickelungstendenz zur Geltung, wie bei der Bildung des Eidechsenschwanzes zuerst die Tendenz zur Wirbelbildung, dann aber die zur Bildung des dieselbe er- setzenden Knorpelrohres. Allerdings muss hier der zweite Fall nicht eintreten, gerade wie beim Epheu-Spross die Wurzelseite nicht nothwendig später beleuchtet werden und zur Blätterseite werden muss; die Möglichkeit dazu ist nur von der Natur vorgesehen. Als erheblicher Unterschied zwischen der Regene- ration des Eidechsenschwanzes und der Succession von beiderlei Geschlechtsorganen bei den Cymothoiden könnte geltend gemacht werden, dass bei Letzteren beiderlei Geschlechtsorgane schon im
durch Regeneration. Primär bildet sich eine Wirbelsäule aus; wird aber durch Verlust des Schwanzes die sekundäre Wieder- entstehung desselben nöthig, so tritt das zweite, reducirte Ver- fahren der Achsenbildung in Thätigkeit, und es bildet sich das blosse Knorpelrohr. Das Verhältniss erinnert an die Erschei- nungen der „Dichogenie“, wie sie so vielfach bei Pflanzen vorkommen, wo dieselbe Zellengruppe sich in dieser oder in jener Weise ausbilden kann, je nachdem dieser oder jener äussere Reiz auf sie einwirkt. So treiben die Ranken des Epheu an derselben Seite Wurzeln, wenn sie beschattet ist, Blätter aber, wenn sie beleuchtet wird u. s. w. Im Thierreich dürfte die Ent- scheidung über das Geschlecht hierher zu beziehen sein, wenn man wenigstens annehmen darf, dass nicht immer und überall schon mit dem Akt der Befruchtung das Geschlecht gegeben ist, sondern dass darauf auch spätere Einwirkungen noch ent- scheidend sein können. Wir kennen ja in gewissen parasitischen Crustaceen, den Cymothoiden, Fälle, in welchen zuerst das männ- liche Geschlecht sich ausbildet, und das betreffende Thier als Männchen funktionirt, dann aber die weiblichen Geschlechts- organe sich entwickeln und dem Thier den Stempel des Weib- chens aufdrücken. Hier kommen also auch zeitlich nacheinander erst die eine, dann die andere Entwickelungstendenz zur Geltung, wie bei der Bildung des Eidechsenschwanzes zuerst die Tendenz zur Wirbelbildung, dann aber die zur Bildung des dieselbe er- setzenden Knorpelrohres. Allerdings muss hier der zweite Fall nicht eintreten, gerade wie beim Epheu-Spross die Wurzelseite nicht nothwendig später beleuchtet werden und zur Blätterseite werden muss; die Möglichkeit dazu ist nur von der Natur vorgesehen. Als erheblicher Unterschied zwischen der Regene- ration des Eidechsenschwanzes und der Succession von beiderlei Geschlechtsorganen bei den Cymothoiden könnte geltend gemacht werden, dass bei Letzteren beiderlei Geschlechtsorgane schon im
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durch Regeneration. Primär bildet sich eine Wirbelsäule aus;
wird aber durch Verlust des Schwanzes die sekundäre Wieder-
entstehung desselben nöthig, so tritt das zweite, reducirte Ver-
fahren der Achsenbildung in Thätigkeit, und es bildet sich das
blosse Knorpelrohr. Das Verhältniss erinnert an die Erschei-
nungen der „Dichogenie“, wie sie so vielfach bei Pflanzen
vorkommen, wo dieselbe Zellengruppe sich in dieser oder in
jener Weise ausbilden kann, je nachdem dieser oder jener äussere
Reiz auf sie einwirkt. So treiben die Ranken des Epheu an
derselben Seite Wurzeln, wenn sie beschattet ist, Blätter aber,
wenn sie beleuchtet wird u. s. w. Im Thierreich dürfte die Ent-
scheidung über das Geschlecht hierher zu beziehen sein, wenn
man wenigstens annehmen darf, dass nicht immer und überall
schon mit dem Akt der Befruchtung das Geschlecht gegeben
ist, sondern dass darauf auch spätere Einwirkungen noch ent-
scheidend sein können. Wir kennen ja in gewissen parasitischen
Crustaceen, den Cymothoiden, Fälle, in welchen zuerst das männ-
liche Geschlecht sich ausbildet, und das betreffende Thier als
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organe sich entwickeln und dem Thier den Stempel des Weib-
chens aufdrücken. Hier kommen also auch zeitlich nacheinander
erst die eine, dann die andere Entwickelungstendenz zur Geltung,
wie bei der Bildung des Eidechsenschwanzes zuerst die Tendenz
zur Wirbelbildung, dann aber die zur Bildung des dieselbe er-
setzenden Knorpelrohres. Allerdings muss hier der zweite Fall
nicht eintreten, gerade wie beim Epheu-Spross die Wurzelseite
nicht nothwendig später beleuchtet werden und zur Blätterseite
werden muss; die Möglichkeit dazu ist nur von der Natur
vorgesehen. Als erheblicher Unterschied zwischen der Regene-
ration des Eidechsenschwanzes und der Succession von beiderlei
Geschlechtsorganen bei den Cymothoiden könnte geltend gemacht
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/172>, abgerufen am 24.11.2024.
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