Chorda sich deshalb nicht regenerire, weil sie im erwachsenen Thiere nicht mehr vorhanden sei, denn vollständig fehlt sie nur bei Wenigen, z. B. bei Salamandrina, und bei den Larven von Salamandern regenerirt sich die Chorda ebensowenig, wie bei erwachsenen Thieren. Die Regenerationsfähigkeit der Chorda ist also bei den meisten Amphibien im Laufe der Phylogenese verloren gegangen. Ein solcher Vorgang der Rückbildung aber lässt sich jedenfalls am leichtesten durch die Annahme beson- derer Regenerations-Determinanten erklären, welche verkümmern können, ohne dass ihr embryogenetischer Partner an dieser Rückbildung Theil zu nehmen braucht.
Noch beweisender für die Nothwendigkeit dieser Annahme sind jene Fälle, wie sie z. B. die Wiederherstellung der festen Achse des Schwanzes bei Reptilien bietet. Der abge- schnittene Eidechsenschwanz stellt sich leicht und rasch wieder her, enthält aber nicht dieselben Theile, die er früher enthielt, indem das Rückenmark sowohl, als die Wirbelsäule sich nach den übereinstimmenden Angaben von Leydig und Fraisse nicht wieder bilden. Wohl aber bildet sich statt des ersteren eine "als Rückenmark zu deutende Epithelröhre", die aber keine Nerven entsendet, und an Stelle der Wirbelsäule ein "unseg- mentirtes Knorpelrohr". Dieses Letztere ist, wie Fraisse aus- drücklich hervorhebt, nicht etwa eine regenerirte Chorda, son- dern eine Neubildung, ein Substitut dafür.
Hier hat also in Bezug auf die Regeneration eine phyletische Entwickelung, und zwar im Wesentlichen eine auf Vereinfachung abzielende Entwickelung stattgefunden. In ähnlicher Weise, wie ein Schwanz oder irgend ein anderes Organ eines Thieres im Verlauf der Phylogenese sich allmälig zurückbilden kann, so hat sich hier die Schwanzwirbelsäule zurückgebildet, aber nicht für die primäre (embryonale) Onto- genese derselben, sondern nur für seine sekundäre Entstehung
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Chorda sich deshalb nicht regenerire, weil sie im erwachsenen Thiere nicht mehr vorhanden sei, denn vollständig fehlt sie nur bei Wenigen, z. B. bei Salamandrina, und bei den Larven von Salamandern regenerirt sich die Chorda ebensowenig, wie bei erwachsenen Thieren. Die Regenerationsfähigkeit der Chorda ist also bei den meisten Amphibien im Laufe der Phylogenese verloren gegangen. Ein solcher Vorgang der Rückbildung aber lässt sich jedenfalls am leichtesten durch die Annahme beson- derer Regenerations-Determinanten erklären, welche verkümmern können, ohne dass ihr embryogenetischer Partner an dieser Rückbildung Theil zu nehmen braucht.
Noch beweisender für die Nothwendigkeit dieser Annahme sind jene Fälle, wie sie z. B. die Wiederherstellung der festen Achse des Schwanzes bei Reptilien bietet. Der abge- schnittene Eidechsenschwanz stellt sich leicht und rasch wieder her, enthält aber nicht dieselben Theile, die er früher enthielt, indem das Rückenmark sowohl, als die Wirbelsäule sich nach den übereinstimmenden Angaben von Leydig und Fraisse nicht wieder bilden. Wohl aber bildet sich statt des ersteren eine „als Rückenmark zu deutende Epithelröhre“, die aber keine Nerven entsendet, und an Stelle der Wirbelsäule ein „unseg- mentirtes Knorpelrohr“. Dieses Letztere ist, wie Fraisse aus- drücklich hervorhebt, nicht etwa eine regenerirte Chorda, son- dern eine Neubildung, ein Substitut dafür.
Hier hat also in Bezug auf die Regeneration eine phyletische Entwickelung, und zwar im Wesentlichen eine auf Vereinfachung abzielende Entwickelung stattgefunden. In ähnlicher Weise, wie ein Schwanz oder irgend ein anderes Organ eines Thieres im Verlauf der Phylogenese sich allmälig zurückbilden kann, so hat sich hier die Schwanzwirbelsäule zurückgebildet, aber nicht für die primäre (embryonale) Onto- genese derselben, sondern nur für seine sekundäre Entstehung
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Chorda sich deshalb nicht regenerire, weil sie im erwachsenen
Thiere nicht mehr vorhanden sei, denn vollständig fehlt sie nur
bei Wenigen, z. B. bei Salamandrina, und bei den Larven von
Salamandern regenerirt sich die Chorda ebensowenig, wie bei
erwachsenen Thieren. Die Regenerationsfähigkeit der Chorda
ist also bei den meisten Amphibien im Laufe der Phylogenese
verloren gegangen. Ein solcher Vorgang der Rückbildung aber
lässt sich jedenfalls am leichtesten durch die Annahme beson-
derer Regenerations-Determinanten erklären, welche verkümmern
können, ohne dass ihr embryogenetischer Partner an dieser
Rückbildung Theil zu nehmen braucht.
Noch beweisender für die Nothwendigkeit dieser Annahme
sind jene Fälle, wie sie z. B. die Wiederherstellung der festen
Achse des Schwanzes bei Reptilien bietet. Der abge-
schnittene Eidechsenschwanz stellt sich leicht und rasch wieder
her, enthält aber nicht dieselben Theile, die er früher enthielt,
indem das Rückenmark sowohl, als die Wirbelsäule sich nach
den übereinstimmenden Angaben von Leydig und Fraisse
nicht wieder bilden. Wohl aber bildet sich statt des ersteren
eine „als Rückenmark zu deutende Epithelröhre“, die aber keine
Nerven entsendet, und an Stelle der Wirbelsäule ein „unseg-
mentirtes Knorpelrohr“. Dieses Letztere ist, wie Fraisse aus-
drücklich hervorhebt, nicht etwa eine regenerirte Chorda, son-
dern eine Neubildung, ein Substitut dafür.
Hier hat also in Bezug auf die Regeneration eine
phyletische Entwickelung, und zwar im Wesentlichen eine
auf Vereinfachung abzielende Entwickelung stattgefunden. In
ähnlicher Weise, wie ein Schwanz oder irgend ein anderes
Organ eines Thieres im Verlauf der Phylogenese sich allmälig
zurückbilden kann, so hat sich hier die Schwanzwirbelsäule
zurückgebildet, aber nicht für die primäre (embryonale) Onto-
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/171>, abgerufen am 24.11.2024.
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