Nun scheint es allerdings so, als ob es Individuen und Familien gäbe, bei welchen der ganze Habitus eines Stamm- elters sich mit grosser Zähigkeit durch eine ganze Reihe von Generationen hindurch stets auf die Kinder übertragen habe, bei welchen man also annehmen müsste, dass die dominirende Idantengruppe des Stammvaters sehr häufig in den Keimzellen der Nachkommen wieder auftrete. So ist die grosse Stirn, die weit auseinander stehenden Augen, der kleine Mund des Kaiser- geschlechtes der Julier durch mehrere Generationen hindurch zu verfolgen, und ebenso die grosse und eigenthümlich gebogene Nase der Bourbonen und die vorstehende Unterlippe der Habs- burger. In wie weit hier der Zufall oder Täuschung mitspielt, indem nur solche Nachkommen zur Beobachtung gelangten, bei welchen diese Familien-Charaktere hervortraten, lässt sich schwer entscheiden; dass aber nicht Alles dabei auf Täuschung beruht, darf vielleicht aus ähnlichen Beobachtungen an Thieren ab- genommen werden.
Die sog. "Individual-Potenz" der Züchter gehört hier- her. Es scheint vorzukommen, dass bestimmte Individuen eine starke Neigung haben, ihre eigenen individuellen Charaktere auf eine Mehrzahl von Nachkommen zu übertragen. Bei Pferden, Rindern, Schafen und anderen Hausthieren sind öfters einzelne Thiere beobachtet worden, die dieses Vermögen in hohem Grade besassen, und die Züchter bezahlen enorme Preise für solche In- dividuen, die freilich sich nicht blos durch die vermeintliche Vererbungsstärke, sondern zugleich auch durch irgend welche besonderen und wünschenswerthen Eigenschaften auszeichnen müssen. Aber auch bei Pflanzen glaubt man ähnliche Be- obachtungen gemacht zu haben; Vilmorin1) wenigstens, einer
1) Ich citire nach de Vries a. a. O. p. 88. -- L. Leveque de Vilmorin, Notices sur l'amelioration des plantes par le semis. Nou- velle Edition 1886, p. 44.
Nun scheint es allerdings so, als ob es Individuen und Familien gäbe, bei welchen der ganze Habitus eines Stamm- elters sich mit grosser Zähigkeit durch eine ganze Reihe von Generationen hindurch stets auf die Kinder übertragen habe, bei welchen man also annehmen müsste, dass die dominirende Idantengruppe des Stammvaters sehr häufig in den Keimzellen der Nachkommen wieder auftrete. So ist die grosse Stirn, die weit auseinander stehenden Augen, der kleine Mund des Kaiser- geschlechtes der Julier durch mehrere Generationen hindurch zu verfolgen, und ebenso die grosse und eigenthümlich gebogene Nase der Bourbonen und die vorstehende Unterlippe der Habs- burger. In wie weit hier der Zufall oder Täuschung mitspielt, indem nur solche Nachkommen zur Beobachtung gelangten, bei welchen diese Familien-Charaktere hervortraten, lässt sich schwer entscheiden; dass aber nicht Alles dabei auf Täuschung beruht, darf vielleicht aus ähnlichen Beobachtungen an Thieren ab- genommen werden.
Die sog. „Individual-Potenz“ der Züchter gehört hier- her. Es scheint vorzukommen, dass bestimmte Individuen eine starke Neigung haben, ihre eigenen individuellen Charaktere auf eine Mehrzahl von Nachkommen zu übertragen. Bei Pferden, Rindern, Schafen und anderen Hausthieren sind öfters einzelne Thiere beobachtet worden, die dieses Vermögen in hohem Grade besassen, und die Züchter bezahlen enorme Preise für solche In- dividuen, die freilich sich nicht blos durch die vermeintliche Vererbungsstärke, sondern zugleich auch durch irgend welche besonderen und wünschenswerthen Eigenschaften auszeichnen müssen. Aber auch bei Pflanzen glaubt man ähnliche Be- obachtungen gemacht zu haben; Vilmorin1) wenigstens, einer
1) Ich citire nach de Vries a. a. O. p. 88. — L. Lévêque de Vilmorin, Notices sur l’amélioration des plantes par le semis. Nou- velle Edition 1886, p. 44.
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Nun scheint es allerdings so, als ob es Individuen und
Familien gäbe, bei welchen der ganze Habitus eines Stamm-
elters sich mit grosser Zähigkeit durch eine ganze Reihe von
Generationen hindurch stets auf die Kinder übertragen habe,
bei welchen man also annehmen müsste, dass die dominirende
Idantengruppe des Stammvaters sehr häufig in den Keimzellen
der Nachkommen wieder auftrete. So ist die grosse Stirn, die
weit auseinander stehenden Augen, der kleine Mund des Kaiser-
geschlechtes der Julier durch mehrere Generationen hindurch
zu verfolgen, und ebenso die grosse und eigenthümlich gebogene
Nase der Bourbonen und die vorstehende Unterlippe der Habs-
burger. In wie weit hier der Zufall oder Täuschung mitspielt,
indem nur solche Nachkommen zur Beobachtung gelangten, bei
welchen diese Familien-Charaktere hervortraten, lässt sich schwer
entscheiden; dass aber nicht Alles dabei auf Täuschung beruht,
darf vielleicht aus ähnlichen Beobachtungen an Thieren ab-
genommen werden.
Die sog. „Individual-Potenz“ der Züchter gehört hier-
her. Es scheint vorzukommen, dass bestimmte Individuen eine
starke Neigung haben, ihre eigenen individuellen Charaktere
auf eine Mehrzahl von Nachkommen zu übertragen. Bei Pferden,
Rindern, Schafen und anderen Hausthieren sind öfters einzelne
Thiere beobachtet worden, die dieses Vermögen in hohem Grade
besassen, und die Züchter bezahlen enorme Preise für solche In-
dividuen, die freilich sich nicht blos durch die vermeintliche
Vererbungsstärke, sondern zugleich auch durch irgend welche
besonderen und wünschenswerthen Eigenschaften auszeichnen
müssen. Aber auch bei Pflanzen glaubt man ähnliche Be-
obachtungen gemacht zu haben; Vilmorin 1) wenigstens, einer
1) Ich citire nach de Vries a. a. O. p. 88. — L. Lévêque de
Vilmorin, Notices sur l’amélioration des plantes par le semis. Nou-
velle Edition 1886, p. 44.
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/405>, abgerufen am 22.11.2024.
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