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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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der berühmtesten Pflanzenzüchter, unterschied bei seinen Züch-
tungsversuchen die Individuen, welche in höherem, von den-
jenigen, welche in geringerem Maasse die Fähigkeit hatten, ihre
eigenen Eigenschaften auf ihre Nachkommen zu übertragen.
Die ersteren nannte er bons etalons und nur sie benutzte er
zur Zucht. Aber ob eine Pflanze zu dieser bevorzugten Gruppe
gehörte, konnte an ihr selbst nicht gesehen werden; darüber
entschied erst ihre Nachkommenschaft, und nach dieser richtete
denn auch der Züchter die Wahl seiner Stammpflanzen.

Darwin1), Prosper Lucas2) und Settegast3) führen
viele derartige Fälle an, unter welchen einer der bekanntesten
der des "Otternschafs" ist, welche Rasse von einem Widder
stammt, der sich durch kurze und krumme Beine verbunden mit
langem Körper auszeichnete. Er übertrug diese Eigenschaften
auf viele seiner Nachkommen, und gewährte so seinem Besitzer
die Möglichkeit, eine besondere krummbeinige Rasse von Schafen
zu züchten, die den Vortheil bot, nicht über die Zäune springen
zu können. So verdanken die englischen Vollblutpferde ihre
Vorzüge drei Individuen: "dem Türken Byerley, den Arabern
Darley und Gadolphin", "und die berühmte Orlow'sche Traberrasse
kann auf das Erscheinen des Hengstes Bars des Ersten zurück-
geführt werden".

Falls wirklich diese Thiere eine stärkere "Vererbungskraft"
in dem angegebenen Sinne besassen, so wird man diese "Ver-
erbungsstärke
" nicht mit der Vererbungstreue einer Rasse
zusammenwerfen dürfen. Die Letztere, d. h. die Eigenthümlich-
keit, rein zu züchten, muss darauf beruhen, dass eine grosse

1) Darwin, "Domestication". Bd. II, p. 74 u. f.
2) Prosper Lucas, "Treite philosophique et physiologique de
l'Heredite naturelle dans les etats de sante et de maladie du systeme
nerveux". Paris 1850.
3) Settegast, "Die Thierzucht". Breslau, 1878, p. 197.

der berühmtesten Pflanzenzüchter, unterschied bei seinen Züch-
tungsversuchen die Individuen, welche in höherem, von den-
jenigen, welche in geringerem Maasse die Fähigkeit hatten, ihre
eigenen Eigenschaften auf ihre Nachkommen zu übertragen.
Die ersteren nannte er bons étalons und nur sie benutzte er
zur Zucht. Aber ob eine Pflanze zu dieser bevorzugten Gruppe
gehörte, konnte an ihr selbst nicht gesehen werden; darüber
entschied erst ihre Nachkommenschaft, und nach dieser richtete
denn auch der Züchter die Wahl seiner Stammpflanzen.

Darwin1), Prosper Lucas2) und Settegast3) führen
viele derartige Fälle an, unter welchen einer der bekanntesten
der des „Otternschafs“ ist, welche Rasse von einem Widder
stammt, der sich durch kurze und krumme Beine verbunden mit
langem Körper auszeichnete. Er übertrug diese Eigenschaften
auf viele seiner Nachkommen, und gewährte so seinem Besitzer
die Möglichkeit, eine besondere krummbeinige Rasse von Schafen
zu züchten, die den Vortheil bot, nicht über die Zäune springen
zu können. So verdanken die englischen Vollblutpferde ihre
Vorzüge drei Individuen: „dem Türken Byerley, den Arabern
Darley und Gadolphin“, „und die berühmte Orlow’sche Traberrasse
kann auf das Erscheinen des Hengstes Bars des Ersten zurück-
geführt werden“.

Falls wirklich diese Thiere eine stärkere „Vererbungskraft“
in dem angegebenen Sinne besassen, so wird man diese „Ver-
erbungsstärke
“ nicht mit der Vererbungstreue einer Rasse
zusammenwerfen dürfen. Die Letztere, d. h. die Eigenthümlich-
keit, rein zu züchten, muss darauf beruhen, dass eine grosse

1) Darwin, „Domestication“. Bd. II, p. 74 u. f.
2) Prosper Lucas, „Treité philosophique et physiologique de
l’Hérédité naturelle dans les états de santé et de maladie du système
nerveux“. Paris 1850.
3) Settegast, „Die Thierzucht“. Breslau, 1878, p. 197.
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[382/0406] der berühmtesten Pflanzenzüchter, unterschied bei seinen Züch- tungsversuchen die Individuen, welche in höherem, von den- jenigen, welche in geringerem Maasse die Fähigkeit hatten, ihre eigenen Eigenschaften auf ihre Nachkommen zu übertragen. Die ersteren nannte er bons étalons und nur sie benutzte er zur Zucht. Aber ob eine Pflanze zu dieser bevorzugten Gruppe gehörte, konnte an ihr selbst nicht gesehen werden; darüber entschied erst ihre Nachkommenschaft, und nach dieser richtete denn auch der Züchter die Wahl seiner Stammpflanzen. Darwin 1), Prosper Lucas 2) und Settegast 3) führen viele derartige Fälle an, unter welchen einer der bekanntesten der des „Otternschafs“ ist, welche Rasse von einem Widder stammt, der sich durch kurze und krumme Beine verbunden mit langem Körper auszeichnete. Er übertrug diese Eigenschaften auf viele seiner Nachkommen, und gewährte so seinem Besitzer die Möglichkeit, eine besondere krummbeinige Rasse von Schafen zu züchten, die den Vortheil bot, nicht über die Zäune springen zu können. So verdanken die englischen Vollblutpferde ihre Vorzüge drei Individuen: „dem Türken Byerley, den Arabern Darley und Gadolphin“, „und die berühmte Orlow’sche Traberrasse kann auf das Erscheinen des Hengstes Bars des Ersten zurück- geführt werden“. Falls wirklich diese Thiere eine stärkere „Vererbungskraft“ in dem angegebenen Sinne besassen, so wird man diese „Ver- erbungsstärke“ nicht mit der Vererbungstreue einer Rasse zusammenwerfen dürfen. Die Letztere, d. h. die Eigenthümlich- keit, rein zu züchten, muss darauf beruhen, dass eine grosse 1) Darwin, „Domestication“. Bd. II, p. 74 u. f. 2) Prosper Lucas, „Treité philosophique et physiologique de l’Hérédité naturelle dans les états de santé et de maladie du système nerveux“. Paris 1850. 3) Settegast, „Die Thierzucht“. Breslau, 1878, p. 197.

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/406>, abgerufen am 22.11.2024.