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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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der Entwickelung gebildet haben, in denen der Schmarotzer
mit seiner Vermehrung innehält. Es wäre schwer begreiflich,
wenn solche Einrichtungen nicht getroffen worden wären, und
wenn die günstige Gelegenheit, sich auf die sicherste Weise
weiter zu verbreiten, von dem Schmarotzer nicht benutzt worden
sein sollte. Latenzperioden der Keime sind bei Thieren und
Pflanzen weit verbreitet, sie finden sich überall vor, wo sie von
Nutzen sein müssen, ihre Einrichtung muss also nicht allzu-
schwer erreichbar sein.

Wenn deshalb die besten unserer Pathologen, wie z. B. Ernst
Ziegler
, heute der Ansicht sind, dass Tuberkulose nicht durch
Keimesinfection sich übertrage, weil man eine solche nicht direkt
nachgewiesen hat, und weil auf der andern Seite eine Infection
von aussen in keinem einzelnen Falle mit Sicherheit ausgeschlossen
werden kann, so möchte ich glauben, dass die Vorsicht im
Schliessen hier doch etwas zu weit geht, denn beide Momente
sind nur negative Instanzen. Durch beide wird nicht entfernt
bewiesen, dass Infection des Keimes nicht stattfindet; von
einem allgemeineren biologischen Standpunkt aus muss man
sie aber als das bei Weitem Wahrscheinlichere bezeichnen.

Soviel, denke ich, wird zugegeben werden, dass eine "con-
stitutionelle" Krankheit nicht eher als Beweismittel für die
Vorgänge der Vererbung benutzt werden darf, als bis entschieden
ist, ob man es bei ihr wirklich mit Vererbung, d. h. mit der
Übertragung einer Constitution, und nicht etwa blos mit der
von Mikroben zu thun hat, und dies zu zeigen, war der Haupt-
zweck dieses Abschnittes. Er enthält zugleich den Grund,
warum ich meine Theorie nur wenig auf Thatsachen gestützt
habe, die dem Gebiete der Pathologie entnommen sind.



Weismann, Das Keimplasma. 33

der Entwickelung gebildet haben, in denen der Schmarotzer
mit seiner Vermehrung innehält. Es wäre schwer begreiflich,
wenn solche Einrichtungen nicht getroffen worden wären, und
wenn die günstige Gelegenheit, sich auf die sicherste Weise
weiter zu verbreiten, von dem Schmarotzer nicht benutzt worden
sein sollte. Latenzperioden der Keime sind bei Thieren und
Pflanzen weit verbreitet, sie finden sich überall vor, wo sie von
Nutzen sein müssen, ihre Einrichtung muss also nicht allzu-
schwer erreichbar sein.

Wenn deshalb die besten unserer Pathologen, wie z. B. Ernst
Ziegler
, heute der Ansicht sind, dass Tuberkulose nicht durch
Keimesinfection sich übertrage, weil man eine solche nicht direkt
nachgewiesen hat, und weil auf der andern Seite eine Infection
von aussen in keinem einzelnen Falle mit Sicherheit ausgeschlossen
werden kann, so möchte ich glauben, dass die Vorsicht im
Schliessen hier doch etwas zu weit geht, denn beide Momente
sind nur negative Instanzen. Durch beide wird nicht entfernt
bewiesen, dass Infection des Keimes nicht stattfindet; von
einem allgemeineren biologischen Standpunkt aus muss man
sie aber als das bei Weitem Wahrscheinlichere bezeichnen.

Soviel, denke ich, wird zugegeben werden, dass eine „con-
stitutionelle“ Krankheit nicht eher als Beweismittel für die
Vorgänge der Vererbung benutzt werden darf, als bis entschieden
ist, ob man es bei ihr wirklich mit Vererbung, d. h. mit der
Übertragung einer Constitution, und nicht etwa blos mit der
von Mikroben zu thun hat, und dies zu zeigen, war der Haupt-
zweck dieses Abschnittes. Er enthält zugleich den Grund,
warum ich meine Theorie nur wenig auf Thatsachen gestützt
habe, die dem Gebiete der Pathologie entnommen sind.



Weismann, Das Keimplasma. 33
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[513/0537] der Entwickelung gebildet haben, in denen der Schmarotzer mit seiner Vermehrung innehält. Es wäre schwer begreiflich, wenn solche Einrichtungen nicht getroffen worden wären, und wenn die günstige Gelegenheit, sich auf die sicherste Weise weiter zu verbreiten, von dem Schmarotzer nicht benutzt worden sein sollte. Latenzperioden der Keime sind bei Thieren und Pflanzen weit verbreitet, sie finden sich überall vor, wo sie von Nutzen sein müssen, ihre Einrichtung muss also nicht allzu- schwer erreichbar sein. Wenn deshalb die besten unserer Pathologen, wie z. B. Ernst Ziegler, heute der Ansicht sind, dass Tuberkulose nicht durch Keimesinfection sich übertrage, weil man eine solche nicht direkt nachgewiesen hat, und weil auf der andern Seite eine Infection von aussen in keinem einzelnen Falle mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, so möchte ich glauben, dass die Vorsicht im Schliessen hier doch etwas zu weit geht, denn beide Momente sind nur negative Instanzen. Durch beide wird nicht entfernt bewiesen, dass Infection des Keimes nicht stattfindet; von einem allgemeineren biologischen Standpunkt aus muss man sie aber als das bei Weitem Wahrscheinlichere bezeichnen. Soviel, denke ich, wird zugegeben werden, dass eine „con- stitutionelle“ Krankheit nicht eher als Beweismittel für die Vorgänge der Vererbung benutzt werden darf, als bis entschieden ist, ob man es bei ihr wirklich mit Vererbung, d. h. mit der Übertragung einer Constitution, und nicht etwa blos mit der von Mikroben zu thun hat, und dies zu zeigen, war der Haupt- zweck dieses Abschnittes. Er enthält zugleich den Grund, warum ich meine Theorie nur wenig auf Thatsachen gestützt habe, die dem Gebiete der Pathologie entnommen sind. Weismann, Das Keimplasma. 33

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 513. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/537>, abgerufen am 22.11.2024.