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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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letzungen komme ihm vor, wie Don Quixote's berühmter
Kampf mit den Windmühlen. 1) Es sind nur wenige Jahre her,
seit auf einer deutschen Naturforscherversammlung zwei "schwanz-
lose" Kätzchen vorgezeigt wurden 2), die ihren Mangel dem ge-
waltsamen Verlust des Schwanzes bei der Mutter verdanken
sollten, und grosse Naturforscher von dem Namen Ernst
Häckel's
3) fassen heute noch ähnliche Fälle in derselben Weise
auf. Solange solche Stimmen eine Vererbung von Verstümme-
lungen noch für möglich halten, ist eine Klarlegung des Sach-
verhaltes wohl keine überflüssige Bemühung gewesen. 4)

Über die zweite Art somatogener Abänderungen,
die funktionellen
, wurde bereits gesprochen, es giebt aber
noch eine dritte Klasse somatogener Variationen, die-
jenigen nämlich, welche durch Mediumeinflüsse, Ernährungs-
weise, Klima
u. s. w. entstehen, und bei diesen hat es nicht
selten den Anschein, als ob sie vererbt und dadurch im Laufe
der Generationen gesteigert werden könnten. Ich habe selbst
darauf schon vor einer Reihe von Jahren mit folgenden Worten
hingewiesen: "Ich wüsste überhaupt nur einen Kreis von Ver-
änderungen der Organismen, bei welchem die Erklärung durch
blosse Keimesänderung auf ernstliche Schwierigkeiten stösst,
und dies sind die Abänderungen, welche als direkte Folge
von veränderten äusseren Bedingungen
auftreten. Allein
gerade über sie ist auch das letzte Wort noch nicht gesprochen,
wir kennen den Thatbestand noch lange nicht genau genug, um

1) Osborn, "Are acquired Variations inherited?" Boston 1890, p. 3.
2) Auf der Versammlung zu Wiesbaden vom 20. Sept. 1887.
3) Häckel, "Natürliche Schöpfungsgeschichte". 3. Aufl., 1889,
p. 194.
4) Man vergleiche auch den Abschnitt über Vererbung von Ver-
stümmelungen in dem Buche von Eimer: "Die Entstehung der Arten u. s w."
Jena 1888. Es werden dort eine ganze Reihe sogen. "Beweise" dafür
aufgezählt.

letzungen komme ihm vor, wie Don Quixote’s berühmter
Kampf mit den Windmühlen. 1) Es sind nur wenige Jahre her,
seit auf einer deutschen Naturforscherversammlung zwei „schwanz-
lose“ Kätzchen vorgezeigt wurden 2), die ihren Mangel dem ge-
waltsamen Verlust des Schwanzes bei der Mutter verdanken
sollten, und grosse Naturforscher von dem Namen Ernst
Häckel’s
3) fassen heute noch ähnliche Fälle in derselben Weise
auf. Solange solche Stimmen eine Vererbung von Verstümme-
lungen noch für möglich halten, ist eine Klarlegung des Sach-
verhaltes wohl keine überflüssige Bemühung gewesen. 4)

Über die zweite Art somatogener Abänderungen,
die funktionellen
, wurde bereits gesprochen, es giebt aber
noch eine dritte Klasse somatogener Variationen, die-
jenigen nämlich, welche durch Mediumeinflüsse, Ernährungs-
weise, Klima
u. s. w. entstehen, und bei diesen hat es nicht
selten den Anschein, als ob sie vererbt und dadurch im Laufe
der Generationen gesteigert werden könnten. Ich habe selbst
darauf schon vor einer Reihe von Jahren mit folgenden Worten
hingewiesen: „Ich wüsste überhaupt nur einen Kreis von Ver-
änderungen der Organismen, bei welchem die Erklärung durch
blosse Keimesänderung auf ernstliche Schwierigkeiten stösst,
und dies sind die Abänderungen, welche als direkte Folge
von veränderten äusseren Bedingungen
auftreten. Allein
gerade über sie ist auch das letzte Wort noch nicht gesprochen,
wir kennen den Thatbestand noch lange nicht genau genug, um

1) Osborn, „Are acquired Variations inherited?“ Boston 1890, p. 3.
2) Auf der Versammlung zu Wiesbaden vom 20. Sept. 1887.
3) Häckel, „Natürliche Schöpfungsgeschichte“. 3. Aufl., 1889,
p. 194.
4) Man vergleiche auch den Abschnitt über Vererbung von Ver-
stümmelungen in dem Buche von Eimer: „Die Entstehung der Arten u. s w.“
Jena 1888. Es werden dort eine ganze Reihe sogen. „Beweise“ dafür
aufgezählt.
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[521/0545] letzungen komme ihm vor, wie Don Quixote’s berühmter Kampf mit den Windmühlen. 1) Es sind nur wenige Jahre her, seit auf einer deutschen Naturforscherversammlung zwei „schwanz- lose“ Kätzchen vorgezeigt wurden 2), die ihren Mangel dem ge- waltsamen Verlust des Schwanzes bei der Mutter verdanken sollten, und grosse Naturforscher von dem Namen Ernst Häckel’s 3) fassen heute noch ähnliche Fälle in derselben Weise auf. Solange solche Stimmen eine Vererbung von Verstümme- lungen noch für möglich halten, ist eine Klarlegung des Sach- verhaltes wohl keine überflüssige Bemühung gewesen. 4) Über die zweite Art somatogener Abänderungen, die funktionellen, wurde bereits gesprochen, es giebt aber noch eine dritte Klasse somatogener Variationen, die- jenigen nämlich, welche durch Mediumeinflüsse, Ernährungs- weise, Klima u. s. w. entstehen, und bei diesen hat es nicht selten den Anschein, als ob sie vererbt und dadurch im Laufe der Generationen gesteigert werden könnten. Ich habe selbst darauf schon vor einer Reihe von Jahren mit folgenden Worten hingewiesen: „Ich wüsste überhaupt nur einen Kreis von Ver- änderungen der Organismen, bei welchem die Erklärung durch blosse Keimesänderung auf ernstliche Schwierigkeiten stösst, und dies sind die Abänderungen, welche als direkte Folge von veränderten äusseren Bedingungen auftreten. Allein gerade über sie ist auch das letzte Wort noch nicht gesprochen, wir kennen den Thatbestand noch lange nicht genau genug, um 1) Osborn, „Are acquired Variations inherited?“ Boston 1890, p. 3. 2) Auf der Versammlung zu Wiesbaden vom 20. Sept. 1887. 3) Häckel, „Natürliche Schöpfungsgeschichte“. 3. Aufl., 1889, p. 194. 4) Man vergleiche auch den Abschnitt über Vererbung von Ver- stümmelungen in dem Buche von Eimer: „Die Entstehung der Arten u. s w.“ Jena 1888. Es werden dort eine ganze Reihe sogen. „Beweise“ dafür aufgezählt.

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 521. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/545>, abgerufen am 22.11.2024.