gehobene "accumulative Wirkung veränderter Lebens- bedingungen" findet so ihre theoretische Begründung in der Continuität des Keimplasma's; dieselben Determinanten, welche in der ersten Generation abänderten, fahren fort in derselben Richtung weiter abzuändern, in der zweiten und dritten Gene- ration.
Recht interessant sind in dieser Beziehung Versuchsreihen, die Professor Hoffmann seit vielen Jahren im Botanischen Garten zu Giessen angestellt hat, und von welchen ich hier einige anführen möchte.
Verschiedene Pflanzen von normalem Blüthenbau wurden eine Reihe von Generationen hindurch stark veränderten Lebens- bedingungen ausgesetzt, sie wurden z. B. als sog. "Dichtsaat" in kleinen Töpfen aufgezogen, wobei die Pflanzen sich gegen- seitig in der Nahrung beschränken, also dürftig ernährt werden. Bei dieser Behandlung zeigte sich nun bei einigen Arten, so bei Nigella damascena, Papaver alpinum, Tagetes patula, mehr oder weniger häufig eine Anzahl von atypischen, d. h. in diesem Falle von gefüllten Blüthen. Dass nun diese Abweichungen vom Typus nicht auf direkter Wirkung der abnormen Er- nährungsbedingungen auf das Soma der Pflanzen beruht, sondern auf einer Einwirkung auf das Keimplasma, geht daraus hervor, dass sie niemals schon in der ersten Generation auftraten. Samen von normal blühenden, wilden Pflanzen verschiedener Arten wurde in Gartenland, oder gar in Töpfen unter Dichtsaat zur Entwicklung gebracht, aber keine von allen aus diesen wilden Samen erzielten Pflanzen trug eine einzige ge- füllte Blume. Erst im Laufe mehrerer, oft zahlreicher Gene- rationen traten einzelne oder zahlreichere gefüllte Blüthen, zuweilen auch Abänderungen der Blätter oder der Blüthenfarbe auf. Diese Thatsache lässt, wie mir scheint, nur die eine Erklärung zu, dass die veränderten Bedingungen zunächst nur unsichtbare
gehobene „accumulative Wirkung veränderter Lebens- bedingungen“ findet so ihre theoretische Begründung in der Continuität des Keimplasma’s; dieselben Determinanten, welche in der ersten Generation abänderten, fahren fort in derselben Richtung weiter abzuändern, in der zweiten und dritten Gene- ration.
Recht interessant sind in dieser Beziehung Versuchsreihen, die Professor Hoffmann seit vielen Jahren im Botanischen Garten zu Giessen angestellt hat, und von welchen ich hier einige anführen möchte.
Verschiedene Pflanzen von normalem Blüthenbau wurden eine Reihe von Generationen hindurch stark veränderten Lebens- bedingungen ausgesetzt, sie wurden z. B. als sog. „Dichtsaat“ in kleinen Töpfen aufgezogen, wobei die Pflanzen sich gegen- seitig in der Nahrung beschränken, also dürftig ernährt werden. Bei dieser Behandlung zeigte sich nun bei einigen Arten, so bei Nigella damascena, Papaver alpinum, Tagetes patula, mehr oder weniger häufig eine Anzahl von atypischen, d. h. in diesem Falle von gefüllten Blüthen. Dass nun diese Abweichungen vom Typus nicht auf direkter Wirkung der abnormen Er- nährungsbedingungen auf das Soma der Pflanzen beruht, sondern auf einer Einwirkung auf das Keimplasma, geht daraus hervor, dass sie niemals schon in der ersten Generation auftraten. Samen von normal blühenden, wilden Pflanzen verschiedener Arten wurde in Gartenland, oder gar in Töpfen unter Dichtsaat zur Entwicklung gebracht, aber keine von allen aus diesen wilden Samen erzielten Pflanzen trug eine einzige ge- füllte Blume. Erst im Laufe mehrerer, oft zahlreicher Gene- rationen traten einzelne oder zahlreichere gefüllte Blüthen, zuweilen auch Abänderungen der Blätter oder der Blüthenfarbe auf. Diese Thatsache lässt, wie mir scheint, nur die eine Erklärung zu, dass die veränderten Bedingungen zunächst nur unsichtbare
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gehobene „accumulative Wirkung veränderter Lebens-
bedingungen“ findet so ihre theoretische Begründung in der
Continuität des Keimplasma’s; dieselben Determinanten, welche
in der ersten Generation abänderten, fahren fort in derselben
Richtung weiter abzuändern, in der zweiten und dritten Gene-
ration.
Recht interessant sind in dieser Beziehung Versuchsreihen,
die Professor Hoffmann seit vielen Jahren im Botanischen
Garten zu Giessen angestellt hat, und von welchen ich hier
einige anführen möchte.
Verschiedene Pflanzen von normalem Blüthenbau wurden
eine Reihe von Generationen hindurch stark veränderten Lebens-
bedingungen ausgesetzt, sie wurden z. B. als sog. „Dichtsaat“
in kleinen Töpfen aufgezogen, wobei die Pflanzen sich gegen-
seitig in der Nahrung beschränken, also dürftig ernährt werden.
Bei dieser Behandlung zeigte sich nun bei einigen Arten, so
bei Nigella damascena, Papaver alpinum, Tagetes patula, mehr
oder weniger häufig eine Anzahl von atypischen, d. h. in diesem
Falle von gefüllten Blüthen. Dass nun diese Abweichungen
vom Typus nicht auf direkter Wirkung der abnormen Er-
nährungsbedingungen auf das Soma der Pflanzen beruht, sondern
auf einer Einwirkung auf das Keimplasma, geht daraus hervor,
dass sie niemals schon in der ersten Generation auftraten.
Samen von normal blühenden, wilden Pflanzen verschiedener
Arten wurde in Gartenland, oder gar in Töpfen unter Dichtsaat
zur Entwicklung gebracht, aber keine von allen aus diesen
wilden Samen erzielten Pflanzen trug eine einzige ge-
füllte Blume. Erst im Laufe mehrerer, oft zahlreicher Gene-
rationen traten einzelne oder zahlreichere gefüllte Blüthen, zuweilen
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 574. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/598>, abgerufen am 22.11.2024.
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