könnten doch keine rothen Blätter entstehen, wenn nicht alle oder doch eine Majorität dieser Determinanten N nach der Variation "Roth" abgeändert hätten. Läge zwischen dem Keimplasma der Knospe und ihrem Auswachsen zum Spross eine Reductionstheilung, dann könnte auch eine Minorität von "rothen" Determinanten zur Majorität in einer der beiden Tochterzellen werden, aber gerade diese fehlt bei der gewöhn- lichen Vermehrung der Zellen.
Daraus nun, dass Knospen-Variationen überhaupt selten sind und noch mehr daraus, dass es meist nur eine Knospe unter vielen Tausenden derselben Pflanze, z. B. eines Baumes ist, welche in dieser oder jener Weise variirt, z. B. rothe Blätter hervorbringt, während doch die veränderten Bedingungen alle Knospen zugleich treffen, schliesse ich, dass die überall im Baume enthaltenen abgeänderten Determinanten gelegentlich durch eine abnormale, ungleiche Kerntheilung zur Majorität gelangen können. Geschieht dies in der Scheitel- zelle1) einer Knospe, so wird der daraus hervorwachsende Spross theils grüne, theils rothe Blätter haben müssen, weil sich dann der Voraussetzung gemäss "grüne" und "rothe" Determinanten der Scheitelzelle bei der Zelltheilung trennen, wenigstens nach Majoritäten, weil aber jede Gruppe in verschiedenen Blättern zur Geltung kommen muss. Geschieht die Trennung schon früher, vor Bildung der Scheitelzelle, also noch im Cambium, so kann aus der Zelle, welche bei der ungleichen Kerntheilung die "rothe" Hälfte erhält, ein Spross hervorgehen, der nur rothe Blätter enthält.
Die Annahme enthält nichts Unmögliches; bei dem com-
1) Hier, wie an andern Stellen des Buchs spreche ich der Einfach- heit halber von einer Scheitelzelle auch bei Phanerogamen, bei welchen eine bestimmte Scheitelzelle des Vegetationspunktes nicht zu unter- scheiden ist.
könnten doch keine rothen Blätter entstehen, wenn nicht alle oder doch eine Majorität dieser Determinanten N nach der Variation „Roth“ abgeändert hätten. Läge zwischen dem Keimplasma der Knospe und ihrem Auswachsen zum Spross eine Reductionstheilung, dann könnte auch eine Minorität von „rothen“ Determinanten zur Majorität in einer der beiden Tochterzellen werden, aber gerade diese fehlt bei der gewöhn- lichen Vermehrung der Zellen.
Daraus nun, dass Knospen-Variationen überhaupt selten sind und noch mehr daraus, dass es meist nur eine Knospe unter vielen Tausenden derselben Pflanze, z. B. eines Baumes ist, welche in dieser oder jener Weise variirt, z. B. rothe Blätter hervorbringt, während doch die veränderten Bedingungen alle Knospen zugleich treffen, schliesse ich, dass die überall im Baume enthaltenen abgeänderten Determinanten gelegentlich durch eine abnormale, ungleiche Kerntheilung zur Majorität gelangen können. Geschieht dies in der Scheitel- zelle1) einer Knospe, so wird der daraus hervorwachsende Spross theils grüne, theils rothe Blätter haben müssen, weil sich dann der Voraussetzung gemäss „grüne“ und „rothe“ Determinanten der Scheitelzelle bei der Zelltheilung trennen, wenigstens nach Majoritäten, weil aber jede Gruppe in verschiedenen Blättern zur Geltung kommen muss. Geschieht die Trennung schon früher, vor Bildung der Scheitelzelle, also noch im Cambium, so kann aus der Zelle, welche bei der ungleichen Kerntheilung die „rothe“ Hälfte erhält, ein Spross hervorgehen, der nur rothe Blätter enthält.
Die Annahme enthält nichts Unmögliches; bei dem com-
1) Hier, wie an andern Stellen des Buchs spreche ich der Einfach- heit halber von einer Scheitelzelle auch bei Phanerogamen, bei welchen eine bestimmte Scheitelzelle des Vegetationspunktes nicht zu unter- scheiden ist.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0605"n="581"/>
könnten doch keine rothen Blätter entstehen, wenn nicht<lb/>
alle oder doch eine Majorität dieser Determinanten N nach<lb/>
der Variation „Roth“ abgeändert hätten. Läge zwischen dem<lb/>
Keimplasma der Knospe und ihrem Auswachsen zum Spross<lb/>
eine Reductionstheilung, dann könnte auch eine Minorität von<lb/>„rothen“ Determinanten zur Majorität in einer der beiden<lb/>
Tochterzellen werden, aber gerade diese fehlt bei der gewöhn-<lb/>
lichen Vermehrung der Zellen.</p><lb/><p>Daraus nun, dass Knospen-Variationen überhaupt selten<lb/>
sind und noch mehr daraus, dass es meist nur <hirendition="#g">eine</hi> Knospe<lb/>
unter vielen Tausenden <hirendition="#g">derselben</hi> Pflanze, z. B. eines Baumes<lb/>
ist, welche in dieser oder jener Weise variirt, z. B. rothe Blätter<lb/>
hervorbringt, während doch die veränderten Bedingungen alle<lb/>
Knospen zugleich treffen, schliesse ich, dass die überall im<lb/>
Baume enthaltenen abgeänderten Determinanten gelegentlich<lb/><hirendition="#g">durch eine abnormale, ungleiche Kerntheilung zur<lb/>
Majorität gelangen können</hi>. Geschieht dies in der Scheitel-<lb/>
zelle<noteplace="foot"n="1)">Hier, wie an andern Stellen des Buchs spreche ich der Einfach-<lb/>
heit halber von einer Scheitelzelle auch bei Phanerogamen, bei welchen<lb/><hirendition="#g">eine</hi> bestimmte Scheitelzelle des Vegetationspunktes nicht zu unter-<lb/>
scheiden ist.</note> einer Knospe, so wird der daraus hervorwachsende Spross<lb/>
theils grüne, theils rothe Blätter haben müssen, weil sich dann<lb/>
der Voraussetzung gemäss „grüne“ und „rothe“ Determinanten<lb/>
der Scheitelzelle bei der Zelltheilung trennen, wenigstens nach<lb/>
Majoritäten, weil aber jede Gruppe in verschiedenen Blättern<lb/>
zur Geltung kommen muss. Geschieht die Trennung schon<lb/>
früher, vor Bildung der Scheitelzelle, also noch im Cambium,<lb/>
so kann aus der Zelle, welche bei der ungleichen Kerntheilung<lb/>
die „rothe“ Hälfte erhält, ein Spross hervorgehen, der nur rothe<lb/>
Blätter enthält.</p><lb/><p>Die Annahme enthält nichts Unmögliches; bei dem com-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[581/0605]
könnten doch keine rothen Blätter entstehen, wenn nicht
alle oder doch eine Majorität dieser Determinanten N nach
der Variation „Roth“ abgeändert hätten. Läge zwischen dem
Keimplasma der Knospe und ihrem Auswachsen zum Spross
eine Reductionstheilung, dann könnte auch eine Minorität von
„rothen“ Determinanten zur Majorität in einer der beiden
Tochterzellen werden, aber gerade diese fehlt bei der gewöhn-
lichen Vermehrung der Zellen.
Daraus nun, dass Knospen-Variationen überhaupt selten
sind und noch mehr daraus, dass es meist nur eine Knospe
unter vielen Tausenden derselben Pflanze, z. B. eines Baumes
ist, welche in dieser oder jener Weise variirt, z. B. rothe Blätter
hervorbringt, während doch die veränderten Bedingungen alle
Knospen zugleich treffen, schliesse ich, dass die überall im
Baume enthaltenen abgeänderten Determinanten gelegentlich
durch eine abnormale, ungleiche Kerntheilung zur
Majorität gelangen können. Geschieht dies in der Scheitel-
zelle 1) einer Knospe, so wird der daraus hervorwachsende Spross
theils grüne, theils rothe Blätter haben müssen, weil sich dann
der Voraussetzung gemäss „grüne“ und „rothe“ Determinanten
der Scheitelzelle bei der Zelltheilung trennen, wenigstens nach
Majoritäten, weil aber jede Gruppe in verschiedenen Blättern
zur Geltung kommen muss. Geschieht die Trennung schon
früher, vor Bildung der Scheitelzelle, also noch im Cambium,
so kann aus der Zelle, welche bei der ungleichen Kerntheilung
die „rothe“ Hälfte erhält, ein Spross hervorgehen, der nur rothe
Blätter enthält.
Die Annahme enthält nichts Unmögliches; bei dem com-
1) Hier, wie an andern Stellen des Buchs spreche ich der Einfach-
heit halber von einer Scheitelzelle auch bei Phanerogamen, bei welchen
eine bestimmte Scheitelzelle des Vegetationspunktes nicht zu unter-
scheiden ist.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/605>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.