stiren, denn die Lebenserscheinungen müssen an irgend welche Einheit der Materie gebunden sein. Da nun aber die Grund- kräfte des Lebens, Assimilation und Wachsthum weder von den Atomen, noch von den Molekülen für sich ausgehen, so muss es eine Einheit höherer Art geben, die diese Kräfte aus sich heraus entwickelt, und diese kann nur eine in sich gebundene Gruppe ungleichartiger Moleküle sein. Ich hebe dies besonders hervor, weil bei einer Theorie der Vererbung, die so viele nicht sicher begründbare Annahmen erfordert, die wenigen festen Punkte, auf welchen wir fussen können, doppelt werthvoll sind.
Die Biophoren setzen alles Protoplasma zusammen, sowohl das zu Zellkörpern differenzirte Morphoplasma, als das im Kern enthaltene Vererbungs- oder Idioplasma. In welcher Weise sich diese beiden Protoplasmen in Bezug auf ihre Zusammensetzung unterscheiden, soll später zur Sprache kommen; hier sei nur soviel gesagt, dass das Idioplasma im Allgemeinen eine weit verwickeltere Structur haben muss, als das Morphoplasma. Letzteres assimilirt, wächst und theilt sich zwar auch, wie der Zellkörper einer Muskel- oder Drüsenzelle lehrt, allein ohne sich dabei aus sich selbst heraus verändern zu können. Das Anlagenplasma aber vermag sich während seines Wachsthums gesetzmässig zu verändern, und darauf beruht die Ontogenese, die Entwickelung des Individuums bei den Vielzelligen. Aus der Eizelle eines Thieres gehen die beiden ersten Embryonal- zellen durch Theilung hervor, und aus diesen werden im Laufe der Embryogenese immer wieder anders geartete Zellen und ihre Verschiedenheit muss, wie gezeigt wurde, auf Veränderungen der Kernsubstanz beruhen.
Es fragt sich nun, wie diese Fähigkeit des Idioplasma's, sich gesetzmässig und aus sich selbst heraus zu verändern, vor- gestellt werden kann. An der Thatsache selbst kann ja kein Zweifel sein, sobald es feststeht, dass das Morphoplasma jeder
stiren, denn die Lebenserscheinungen müssen an irgend welche Einheit der Materie gebunden sein. Da nun aber die Grund- kräfte des Lebens, Assimilation und Wachsthum weder von den Atomen, noch von den Molekülen für sich ausgehen, so muss es eine Einheit höherer Art geben, die diese Kräfte aus sich heraus entwickelt, und diese kann nur eine in sich gebundene Gruppe ungleichartiger Moleküle sein. Ich hebe dies besonders hervor, weil bei einer Theorie der Vererbung, die so viele nicht sicher begründbare Annahmen erfordert, die wenigen festen Punkte, auf welchen wir fussen können, doppelt werthvoll sind.
Die Biophoren setzen alles Protoplasma zusammen, sowohl das zu Zellkörpern differenzirte Morphoplasma, als das im Kern enthaltene Vererbungs- oder Idioplasma. In welcher Weise sich diese beiden Protoplasmen in Bezug auf ihre Zusammensetzung unterscheiden, soll später zur Sprache kommen; hier sei nur soviel gesagt, dass das Idioplasma im Allgemeinen eine weit verwickeltere Structur haben muss, als das Morphoplasma. Letzteres assimilirt, wächst und theilt sich zwar auch, wie der Zellkörper einer Muskel- oder Drüsenzelle lehrt, allein ohne sich dabei aus sich selbst heraus verändern zu können. Das Anlagenplasma aber vermag sich während seines Wachsthums gesetzmässig zu verändern, und darauf beruht die Ontogenese, die Entwickelung des Individuums bei den Vielzelligen. Aus der Eizelle eines Thieres gehen die beiden ersten Embryonal- zellen durch Theilung hervor, und aus diesen werden im Laufe der Embryogenese immer wieder anders geartete Zellen und ihre Verschiedenheit muss, wie gezeigt wurde, auf Veränderungen der Kernsubstanz beruhen.
Es fragt sich nun, wie diese Fähigkeit des Idioplasma’s, sich gesetzmässig und aus sich selbst heraus zu verändern, vor- gestellt werden kann. An der Thatsache selbst kann ja kein Zweifel sein, sobald es feststeht, dass das Morphoplasma jeder
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><hirendition="#g"><pbfacs="#f0084"n="60"/>
stiren</hi>, denn die Lebenserscheinungen müssen an irgend welche<lb/>
Einheit der Materie gebunden sein. Da nun aber die Grund-<lb/>
kräfte des Lebens, Assimilation und Wachsthum weder von den<lb/>
Atomen, noch von den Molekülen für sich ausgehen, so muss<lb/>
es eine Einheit höherer Art geben, die diese Kräfte aus sich<lb/>
heraus entwickelt, und diese kann nur eine in sich gebundene<lb/>
Gruppe ungleichartiger Moleküle sein. Ich hebe dies besonders<lb/>
hervor, weil bei einer Theorie der Vererbung, die so viele nicht<lb/>
sicher begründbare Annahmen erfordert, die wenigen festen<lb/>
Punkte, auf welchen wir fussen können, doppelt werthvoll sind.</p><lb/><p>Die Biophoren setzen <hirendition="#g">alles</hi> Protoplasma zusammen, sowohl<lb/>
das zu Zellkörpern differenzirte Morphoplasma, als das im Kern<lb/>
enthaltene Vererbungs- oder Idioplasma. In welcher Weise sich<lb/>
diese beiden Protoplasmen in Bezug auf ihre Zusammensetzung<lb/>
unterscheiden, soll später zur Sprache kommen; hier sei nur<lb/>
soviel gesagt, dass das Idioplasma im Allgemeinen eine weit<lb/>
verwickeltere Structur haben muss, als das Morphoplasma.<lb/>
Letzteres assimilirt, wächst und theilt sich zwar auch, wie der<lb/>
Zellkörper einer Muskel- oder Drüsenzelle lehrt, allein ohne<lb/>
sich dabei <hirendition="#g">aus sich selbst heraus</hi> verändern zu können. Das<lb/>
Anlagenplasma aber vermag sich während seines Wachsthums<lb/>
gesetzmässig zu verändern, und darauf beruht die Ontogenese,<lb/>
die Entwickelung des Individuums bei den Vielzelligen. Aus<lb/>
der Eizelle eines Thieres gehen die beiden ersten Embryonal-<lb/>
zellen durch Theilung hervor, und aus diesen werden im Laufe<lb/>
der Embryogenese immer wieder anders geartete Zellen und<lb/>
ihre Verschiedenheit muss, wie gezeigt wurde, auf Veränderungen<lb/>
der Kernsubstanz beruhen.</p><lb/><p>Es fragt sich nun, wie diese Fähigkeit des Idioplasma’s,<lb/>
sich gesetzmässig und aus sich selbst heraus zu verändern, vor-<lb/>
gestellt werden kann. An der Thatsache selbst kann ja kein<lb/>
Zweifel sein, sobald es feststeht, dass das Morphoplasma jeder<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[60/0084]
stiren, denn die Lebenserscheinungen müssen an irgend welche
Einheit der Materie gebunden sein. Da nun aber die Grund-
kräfte des Lebens, Assimilation und Wachsthum weder von den
Atomen, noch von den Molekülen für sich ausgehen, so muss
es eine Einheit höherer Art geben, die diese Kräfte aus sich
heraus entwickelt, und diese kann nur eine in sich gebundene
Gruppe ungleichartiger Moleküle sein. Ich hebe dies besonders
hervor, weil bei einer Theorie der Vererbung, die so viele nicht
sicher begründbare Annahmen erfordert, die wenigen festen
Punkte, auf welchen wir fussen können, doppelt werthvoll sind.
Die Biophoren setzen alles Protoplasma zusammen, sowohl
das zu Zellkörpern differenzirte Morphoplasma, als das im Kern
enthaltene Vererbungs- oder Idioplasma. In welcher Weise sich
diese beiden Protoplasmen in Bezug auf ihre Zusammensetzung
unterscheiden, soll später zur Sprache kommen; hier sei nur
soviel gesagt, dass das Idioplasma im Allgemeinen eine weit
verwickeltere Structur haben muss, als das Morphoplasma.
Letzteres assimilirt, wächst und theilt sich zwar auch, wie der
Zellkörper einer Muskel- oder Drüsenzelle lehrt, allein ohne
sich dabei aus sich selbst heraus verändern zu können. Das
Anlagenplasma aber vermag sich während seines Wachsthums
gesetzmässig zu verändern, und darauf beruht die Ontogenese,
die Entwickelung des Individuums bei den Vielzelligen. Aus
der Eizelle eines Thieres gehen die beiden ersten Embryonal-
zellen durch Theilung hervor, und aus diesen werden im Laufe
der Embryogenese immer wieder anders geartete Zellen und
ihre Verschiedenheit muss, wie gezeigt wurde, auf Veränderungen
der Kernsubstanz beruhen.
Es fragt sich nun, wie diese Fähigkeit des Idioplasma’s,
sich gesetzmässig und aus sich selbst heraus zu verändern, vor-
gestellt werden kann. An der Thatsache selbst kann ja kein
Zweifel sein, sobald es feststeht, dass das Morphoplasma jeder
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/84>, abgerufen am 29.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.