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Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893.

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Aber dennoch vergeht kein Jahr, ohne dass ein oder meh-
rere Schriftsteller in diese für die Entwickelungslehre funda-
mentale Frage einzugreifen suchen, während sie doch über
den Grundbegriff derselben sich noch im Unklaren befinden.

So hat erst kürzlich wieder ein verdienter "Thier-
physiologe" entschiedene Einsprache gegen meine Ansicht
erhoben vom "Standpunkte der landwirthschaftlichen Thier-
zucht" aus. M. Wilckens 1) in Wien meint, ich hätte "die
Erfahrungen und Thatsachen auf dem Gebiet der Thier-
zucht viel zu wenig beachtet", und daraus "erkläre sich der
schroffe Gegensatz zwischen den thierzüchterischen Ver-
erbungsthatsachen" und meiner Vererbungstheorie. "Die
Zoologen sollten sich daran gewöhnen, die landwirthschaft-
liche Thierzucht als den experimentellen Theil der Zoologie
zu betrachten." Nun ich glaubte, ich hätte zu verschiedenen
Malen und recht eingehend diese Thatsachen berücksichigt
und verwerthet; ich habe nicht nur Hauptwerke der land-
wirthschaftlichen Züchtung, wie das von Settegast, stu-
dirt, sondern mir auch durch persönliche Besprechung mit
erfahrenen Züchtern das auf dieser Seite der Wissenschaft
gewonnene Material an Thatsachen zugänglich zu machen
gesucht. Meine Beweise gegen die Annahme einer Ver-
erbung von Verstümmelungen sind zum Theil daher ge-
nommen 2). Wenn ich dieses Material nicht noch öfter

1) Wilckens, "Die Vererbung erworbener Eigenschaften
vom Standpunkte der landwirthschaftlichen Thierzucht in Be-
zug auf Weismann's Theorie der Vererbung." Biologisches
Centralblatt vom 15. Juli 1893, p. 420.
2) Vergleiche z. B. meinen Aufsatz "Ueber die Hypothese
einer Vererbung von Verletzungen", Jena 1889, und in den
"Aufsätzen über Vererbung und verwandte biologische Fragen",
Jena 1892, Aufsatz VIII.

Aber dennoch vergeht kein Jahr, ohne dass ein oder meh-
rere Schriftsteller in diese für die Entwickelungslehre funda-
mentale Frage einzugreifen suchen, während sie doch über
den Grundbegriff derselben sich noch im Unklaren befinden.

So hat erst kürzlich wieder ein verdienter „Thier-
physiologe“ entschiedene Einsprache gegen meine Ansicht
erhoben vom „Standpunkte der landwirthschaftlichen Thier-
zucht“ aus. M. Wilckens 1) in Wien meint, ich hätte „die
Erfahrungen und Thatsachen auf dem Gebiet der Thier-
zucht viel zu wenig beachtet“, und daraus „erkläre sich der
schroffe Gegensatz zwischen den thierzüchterischen Ver-
erbungsthatsachen“ und meiner Vererbungstheorie. „Die
Zoologen sollten sich daran gewöhnen, die landwirthschaft-
liche Thierzucht als den experimentellen Theil der Zoologie
zu betrachten.“ Nun ich glaubte, ich hätte zu verschiedenen
Malen und recht eingehend diese Thatsachen berücksichigt
und verwerthet; ich habe nicht nur Hauptwerke der land-
wirthschaftlichen Züchtung, wie das von Settegast, stu-
dirt, sondern mir auch durch persönliche Besprechung mit
erfahrenen Züchtern das auf dieser Seite der Wissenschaft
gewonnene Material an Thatsachen zugänglich zu machen
gesucht. Meine Beweise gegen die Annahme einer Ver-
erbung von Verstümmelungen sind zum Theil daher ge-
nommen 2). Wenn ich dieses Material nicht noch öfter

1) Wilckens, „Die Vererbung erworbener Eigenschaften
vom Standpunkte der landwirthschaftlichen Thierzucht in Be-
zug auf Weismann’s Theorie der Vererbung.“ Biologisches
Centralblatt vom 15. Juli 1893, p. 420.
2) Vergleiche z. B. meinen Aufsatz „Ueber die Hypothese
einer Vererbung von Verletzungen“, Jena 1889, und in den
„Aufsätzen über Vererbung und verwandte biologische Fragen“,
Jena 1892, Aufsatz VIII.
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[2/0014] Aber dennoch vergeht kein Jahr, ohne dass ein oder meh- rere Schriftsteller in diese für die Entwickelungslehre funda- mentale Frage einzugreifen suchen, während sie doch über den Grundbegriff derselben sich noch im Unklaren befinden. So hat erst kürzlich wieder ein verdienter „Thier- physiologe“ entschiedene Einsprache gegen meine Ansicht erhoben vom „Standpunkte der landwirthschaftlichen Thier- zucht“ aus. M. Wilckens 1) in Wien meint, ich hätte „die Erfahrungen und Thatsachen auf dem Gebiet der Thier- zucht viel zu wenig beachtet“, und daraus „erkläre sich der schroffe Gegensatz zwischen den thierzüchterischen Ver- erbungsthatsachen“ und meiner Vererbungstheorie. „Die Zoologen sollten sich daran gewöhnen, die landwirthschaft- liche Thierzucht als den experimentellen Theil der Zoologie zu betrachten.“ Nun ich glaubte, ich hätte zu verschiedenen Malen und recht eingehend diese Thatsachen berücksichigt und verwerthet; ich habe nicht nur Hauptwerke der land- wirthschaftlichen Züchtung, wie das von Settegast, stu- dirt, sondern mir auch durch persönliche Besprechung mit erfahrenen Züchtern das auf dieser Seite der Wissenschaft gewonnene Material an Thatsachen zugänglich zu machen gesucht. Meine Beweise gegen die Annahme einer Ver- erbung von Verstümmelungen sind zum Theil daher ge- nommen 2). Wenn ich dieses Material nicht noch öfter 1) Wilckens, „Die Vererbung erworbener Eigenschaften vom Standpunkte der landwirthschaftlichen Thierzucht in Be- zug auf Weismann’s Theorie der Vererbung.“ Biologisches Centralblatt vom 15. Juli 1893, p. 420. 2) Vergleiche z. B. meinen Aufsatz „Ueber die Hypothese einer Vererbung von Verletzungen“, Jena 1889, und in den „Aufsätzen über Vererbung und verwandte biologische Fragen“, Jena 1892, Aufsatz VIII.

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Zitationshilfe: Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893/14>, abgerufen am 21.11.2024.